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Was macht Silja Korn?

Silja Korn
Silja Korn
Foto: Silja Korn

BERLIN (KOBINET) Die Inklusionsbotschafterin Silja Korn ist in vielfältiger Form als Künstlerin aktiv. Die Projektleiterin des von der Aktion Mensch Stiftung geförderten und von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) durchgeführten Inklusionsbotschafter*innen-Projektes, Susanne Göbel, sprach mit Silja Korn, über ihre Erfahrungen als blinde Erzieherin und Künstlerin.

Was macht Silja Korn?

kobinet-nachrichten: Ihr Ziel als Inklusionsbotschafterin ist es, Inklusion voran zu bringen, vorzuleben und so Brücken zwischen Menschen zu schlagen. Bereits ihre Berufswahl spiegelt einiges davon wider: Sie sind meines Wissens die erste blinde, staatlich geprüfte Erzieherin und Facherzieherin für Sprachförderung in Deutschland. Woher kommt Ihr Berufswunsch

Silja Korn: Mit 12 Jahren erblindete ich durch einen schweren Verkehrsunfall völlig. Dann musste ich zur Blindenschule wechseln. Mein Leben geriet förmlich aus den Fugen. Das fühlte sich so an, als wäre ich schon am Ende meines Lebens angelangt, bevor es eigentlich begonnen hat. Dazu kam noch, dass ich in der Pubertät steckte. Ich fiel in ein so unsagbar tiefes, dunkles, steiles Loch, was mich zu verschlingen drohte. Das neue Leben löste Angst und Schrecken in mir aus. Der Boden wurde mir sozusagen brachial unter den Füßen weggezogen. Ich fragte mich ständig, wie es mit mir nur weiter gehen soll? Werde ich irgendwann mein Leben allein bewältigen können? Es hieß für mich wieder mit allem von vorne zu beginnen. 

Mit allem tat ich mich so schwer. Das Erlernen der Brailleschrift stellte mich vor herausfordernde, nicht voraussehbare und nicht überwindbare Anforderungen. Meine Fingerspitzen mussten erst einmal dafür sensibilisiert werden, sodass sie jeden einzelnen Braillepunkt voneinander unterscheiden konnten. Das Selbige verhielt sich mit der Selbständigkeit im Alltag und dem selbständigen orientieren, z. B.im Straßenverkehr usw.. Das ging ohne Hilfsmittel (weißen Langstock) nicht mehr. Um mich mit einem Langstock selbstbestimmt fortzubewegen, musste ich ein dafür extra entwickeltes Mobilitätstraining absolvieren, was nicht einfach in ein bis zwei Trainingseinheiten abzuhandeln war. So verhielt es sich mit beinahe allem, was mit meinem neuen Leben zu tun hatte. Ich fühlte mich identitätslos, unsagbar verzweifelt, zerrissen, entmutigt, unglücklich, mit allem überfordert und glaubte dem nicht genügen zu können. Dazu kam, dass die Pädagogen an der Blindenschule mit Kindern, die spät erblindet sind, nicht entsprechend umgingen. Da wuchs in mir mit der Zeit die Vorstellung heran, Erzieherin zu werden und die Idee, als eine Art Katalysator zwischen blindem Kind und sehenden Pädagogen zu fungieren. 

Die Vorstellung und Idee waren eins, doch die Realität war doch etwas anders. Sie holte mich an anderer Stelle wieder ein. Das gab es damals noch nicht, dass Menschen mit Behinderung sich in solch einen Beruf begeben – geschweige sich dafür ausbilden lassen wollen. Ich ließ mich dennoch von all dem Für und Wider nicht abhalten und bewarb mich an einer Erzieherfachschule. Das Aufnahmegespräch verlief anders; als wenn ich nicht blind gewesen wäre. Im Vorfeld lud mich der Direktor zu einem Einzelgespräch zu sich an die Fachschule ein, um sich so einen vorurteilslosen Eindruck bilden zu können. Danach konnte ich mich erst in einem gewöhnlichen Bewerbungspozedere einer Lehrer/Schüler Jury vorstellen, um einen Platz an der Schule zu bekommen.

kobinet-nachrichten: Welche Erfahrungen haben Sie während dieser Ausbildung ganz persönlich mit Inklusion gemacht?

