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BERLIN (KOBINET) Die Inklusionsbotschafterin Alex Ernst konnte sich einen weiteren Traum verwirklichen. Sie hat es geschafft, dass Sie derzeit an einer Peer Counseling Weiterbildung teilnehmen kann. Die Projektleiterin des von der Aktion Mensch Stiftung geförderten und von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) durchgeführten Inklusionsbotschafter*innen-Projektes, Susanne Göbel, sprach mit Alex Ernst über ihr Verständnis von Peer Counseling und wie es in der Weiterbildung für sie läuft.
kobinet-nachrichten: Sie sind seit einigen Jahren Inklusionsbotschafterin, kümmern sich um Leichte Sprache und schreiben Bücher. Seit diesem Jahr verwirklichen Sie sich einen Traum: Sie lassen sich über das Bildungs- und Fortbildungsinstitut zum selbstbestimmten Leben Behinderter (bifos) zur Peer Counselorin weiterbilden. Was reizt Sie an dieser Weiterbildung?
Alex Ernst: In meinen Beruf als Sozial-Assistentin wollte ich aus verschiedenen Gründen nicht zurück. Ich wollte etwas machen, wo ich Menschen einen Teil ihres Weges begleiten kann. Ich merkte, dass mir die Arbeit mit Menschen liegt.
Alex Ernst: Peer Counseling ist eine Beratung, in der ich doch immer selbstbestimmt bleiben kann: ich selbst und die Menschen, die zur Beratung kommen. Peer Counseling hat nichts von Zwang. Der Berater oder die Beraterin ist nicht höher als die Person, die beraten wird. Das ist so oft in sozialen Berufen der Fall.
kobinet-nachrichten: Wo sind Sie Peer Counseling das erste Mal begegnet und was macht diese Art der Beratung für Sie so positiv?
Alex Ernst: In gewisser Weise habe ich das durch die Kellerkinder in Berlin erlebt: da hat Beratung anders funktioniert. Das war gut für mich. Da hat man mit mir nach Wegen gesucht, ohne mir meine Entscheidungsfähigkeit und Selbstbestimmung abzusprechen, ohne mir eine andere Meinung überzustülpen und zu mir zu sagen, dass man weiß, was für mich gut ist.
Ich kenne die andere Seite im Zusammenhang mit Einzelfallhilfe, die ich bekommen habe. Da hat man mich oft zu Dingen gezwungen, die in dem Moment gut für mich sein sollten. Und ich habe in einer Werkstatt für behinderte Menschen gearbeitet, da war es genauso. Wir Werkstattmitarbeiterinnen waren die unfähigen, kleinen Menschen und die Anleiter waren wie die großen Bosse.
kobinet-nachrichten: Sie haben im Internet nach den Wörtern selbstbestimmte Beratung gesucht und sind auf die Peer Counseling Weiterbildung von bifos gestoßen. Was ging Ihnen beim Durchlesen der Informationen durch den Kopf?
Alex Ernst: Mein erster Gedanke war: „Geil, das will ich machen.“ Und der zweite: „Oh Gott, schaffe ich das überhaupt?“
kobinet-nachrichten: Was hat Sie dann weiter machen lassen und wie war der Weg bis Sie zu der Weiterbildung zugelassen wurden?
Alex Ernst: Ich hatte immer den Gedanken, dass das genau das ist, was ich machen will, weil es mir liegt. Für mich ist zum Beispiel gut, dass die Lern-Blöcke in weiteren Abständen sind. Also habe ich mir gedacht: „Hey, ich habe schon so viel geschafft, dann schaffe ich das auch. Denn ich kann jetzt Lesen und Schreiben. Meine erste Ausbildung zur Sozial-Assistentin habe ich noch als funktionale Analphabetin gemacht. Dann habe ich meine Bewerbung hingeschickt. Das Schreiben war leicht.“
Herausfordernd war das Thema Geld, es zusammen zu bekommen. Es war schwer, um Hilfe zu fragen, zum Beispiel durch Crowdfunding, und dann auch Hilfe anzunehmen.
kobinet-nachrichten: Die ersten beiden Weiterbildungsblöcke liegen hinter Ihnen. Wie geht es Ihnen jetzt damit?
Alex Ernst: Ich habe es nicht bereut! Gerade im zweiten Block habe ich gemerkt, dass ich genau richtig bin und mein Wunsch hat sich noch verfestigt.
kobinet-nachrichten: Gab es einen besonderen Schlüsselmoment?
Alex Ernst: Es ging viel um unsere eigenen Behinderungsgeschichten und da habe ich gemerkt: mich kann nicht so viel schocken, wie die anderen Geschichten und persönliche Schicksalsschläge. Ich bin nicht so schnell aus der Bahn zu schmeißen und habe die Fähigkeit, Menschen einschätzen zu können. Ich kann mit Verständnis auf deren Situation und Verhalten reagieren.
kobinet-nachrichten: Ihre erste Ausbildung war für Sie als ehemals funktionale Analphabetin eine große Herausforderung. Wie gehen Sie mit ihrem Anspruch und den Erwartungen der anderen in der Weiterbildung zur Peer Counselorin um?
Alex Ernst: Zwischendurch dachte ich, ich bin ein bisschen fehl am Platz, was will ich hier überhaupt, denn viele andere haben studiert. Und dann komme ich mit meiner futzeligen Ausbildung daher und habe seit Jahren nicht mehr in meinen Job gearbeitet. Das hat sich im zweiten Block relativiert. Zwischendurch denke ich immer noch, dass es komisch ist, eine der wenigen mit meiner Beeinträchtigung zu sein, obwohl alle super damit umgehen und ganz toll sind. Aber das ist ein Film, der in meinem Kopf stattfindet.
kobinet-nachrichten: Haben Sie besondere Ziele und Wünsche für die Weiterbildung?
Alex Ernst: Natürlich erst einmal die Weiterbildung zu bestehen. Und ich würde gerne liebevoller mit mir und meinen Herausforderungen umgehen können. Ich wünsche mir, dass ich genauso viel Verständnis für mich aufbringen kann, wie ich es für andere auch kann.
Aber das hat sich seit dem letzten Mal und den vergangenen Wochen schon verändert.
kobinet-nachrichten: Sie machen anderen Menschen durch all die Dinge, die Sie schon erreicht haben, Mut. Wie bleiben Sie trotz aller Herausforderungen an Dingen dran, die schwer sind?
Alex Ernst: Dinge dürfen sich verändern, Veränderung ist gut. Aber man muss dranbleiben. Veränderung erfordert Geduld und Kraft. Ja, man kann sich Kraft holen und man muss erkennen, dass die Kraft auch in einem selbst drin ist.
kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.
Links zu weiteren Berichten über Inklusionsbotschafter*innen unter dem Motto „Was macht …?
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