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Tote Fische

Roland Frickenhaus
Roland Frickenhaus
Foto: Roland Frickenhaus

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UNBEKANNT (KOBINET) Weil ohne Ziel jeder Weg richtig ist, kann es vorkommen, dass sich einem da plötzlich die eigene Meinung in den Weg stellt. Das sind typische Anfängerfehler, die Profis schon lange nicht mehr begehen. Sie wissen: Ohne Meinung lebt sich's im Neoliberalismus eindeutig besser. Gefragt ist Pragmatismus statt "Sozialromantik".

Die Zahl der toten Fische steigt bedrohlich an...

Aber nicht nur die aktuelle Politik bietet Stoff zum Nach- und Weiterdenken, auch in der Eingliederungshilfe rumort es und auch hier geht es nicht wirklich sanft zu. Kein Wunder, denn in der Eingliederungshilfe, die manchmal „Behindertenhilfe“ oder einfach nur „Teilhabe“ heißt, geht es um sehr viel Geld. Und immer da, wo es um sehr viel (Geld) geht, sind automatisch auch immer Menschen beieinander, die sehr unterschiedliche Interessen verfolgen.

Erinnert sei beispielsweise an den Versuch der Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM), den Begriff „Inklusion“ so zu deuten, dass Inklusion erst dann gegeben ist, wenn es auf dem deutschen Arbeitsmarkt auch WfbM’s gibt. Wir merken uns: Wo keine Sonderwelt ist, ist auch keine Inklusion!

Das ist nur ein Beispiel von vielen. Und öfter als man mag und verkraften kann, stößt man auf Formulierungen, die nicht vom Verstand, sondern vom Interesse geleitet sind.

Hier ein weiteres Beispiel:

§ 2 Freie Wahl des Wohnortes, Mindestanforderungen

 (1)    Um den Bewohnerinnen und Bewohnern eine selbstbestimmte Lebensführung und volle Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen, haben diese das Recht nach Artikel 19 Buchst. a des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, ihren Aufenthaltsort frei zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben wollen. Sie nicht verpflichtet, in besonderen Wohnformen zu leben.

(2)    Die in § 1 genannten stationären Einrichtungen und Wohnformen von Bewohnerinnen und Bewohnern können frei gewählt werden. Diese Einrichtungen und Wohnformen haben die Mindestanforderungen der §§ 3 bis 16 zu erfüllen, soweit nach den §§ 17 und 18 die zuständige Behörde nicht etwas Anderes bestimmt.

Dieses stilistische Meisterwerk kann man übrigens im Referentenentwurf „Verordnung über bauliche Mindestanforderungen für stationäre Einrichtungen und sonstige nicht selbstorganisierte Wohnformen nach dem Wohn- und Teilhabegesetz des Landes Sachsen-Anhalt“ nachlesen.

Also, wer so formulieren kann, der ist sicherlich nicht intellektuell eingeschränkt. Es muss andere Gründe haben, wenn man solchen Unsinn schreibt und mal eben aus dem Wunsch- und Wahlrecht ein Wunsch- und Auswahlrecht für eine Sonderwelt macht.

Da hat man sich mit sechszehn, als man mitten in der Sturm- und Drangzeit war, so schlaue Sprüche wie: „Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom“ oder: „Seien wir realistisch, versuchen/ fordern wir das Unmögliche“  an die Pinnwand geheftet, und kaum ist man 2 oder 3 mal 16 Jahre alt, hat Familie, einen sicheren Job und gerade sein Haus gebaut, da sind die Sprüche mit den toten Fischen und der Utopie lästig und da geht es plötzlich um Opportunismus und um irgendetwas, das man zu regeln hat und von dem man wie selbstverständlich annimmt, dass es niemals mit einem persönlich zu tun haben wird.

Schon gewusst, dass sich zur Beschreibung des Hilfebedarfs eines Menschen mit Teilhabeanspruch schlaue Leute die Formulierung „kognitive Inkompetenz“ ausgedacht haben? Und auch hier wird es sicher nicht an fehlender Bildung liegen. Welchen Leistungsanspruch hat eigentlich eine „kognitiv inkompetente“ Person? Was ist das überhaupt und wer mag das beurteilen? (Wer mich in Peking auf den Hauptbahnhof stellt und mir die Aufgabe gibt, dass ich von dort zum Flughafen gehen soll, der wird mich vermutlich „kognitiv inkompetent“ erleben…)

Im neoliberalen Mainstream geht der Eingliederungshilfe die Ethik abhanden und keinen scheint’s zu stören. Die Behindertenhilfe ist stolz, dass sie erwachsen ist und dass aus den „Sorgenkindern“ von einst nun „Leistungsberechtigte“ geworden sind. Das kann man gut finden oder auch nicht. In jedem Fall aber zeigt es, wie man im Kontext der Sozialen Marktwirtschaft („Sorgenkind“) gedacht hat und wie man aktuell im neoliberalen postdemokratischen Kontext („Leistungsberechtigte*r“) denkt.