Silja Korn: Ich kam in eine Klasse, in der sich die zuständige Dozentin schon intensiv mit dem Schwerpunktthema Integration auseinandersetzte. Sie war diesbezüglich für eine Weiterbildung in Italien gewesen. Das war meine Chance. Sie hat sich von Anfang an in der Ausbildung darum gekümmert und sich dafür eingesetzt, dass ich die benötigte Unterstützung erhielt. Sie erkundigte sich, woher ich Hilfsmittel und helfende Personen für Fachtexte zum Vorlesen und/oder in Braille umgeschrieben her bekam, und wo diese beantragt werden müssen. Sie sorgte dafür, dass ich, um Klausuren zu schreiben, mehr Zeit zur Verfügung erhielt, weil ich diese selbst einmal in Braille und einmal in Schwarzschrift auf der Schreibmaschine beantworten musste. Sie beantragte Extrastunden bei einer Art Stiftung der Evangelischen Kirche, um in diesen Stunden mit mir an komplexen Tafelaufzeichnungen zu arbeiten, die ich auf Grund meiner Sehbeeinträchtigung nicht mitverfolgen konnte. Sie setzte sich sehr intensiv dafür ein, dass mir für den Kunst-, Werk- und Kinderspielunterricht ein Ambulanzlehrer der Blindenschule zur Seite stand. Für den praktischen Teil (Berufspraktika) half sie mir, eine geeignete Praktikumsstelle zu finden. Sie sprach im Vorfeld mit den Kita- wie auch den Praxisanleiterinnen.

Dennoch achtete sie darauf, dass ich mich diesbezüglich selbständig und eigenständig um Weiteres kümmerte und entwickelte. Ebenso wichtig war es ihr, die Lehrerschaft sowie den Klassenverband mit einzubinden und zu sensibilisieren, sich aktiv an manchen Prozessen mit zu beteiligen. Im Einzelnen hieß das zum Beispiel: zwei Schülerinnen teilten sich die Aufgabe, Texte in Braille umzutippen und auf Kassette zu sprechen; die Dozierenden arbeiteten engmaschig mit beiden Schülerinnen zusammen, damit ihnen die Texte rechtzeitig überreicht wurden, um sie in Brailleschrift umzutippen oder auf Kassette zu sprechen, bevor diese in der nächsten Unterrichtseinheit behandelt wurden. Leider klappte das nicht immer zuverlässig. Dann musste mir eine der SchülerInnen den Text vor Ort vorlesen. Das war für sie und auch mich oft super anstrengend, da wir dafür nicht immer einen separaten Raum finden konnten.

Zusammengefasst hätte ich die Anforderungen, die mir in der Ausbildung gestellt wurden, und mancherlei Stolperstein, der mir entgegen trat, ohne die Mitwirkung der Dozentin und ihr großartiges Engagement nicht bewältigt. Ohne sie wäre mir das nicht ohne Weiteres gelungen.

kobinet-nachrichten: Inzwischen arbeiten Sie in Berlin im Elementarbereich einer Kindertagesstätte und müssen auch aufgrund Ihrer Blindheit immer wieder Brücken schlagen. Erinnern Sie sich an eine besonders berührende oder humorvolle Situation, in der das besonders gelungen ist?

