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Was machen Janis Geiger und Roland Walter?

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BERLIN (KOBINET) Die Inklusionsbotschafter Janis Geiger und Roland Walter aus Berlin engagieren sich auf vielfältige Weise für die Inklusion und sind besonders im kulturellen Bereich aktiv. Die Projektleiterin des von der Aktion Mensch Stiftung geförderten und von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) durchgeführten Inklusionsbotschafter*innen-Projektes, Susanne Göbel, sprach mit den beiden, die u.a. derzeit beim Zirkus bzw. als Clown aktiv sind, was sie so alles machen und was es zur Inklusion in ihrem Bereich bedarf.



kobinet-nachrichten: Marcel Marceau, ein berühmter französischer Pantomime, hat einmal gesagt „Finden uns die bewegendsten Momente im Leben nicht ohne Worte?” Janis Geiger und Roland Walter, Sie sind im Zirkus bzw. als Clown aktiv und nutzen für Ihre Kunst auch Körpersprache. Was bedeuten Marceaus Worte für Sie und Ihre Ausdruckskunst?

Janis Geiger: Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. Ich stimme der Aussage von Marcel Marceau zu. In meiner Ausdruckskunst arbeite ich hauptsächlich mit dem Körper und mit wenigen Worten. Zusammen mit anderen Menschen lernen und üben wir, unsere Körper auf bestimmte Arten zu bewegen, indem wir uns Bewegungen gegenseitig zeigen und uns durch die Bewegungen ausdrücken. Ich sehe, dass viele Personen überwältigende Momente erleben, wenn sie etwas mit ihrem Körper schaffen, dass sie vorher noch nicht konnten oder was sie nicht von sich selbst erwartet hatten.

Ich denke auch, dass die bewegendsten Momente im Leben die sind, in denen wir uns (plötzlich) außerhalb unserer Komfortzone befinden, und das sind oft körperliche Erlebnisse oder besondere Sinneswahrnehmungen.

In der heutigen Zeit, in der wir viel mit digitalen Medien zu tun haben, werden immer weniger bewegende Momente erlebt. Mir ist aufgefallen, dass Menschen oft viel über Dinge oder Vorhaben reden; sie in die Tat umzusetzen fällt aber schwer. Wenn wir es schaffen, diesen Widerstand zu überwinden und anfangen ‚einfach mal zu machen‘, können wir erleben, was daraus entstehen kann und wie sich die Realität gestaltet, die wir uns vorher vielleicht ganz anders vorgestellt haben.

Hierzu ein Beispiel: Es wird viel über Umweltverschmutzung und Nachhaltigkeit gesprochen und die aktuelle Entwicklung problematisiert. Anstatt viel darüber nachzudenken und sich zu ärgern, können wir, also jeder einzelne Mensch, schauen, dass wir zum Beispiel weniger Plastik kaufen und beim Spaziergang im Park oder beim Warten auf die Straßenbahn den umliegenden Müll selbst in den Mülleimer befördern. Natürlich löst das nicht das globale Problem, aber es ist ein Anfang und es wird selbst Verantwortung übernommen.

Roland Walter: Aus meinen Erfahrungen kann ich mit Körpersprache und Kunst die Menschen tiefer erreichen, als nur mit Worten. Kunst bewegt und verbindet Leute – groß und klein. Und die Ausdruckskunst kennt keine Sprachbarrieren. So darf ich international die Menschen beglücken.

kobinet-nachrichten: Janis Geiger, Sie arbeiten seit März 2019 beim Berliner Kinder- und Jugendzirkus Cabuwazi mit, der sich selbst als „chaotisch bunter Wanderzirkus“ bezeichnet. Was müssen wir uns unter einem bunten Wanderzirkus vorstellen und was genau machen Sie dort?

Janis Geiger: Den CABUWAZI gibt es schon seit 25 Jahren in Berlin. In dieser Zeit ist er innerhalb der Bezirke und Stadtteile immer wieder gewandert, ab und zu wurden die Plätze mitsamt den Zelten gewechselt. Chaotisch und bunt ist der CABUWAZI zum Beispiel weil sich dort viele junge und alte Menschen verschiedener Kulturen und Hintergründe treffen und gemeinsam das Geschehen gestalten. Da kann es schon mal vorkommen, dass in einem Training in fünf verschiedenen Sprachen kommuniziert wird. Die Plätze sind außerdem kreativ, bunt und liebevoll gestaltet, es wird viel selbst gebaut und angemalt.