Es ist schon eine interessante Frage, ob ein „Sorgenkind“ gesellschaftlich stärker vor möglicher politischer Willkür geschützt ist und ob es eher mit gesellschaftlicher Solidarität rechnen kann als eine Person, die „leistungsberechtigt“ ist. (Anmerkung: Wer mit 65 Jahren erstmals Teilhableistungen beantragt, ist nicht mehr leistungsberechtigt. Das klingt sachlich korrekt, tut nicht weh und kann „bedenkenlos“ verwaltungstechnisch abgearbeitet und beschieden werden, auch wenn es fachlich falsch ist. Und das „Umswitchen“ von SGB XII (SGB IX) in SGB XI gelingt übrigens mit einer solchen Denke auch wesentlich flüssiger…)

Es geht aktuell um zweierlei: Einerseits, Scharlatanen, die bewusst Dinge interessengeleitet interpretieren und umdeuten, die Stirn zu bieten und andererseits, sich dafür starkzumachen, dass Formulierungen nicht ethisch entleert werden. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Ethik einknickt und dass sie vor lauter Faszination vor neuen Gesetzen und Begriffen nicht hinterherkommt, sich eigene Gedanken zu machen.

Das ist übrigens bei der ganzen Diskussion um die „richtige“ Methode zur Erfassung von Hilfebedarfen genauso. Verdammt, es geht um Leistungen und nicht um Bedarf! Und es geht vor allen Dingen darum, dass ein festgestellter Bedarf nicht automatisch eine (fachlich zwingend gebotene quantifizierte/ quantifizierbare) Leistung generiert, auf die ein Rechtsanspruch bestehen würde. Alles, was nach der Bedarfsermittlung kommt, sind Aushandlungsprozesse. Wieso sagt das niemand? Ein intellektuelles Problem scheint da jedenfalls nicht vorzuliegen.

Es ist mir in der ethischen Ecke zu still geworden. In den letzten Monaten haben wir zuhauf Informationen zur Umsetzung des BTHG erhalten, da ist gepowerpointet und genewslettert worden, dass die Schwarte kracht. Und nun stellen wir fest, dass zwar der Kopf dröhnt, aber das Herz unterversorgt geblieben ist.

Höchste Zeit, sich die Landesrahmenverträge zu nehmen, und zu schauen, wie sich die Konkretisierung des BTHG moralisch anfühlt. Und bevor es um inhaltliche Details geht, dürfte das erste Kopfschütteln schon vorprogrammiert sein, wenn die Länder melden würden, wie sich die einzelnen „maßgeblichen Interessenvertretungen“ zusammensetzten, wer sie mandatierte und wie intensiv sie bei den jeweiligen Verhandlungen eingebunden waren.

Die Bilanz dürfte ernüchternd sein und einen weiteren Hinweis dafür liefern, dass es Zeit für ethische geleitete Fachdiskussionen rund um den Themenkomplex „Teilhabe“ (UN-BRK, BTHG,…) ist. Mit dem BTHG ist Verwaltungswille umgesetzt worden, der darauf wartet, menschenrechtlich bewertet zu werden -nicht umgekehrt!

So könnte etwa ein (Behinderten-)Verband oder eine Initiative jährlich zum „Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen“ diejenigen auszeichnen, die sich besonders dreist Begriffe aneignen und die aus subjektivem Interesse Menschen mit Behinderungen schaden.

Dem Thema (Betroffene, Akteure) täte eine breite Diskussion mehr als gut, in der es nicht um einzelne Paragrafen (des BTHG) sondern in der es um den Geist geht, der in den und durch die Paragrafen zum Ausdruck kommt. Ohne einen (ethisch-moralisch-fachlich-…) fundierten und gefestigten Standpunkt, von dem aus wir bewerten, wichten und streiten, bleibt einem sonst nur die Rolle des „willigen Vollstreckers“.

Womit wir wieder bei den toten Fischen wären…