Silja Korn: Die Kinder in der Kita lernen durch mich den Umgang mit einem behinderten Menschen auf spielerische und natürliche Weise kennen. Zum Beispiel: Sie sehen mich im Flur auf ein anderes Kind zugehen, das mit seinen Kleidungsstücken mitten im Weg sitzt. Dann nehmen sie mich manchmal auch schnell an die Hand und führen mich einfach um es herum, oder stellen sich rasch vor es, oder rufen mir zu: „Silja, vor Dir sitzt Anna!“ Ein anderes Beispiel: Sie haben einen Turm aus Bauklötzen gebaut und wollen mir zeigen, wie hoch dieser geworden ist. Dann nehmen sie ganz selbstverständlich meine Hand und führen sie sanft an ihn entlang, damit ich feststelle, wie hoch und breit dieser geworden ist, und dadurch ertasten kann, wie viele Steine dafür verwendet wurden. Anders verhalten sich die Kinder auch, wenn sie im Rollenspiel die blinde Erzieherin Silja spielen. Dann tun sie so, als könnten sie zum Beispiel Braille lesen und lesen ihren Freunden mit den Fingern vor. Das amüsiert und berührt mich sehr, sodass sich in meinem Herzen ein so warmes, freudiges Gefühl ausbreitet.

kobinet-nachrichten: Begegnen Sie auch Vorurteilen?

Silja Korn: Unter den Kindern erlebe ich das nicht. Es gibt schon mal ein Kind, das weinerlich auf meine dunkle Sonnenbrille reagiert, weil es meine Augen nicht sieht. Dann sind das zumeist sehr junge Kinder, die sich sprachlich auch noch nicht anders mitteilen können. Damit so etwas nicht passiert, tasten wir uns ganz vorsichtig heran, sodass bei den ersten Zusammenkünften zum Beispiel eine sehende Kollegin zugegen ist. Wenn wir merken, dass das Kind sich bald auf mich einlässt, zieht sich die Kollegin allmählich immer mehr zurück.

Dass Eltern sich dagegen aussprechen, dass eine blinde Pädagogin im Kitabereich tätig ist, habe ich so noch nicht mitbekommen. Dennoch finde ich, dass im Bezug auf Unwissenheit, was Menschen mit Behinderung betrifft, noch lange nicht alle Stolpersteine überwunden sind und dass noch einige Mauern und Hürden abgebaut werden müssen. Damit das gezielt passiert, sollten sich noch mehr Menschen mit Behinderung zum/zur ErzieherIn ausbilden lassen, damit es ganz natürlich wird, dass in Kitas und Kindergärten auch Menschen arbeiten, die behindert sind.

kobinet-nachrichten: Sie sind ein Fan des Bilderbuchs „Wie Mama mit der Nase sieht“ und wollen es inklusiv gestalten. Was begeistert Sie an der Geschichte?

Silja Korn: Mich begeistert diese Geschichte, weil sie authentisch und mit Respekt beschreibt, wie ein sehendes Kind und dessen blinde Mutter gemeinsam einen Weg finden, durch den Alltag mit all seinen Anforderungen und Widrigkeiten zu gehen. So lernen die Kinder eine Lebenssituation auf andere Weise näher kennen und können sich mit anderen darüber austauschen. 

Durch die sehr einfühlsamen gezeichneten Abbildungen von Herrn Guckes und den anschaulichen Text bekommen sie einen nahezu realistischen Einblick in das Leben der beiden Protagonen. Dadurch können sie leichter nachvollziehen, wie andere Familien das gemeinsam angehen und dass Kindern, die behinderte Eltern haben, nicht etwas fehlt und sie infolge dessen viel unglücklicher sein müssten, als Kinder, deren Eltern nicht behindert sind. Das Leben von Kindern behinderter Eltern muss sich nicht großartig von dem Alltag von Kindern nicht behinderter Eltern unterscheiden. Die Mama setzt in dieser Geschichte ihre Ohren, Nase, Hände und Füße lediglich anders ein, als anderer Mamas das tut, um so ihr Leben zu begehen.

kobinet-nachrichten: Welche Ideen haben Sie für eine inklusive Ausgabe des Buches?

Silja Korn: Ich stelle mir vor, dass die Zeichnungen haptisch und mit unterschiedlichen Materialien ausgestattet werden. Der Text soll in Braille, wie auch in Schwarzschrift und Leichter Sprache, im Buch vorhanden sein. Damit können viele unterschiedliche Menschen das Buch gemeinsam betrachten und Kinder- und andere Freundschaften können entstehen und sich vertiefen, da sie das Buch mit all ihren Sinnen erleben – und so umso tiefer gemeinsam darin eintauchen können.