Was ich dort mache? Ich füge mich mit meinen Eigenheiten in das bunte Chaos ein und erzeuge noch mehr davon. Gefördert werde ich ein Jahr lang als Experte für dieses chaotisch-bunte Projekt vom Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung mit dem Förderprogramm „Durchstarten“. Chaos erzeuge ich dadurch, dass ich ein großes Gerüst mit integrierten Mauern gebaut und ins Zelt gestellt habe, mit dem wir zum Beispiel Kombinationen aus Parkourbewegungen und Trampolin ausprobieren. Daraus soll Ende des Jahres eine große, bunte Show entstehen.

kobinet-nachrichten: Roland Walter, Sie haben sich einen lang gehegten Traum erfüllt und sich in den letzten Jahren zum Clown ausbilden lassen. Im Mai waren Sie mit Ihrem Clownprojekt eine Woche lang in einer Berliner Schule aktiv. Wie ist es dem Clown Roland ergangen und was war Ihre Rolle?

Roland Walter: In einem Clownworkshop stellte sich heraus, ich brauche keinen Clown zu spielen, ich bin ein Clown. Von daher habe ich ich auch keinen Künstlernamen.

So hat alles angefangen: Ich, Inklusionsbotschafter, Performer und ein Mensch mit Spastischer Tetraplegie mit Athetosen bin 2017 auf Barbara Duss getroffen – auf dem Bahnsteig vor dem Theaterhaus Mitte. Sie ist Clownin und Theaterpädagogin, aktiv in der Behindertenhilfe als Theaterpädagogin und engagiert für Clowns ohne Grenzen. Wir wurden einander vorgestellt. Kaum war die vorstellende Person weg, fuhr ich mit meinem Rollstuhl in einem Affentempo auf die andere Seite des Bahnsteigs und eine Frau im Alter von Barbara Duss hechtete hinterher. Frau Duss folgte der Situation gemächlich und meinte, endlich mit ihrer Kniearthrose am anderen Ende des Bahnsteigs angekommen: „Es ziemt sich nicht für einen Gentleman, zwei Damen auf dem Bahnsteig stehen zu lassen und einfach davonzufahren.“ Ich musterte die zwei eher molligen Frauen von oben bis unten und antworte mit einem schelmischen Lachen: „Ich wollte Euch nur trainieren.“ Es wurde herzlich gelacht, Karten ausgetauscht und auf meine Anfrage „Wollen wir zusammenarbeiten?“ und der Antwort von Barbara Duss „Was, Workshop, Clownsstück, Theaterstück?“ kam „Clownsstück“.

Daraus entstanden ist die Idee eines frechen Clownsstücks, dass die Rollen auf den Kopf stellt. Inklusion pur. Inklusion einmal anders als zwei gleichberechtigte Clownspartner und Komödianten auf der Bühne. In den Anproben mit Susie Wimmer, einer erfahrenen Clownsregisseurin aus München, kam ein Handlungsfaden zustande, der Möglichkeiten bietet, ein ganzes Stück zu werden über die Beziehung einer Clownin zu einem Performer, der wissen möchte, was ein Clown ist. Zufällig ist der Performer behindert, was die Clownin vorher nicht wusste.

Dieses Clownstück haben wir im Mai in der Berliner Grundschule Ostseekarree als Lehrstück in Verbindung mit Workshops angeboten. Es war ein toller Erfolg. Die 50 Kinder der 4. Klassen hatten viel Spaß dabei. Die Kinder der zwei Klassen verabschiedeten mich persönlich auf dem Schulhof. Man sah mich dann fast nicht mehr. Und die Kinder, die mich nicht kennen aus anderen Klassen schauten neugierig und interessiert und merkten, ja da ist was passiert. Selbst die größten Rabauken hatten Respekt vor mir. Es waren hauptsächlich Kinder mit Migrationshintergrund. Ich glaube es tat ihnen gut zu sehen, da ist jemand, der auch Schwierigkeiten hat. Allerdings haben sie eine Weile gebraucht, um zu begreifen, ich bin wirklich behindert und spiele es nicht.

kobinet-nachrichten: Sie sind beide starke (Lebens-)Künstler, die andere Menschen stärken wollen. Und Sie leben mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen. Wie offen erleben Sie die Kinder und Jugendlichen, mit denen Sie jetzt zusammenarbeiten? Und wofür interessieren sich die Kinder und Jugendlichen vor allem: für Ihre Kunst und für das, was Sie damit vermitteln wollen, oder für Ihre Beeinträchtigung?

Roland Walter: Sie sind neugierig. Genau dort müssen wir ansetzen, um Inklusion mit Leben zu füllen. Mir macht die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen viel Spaß.