Kinder ohne Einschränkung können erfahren, dass Andere gar nicht so sehr anders sind. Kinder mit Einschränkung erfahren auf natürliche Weise, dass sie später genau wie ihr/e Freund/in, die Möglichkeit haben Mutter, Vater zu werden und dass Vieles möglich ist. Es macht Eltern von behinderten Kindern zuversichtlich und spricht ihnen Mut zu, dass auch ihr Kind seinen Platz in der Gesellschaft selbstbestimmt haben kann. 

Ferner ist mein Anliegen, dass Kinder mitbekommen, dass es wichtig ist, nicht alles so einfach hinzunehmen, sondern Dinge auch zu hinterfragen und kritisch zu betrachten. Und es lohnt sich wiederum, sich für seine Bedürfnisse und Belange einzubringen – und sich für Andere einzusetzen.

Leider habe ich noch keinen Produzenten/Verlag gefunden, der das Buch inklusiv gestaltet. Kein Bedarf, zu teuer, zu wenige Leser/innen, unwirtschaftlich, das waren die höflich formulierten Antworten. Auf jeden Fall jedoch bleibe ich dran und hoffe, dass erkannt wird, dass ganz klar eine Notwendigkeit vorhanden ist, das Buch zugänglicher zu gestalten!

kobinet-nachrichten: Das Wort Bilder-Buch drückt bereits aus, dass eine Geschichte durch die Kunst ansprechender Bilder zum Leben erweckt wird. Sie sind selbst Kinderbuchautorin, aber auch Malerin und Fotografin und probieren sich immer wieder an neuen, visuellen Kunstformen aus. Was reizt Sie an diesem scheinbaren Widerspruch: eine blinde Künstlerin erschafft visuelle Kunst?

Silja Korn: Malen, zeichnen, mich generell kreativ zu betätigen, war von früh an sehr wichtig für mich. Daraus entwickelte sich dann mehr und mehr eine Leidenschaft. Das war das Allererste was ich nach der Schule daheim tat: ich setzte mich an meinen Schreibtisch und begann zu malen, zu zeichnen. Das half mir dabei, mich zu regulieren, mich zu entspannen und runter zu kommen.

Mit der Zeit wurde das immer mehr zum Ritual, bevor ich mit den Hausaufgaben begann. Es war für mich eine Art Ruhepool und Ausgleich. In den Bildern gelang es mir dann leichter, mein Inneres nach Außen zu wenden. Damit konnte ich das Erlebte ausdrücken, verarbeiten und der Fantasie freien Lauf zu lassen, so wie mir meine Welt gefällt und wie ich sie mir insgeheim vorstelle, ausmale, wünsche und wie ich sie mir erträume, wie es sein könnte. So konnte ich meine Schüchternheit leichter überwinden und ablegen. Als ich nichts mehr sehen konnte und mir diese Ausdrucksmöglichkeit abrupt entrissen wurde, stürzte für mich im wahrsten Sinne des Wortes eine Welt zusammen. Aber meine Eltern, Freundschaften und so weiter führten mich an andere kreative Formen heran.

Dennoch war das nicht das, was mich mit der Malerei innerlich verband und mich zufrieden stellte. Wenn ich zum Beispiel mit Ton hantierte, fühlten sich meine Finger danach ganz rau und stumpf an. Der Ton, der sich unter meinen Nägeln festsetzte, verstärkte dieses Gefühl um so mehr. Das störte mich ungemein. Ich betätigte mich dann viele Jahre hindurch nicht mehr eigenständig kreativ, bis ich 2005 zu Fotografieren und 2008 wieder zu Malen begann. Seit jener Zeit sind allerlei Fotoarbeiten sowie gemalte Werke entstanden und auf Ausstellungen unterwegs. Meine Werke sind alle Gefühlsbilder mit vielerlei haptischen Materialien, die unter die Farben gemischt werden, wie auch auf die Farben gelegt sind, sodass man bei Bedarf die Bilder auch mit den Händen, betrachten kann.

kobinet-nachrichten: Mit welcher Kunstrichtung befassen Sie sich aktuell?

Silja Korn: Meine gemalten Werke sind allgemein überwiegend abstrakter Natur. In dieser Kunstrichtung lässt sich Blindsein und Kunst allgemein gut vereinen, dass ich also nichts sehen kann und andererseits keine konkreten, gegenständlichen Formen und Figuren auf der Leinwand platziert werden. Mit dieser Kunstrichtung kann ich selbständig hantieren, herumprobieren, mit Farben, Materialien, Händen, Pinsel und so weiter, so wie es aus mir gefühlsmäßig heraus will. Und so sieht ein Käfer, den es in der Natur gibt, dann so aus, wie ich ihn mir innerlich vorstelle.

Beim Thema Fotografie setze ich mich derzeit intensiv mit der Lichtmalerei (Light Painting) auseinander. Bei dieser Fotografietechnik wird mit Licht und Langzeitbelichtung gearbeitet. Das findet in völliger Dunkelheit statt. Der/die Fotograf/in beleuchtet lediglich das gewünschte Motiv mit Licht, das dann zum Beispiel von einer Taschenlampe herrührt. Hierbei kann ich das Set selbstbestimmt aufbauen, nach meinen Vorstellungen gestalten und die Regie selber übernehmen, und mein Motiv, alles was ich ablichten will, so ausrichten und auswählen, wie ich das möchte. Nur bei der Ausrichtung und Einstellung der Kamera nehme ich eine Assistenz und Hilfe in Anspruch, da es als blinder Mensch, ohne helfende Hand und helfendes Auge, doch eher eine Zufallseinstellung werden kann und der Tag dann ohne zufriedenstellende Fotos bliebe. 

Bei der Analyse, wie das Motiv dann im Einzelnen auf dem PC-Bildschirm aussieht und wirkt, wie auch bei der detailreichen Beschreibung des fertigen Fotos, benötige ich auch Assistenz. Jedoch kann ich bei dieser Art und Weise meiner Fotografietechnik bei Weitem mehr Einfluss nehmen als bei der gewöhnlichen Klick-Klick Fotografie.

Nein, für mich ist das kein großartiger Widerspruch in sich, das ich als nicht Sehende visuelle Künste, wie Malen, Fotografieren ausübe. Für mich ist das eine ganz natürliche Sache. Denn ich sehe mit all meinen anderen verbliebenen Sinnen, um Leinwände mit Farben, Materialien zu gestalten, und Fotos zu kreieren. Was mich daran auch reizt ist, wie die Menschen damit umgehen und sich darauf einlassen, dass ich fotografiere und male, auch wenn ich meine Werke selbst nicht, mit meinen Augen, sehen kann.

kobinet-nachrichten: Wo kann man Sie und Ihre Kunst erleben und sehen?

Silja Korn: Überwiegend im Internet, auf meiner Webseite http://siljakorn.de/, aber zum Beispiel auch im August und September in Berlin beziehungswese bei den Wiesbadener Fototagen. Es gibt eine Einzelausstellung in Berlin-Neukölln und eine Dauerausstellung im Berliner Gästehaus Kladow der Gemeinschaft Deutscher Blindenfreunde. Mehrere Mal- und Fotoworkshops gebe ich im September bei unterschiedlichen Veranstaltungen in Berlin.

Meine Motivation als Künstlerin ist an dieser Stelle keine andere, als bei nicht behinderten Künstlern. Ich möchte mit meiner Kunst in erster Linie ausdrücken, was mich bewegt, bedrückt und erfreut: Begebenheiten, die mir im Alltag, zum Beispiel auf dem Weg zur Arbeit, begegnen, oder die mir durch den Kopf gehen.

Ich habe bemerkt, dass BesucherInnen, die in meine Ausstellungen kommen, vorher noch so manche Hemmschwelle im Umgang mit behinderten Menschen haben oder nicht wissen, was sie davon halten sollen, dass jemand, der nichts sieht, unbedingt fotografieren oder malen will. Sie fragen sich, was das soll, wo da der Sinn ist, da die Person doch nicht sieht, was sie fotografiert und gemalt hat. 