Janis Geiger: Ich erlebe die Kinder und Jugendlichen im Zirkus CABUWAZI insgesamt als sehr offen, meist offener als in meinen bisherigen Erfahrungen in anderen Institutionen. Natürlich gibt es auch Unterschiede zwischen den Kindern und Jugendlichen, es sind nicht alle gleich. Erstaunlicherweise interessieren sich die Kinder und Jugendlichen mehr für meine Sprache, also wie wir miteinander kommunizieren können, anstatt für das Taubsein an sich. Aber der Fokus liegt wirklich auf dem gemeinsamen Bewegen, das ja, wie schon erwähnt, super mit Körpersprache funktioniert.

kobinet-nachrichten: Inklusion ist Ihnen ein wichtiges Anliegen. Wie leben und erleben Sie Inklusion im Zusammenhang mit dem Zirkus- bzw. dem Clownsprojekt? Was war für Sie die größte Herausforderung und was der größte Erfolg?

Janis Geiger: Je bunter sich die Menschen treffen und mischen, desto fortgeschrittener ist die Inklusion. Im Vergleich zu ehemaligen Erfahrungen im Arbeitsbereich erlebe ich vor allem das Team in diesem Zirkus als sehr offen für den Inklusionsansatz, weil es nicht um Profitinteressen geht, sondern wir in einem sozialen Projekt zusammenarbeiten. Da stehen die Akzeptanz, Anerkennung und Förderung jedes einzelnen Menschen mit all seinen besonderen Eigenschaften und Fähigkeiten viel mehr im Vordergrund. So haben die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen auch mehr Möglichkeiten, sich in ihrer Individualität zu entfalten. Ich erlebe es so, dass der Zirkusplatz des CABUWAZI eben diesen Raum bietet, sich mit eigenen Ideen zu entwickeln und Verschiedenes auszuprobieren, auch wenn das Ergebnis erst einmal ungewiss ist. Die Atmosphäre ist nicht so sehr zielorientiert, sondern eher prozessorientiert und flexibel, sodass niemand „perfekt“ sein muss. Die größte Herausforderung ist für mich, an mir selbst zu arbeiten, um mich in das chaotische, bunte Leben einzufügen.

Roland Walter: Kunst bietet unzählige Möglichkeiten, um Menschen Inklusion zu erklären und erfahrbar zu machen. Der größte Erfolg ist immer, wenn Menschen zu Tränen gerührt nach Hause gehen.

kobinet-nachrichten: Was bräuchte es, um Sie gemeinsam in diesen neuen Rollen erleben zu können?

Roland Walter: Das ist nicht schwierig. Einfach aufeinander zugehen und ein Projekt planen und durchführen.

Janis Geiger: Vielleicht eine Einladung von mir an Roland Walter auf den CABUWAZI Platz oder gerne eine gemeinsame Show. Ich bin dafür ganz offen.

kobinet-nachrichten: Janis Geiger, Sie sind auch Inklusionsbotschafter der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL). Was liegt Ihnen in diesem Zusammenhang besonders am Herzen und gibt es für 2019 schon weitere spannende Pläne?

Janis Geiger: Mein Motor, zur Inklusion beizutragen, ist inzwischen stark angetrieben, da ich ja im alltäglichen Leben immer wieder meine Komfortzone verlasse. Durch die Begegnungen mit Menschen ergeben sich ständig Handlungen im Sinne der Inklusion, da nicht viele Menschen vorher schon Kontakt mit Gebärdensprache hatten und sie durch den Austausch mit mir neue Anstöße erhalten. Pläne und Projekte entstehen immer wieder spontan durch genau solche Begegnungen.

Roland Walter: Bei mir stehen noch viele Projekte an: in Südkorea, Australien, Brasilien und Burkina Faso. Nicht zuletzt das Aussicht-Festival in Hamburg, welches ich mit organisiere.

kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.

 

Links zu weiteren Berichten über Inklusionsbotschafter*innen unter dem Motto „Was macht …?

Was macht Rose Jokoc – kobinet-nachrichten vom 5. Juni 2019

Was macht Mechthild Kreuser – kobinet-nachrichten vom 16. Mai 2019

Was macht Jürgen Linnemann? – kobinet-nachrichten vom 16. April 2019

Was macht Tina Jahns? – kobinet-nachrichten vom 14. März 2019

Was macht Lut Autenrieb? – kobinet-nachrichten vom 12. März 2019

Was macht Felicitas Duijnisveld? – kobinet-nachrichten vom 28. Februar 2019

Was macht Graf Fidi? – kobinet-nachrichten vom 13. Januar 2019

Was macht Birger Höhn – kobinet-nachrichten vom 10. Januar 2019

Armin Rist: Viel unterwegs für Inklusion – kobinet-nachrichten vom 20. November 2018