Viele verlieren nach einiger Zeit durch das Gespräch mit mir gänzlich ihre Hemmschwellen und manches Vorurteil, zum Beispiel weil wir uns über die Farbgebung des Gemäldes oder des gewählten Motives in meinen Fotoarbeiten austauschen. Oder sie vergessen ihre Vorbehalte mit der Zeit völlig. Das zeigte mir, dass es mit Hilfe von Kunst manchen so viel leichter fällt, sich dem Thema ‚blind‘ anzunähern und auseinander zu setzen. Sicher gibt es immer noch Menschen, auch blinde Menschen, die es nicht nachvollziehen können oder wollen, warum und weshalb ich künstlerisch tätig bin. Davon lasse ich mich nicht beirren. Ich möchte mit meiner Art, Kunst zu schaffen und auszudrücken, der Öffentlichkeit dazu verhelfen, sich Fremdem entspannter nähern zu können und zu begegnen, sowie Menschen dazu anregen, sich erst einmal darüber zu informieren, was es mit der Kunst auf sich hat. Erst dann sollen und können sich andere eventuell eine eigene Meinung bilden, so dass Vorurteile nicht mehr ohne weiteres entstehen können oder hartnäckig fortgesetzt werden.

kobinet-nachrichten: Sie sind in vielerlei Hinsicht eine starke Frau, die viel erreicht hat und ein Vorbild für andere Frauen sein kann. Was hat Sie stark gemacht und macht Sie weiterhin stark?

Silja Korn: Stark wurde ich, weil ich im Laufe meines Lebens gelernt und begriffen habe, mich selbst für meine Belange einzusetzen und mich nicht mehr beirren und abbringen zu lassen. Um so mehr ich mich in mein Leben selbst einbringe und es nicht zulasse, dass andere wohlmeinend meinen, entscheiden zu müssen, was für mich gut zu sein hat, um so mehr wachse ich daran, mich sinnvoll durchzusetzen. Aus all dem ziehe ich neue Kraft, Energie und Ansporn immer weiter zu machen.

kobinet-nachrichten: Welche spannenden Pläne oder Vorhaben haben Sie für 2019? Welche Brücken wollen Sie dieses Jahr noch schlagen?

Silja Korn: Es gibt so vieles, wo ich mein Herzblut hineinstecken würde, doch ist mir bewusst, dass es nicht auch nur annähernd möglich ist. Ich bin ja auch nur ein Mensch! Vorstellen könnte ich mir jedoch, mich im Bereich Kunstvermittlung, Theater sowie Öffentlichkeitsarbeit eventuell noch etwas intensiver einzusetzen. Mir ist es wichtig, dass es die Runde macht, dass auch Menschen mit Behinderung in Museen, Theater und so weiter noch viel mehr beruflich sowie als Besucher zugegen sind und eingebunden werden. Es muss noch mehr Audiodeskription im Theater, Oper und Fernsehen und Kino geben. Die Öffentlichkeit muss verstehen, um was es da eigentlich geht. Darum beteilige ich mich schon seit einigen Jahren daran mitzuhelfen, dass Museen, Theaterhäuser und so weiter barrierefreier werden undsind. Ich arbeite in vielerlei Arbeitsgruppen aktiv mit; gehe an Schulen, spreche über das Thema ‚blind‘ und alles was damit zu tun hat, suche auch das Gespräch außerhalb dieser Veranstaltungen. Daran werde ich zukünftig weiter arbeiten und noch andere mehr dafür motivieren, mit zu machen.

kobinet-nachrichten: Was nervt oder beunruhigt Sie in der heutigen Zeit so richtig?

Silja Korn: Manchmal bin ich total baff aber auch entsetzt, dass es heutzutage immer noch so viele Menschen gibt, die zu wenig über die Themen Blindheit und Behinderung Bescheid wissen. Warum tun sie sich damit so schwer anzuerkennen, dass jeder das Recht hat, sich so zu entfalten und zu leben, wie es sich die Personen auch für sich selbstverständlich wünschen? Warum kann man als behinderter Mensch in der Gesellschaft noch immer nicht so selbstbestimmt sein Leben leben wie man es möchte? 

Mich beunruhigt das Thema Arbeit für behinderte Menschen. Es gibt so viele behinderte Menschen, die ohne Arbeit sind. Warum können wir in manchen Berufen schwer bis gar nicht Fuß fassen? Warum verdienen generell Frauen für dieselbe Arbeit immer noch weniger als ihre männlichen Kollegen? Warum verdienen behinderte Frauen eher selten so viel wie Frauen, die nicht behindert sind, obwohl sie beruflich dasselbe tun? 

Mich nervt, dass ich als behinderte Künstlerin noch lange nicht da ausstellen kann, wo ich gerne möchte. Warum wird meine Art Kunst zu erschaffen als eher eigentherapeutisch angesehen? 

Mich beunruhigt, wie über uns berichtet wird: es wird so verkauft, als wären wir Menschen von einem anderen Stern, oder dass behinderte Menschen überirdische Eigenschaften besäßen, die mich dann so unglaublich außergewöhnlich scheinen lassen und zum spektakulären Vorzeigeobjekt werden lassen. Aus allem entsteht dann wohlmöglich noch ein Bild, das verzerrt darstellt, wie jemand ,der behindert ist, sein Leben führt. Das gefällt mir überhaupt nicht! Besser finde ich, dass ganz natürlich, authentisch und lebensnah über uns berichtet wird.

Mich beunruhigt, dass es mehr und mehr Gruppierungen gibt, die viel dafür unternehmen, dass das Zusammenleben in der Gesellschaft eher negativ behaftet und dadurch beeinflusst wird . Es entartet mehr und mehr und geht in die Richtung, Unfrieden zu stiften, als dafür zu sorgen, dass es friedlich bleibt. Das macht mir Angst, dass das friedvolle Zusammenleben damit gestört und schließlich abhanden kommt.

kobinet-nachrichten: Und worüber freuen Sie sich beziehungsweise welche Wünsche sind für Sie noch offen?

Silja Korn: Ich freue mich, dass es weitere Mitbürger gibt, die sich ebenso dafür stark machen, das zu wahren ,wofür sich unsere Vorfahren einsetzten, dass wir da gemeinsam an einen Strang ziehen, um dem negativen Strom energisch entgegen zu wirken. Es freut mich, dass es in vielen Bereichen merklich offener zu geht und allerhand Bereitschaft mobilisiert wird, noch mehr dafür zu tun, zu geben und zu wollen.

Mein Wunsch ist es, das ‚Schubladendenken‘ zu ordnen, wie jeder Einzelne zu sein hat oder ist. Dieses Denken soll nicht mehr vorhanden sein und das Denken in den Köpfen aller soll sich so ändern, dass es keine Unterschiede mehr gibt, egal in welchen Bereichen das auch sein wird!

kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.

Links zu weiteren Berichten über Inklusionsbotschafter*innen unter dem Motto „Was macht …?

Was macht Alex Ernst? – kobinet-nachrichten vom 7. Juli 2019

So tickt Ines Helke? – REHACARE Magazin vom 19. Juni 2019

Was machen Janis Geiger und Roland Walter? – kobinet-nachrichten vom 16. Juni 2019

Was macht Rose Jokoc – kobinet-nachrichten vom 5. Juni 2019

Was macht Mechthild Kreuser – kobinet-nachrichten vom 16. Mai 2019

Was macht Jürgen Linnemann? – kobinet-nachrichten vom 16. April 2019

Was macht Tina Jahns? – kobinet-nachrichten vom 14. März 2019

Was macht Lul Autenrieb? – kobinet-nachrichten vom 12. März 2019

Was macht Felicitas Duijnisveld? – kobinet-nachrichten vom 28. Februar 2019

Was macht Graf Fidi? – kobinet-nachrichten vom 13. Januar 2019

Was macht Birger Höhn? – kobinet-nachrichten vom 10. Januar 2019

Armin Rist: Viel unterwegs für Inklusion – kobinet-nachrichten vom 20. November 2019