Schwerin (kobinet) Die Meldungen von Schließungen von Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) wegen der Corona-Krise haben mittlerweile flächendeckenden Charakter erreicht. Wie es jedoch um behinderte Menschen steht, die nun nicht mehr in die Werkstätten gehen, davon hört man wenig.
Die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern hat am 19. März die Schließung von sozialen und pflegerischen Einrichtungen als Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Epidemie beschlossen. „Dazu gehören in erster Linie Werkstätten für behinderte Menschen, Tagesfördergruppen an Werkstätten für behinderte Menschen und Tagesstätten für behinderte Menschen“, sagte die Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Stefanie Drese. In den Behindertenwerkstätten von Mecklenburg-Vorpommern sind ungefähr 8.300 Menschen mit Behinderung tätig. Die Bestimmungen gelten ab dem 20. März 2020 bis zum 19. April 2020. Zuvor hatten bereits einige andere Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen bereits die Schließung von Werkstätten und anderen Einrichtungen zu Beginn der Woche beschlossen.
Für Cindy Davi vom Zentrum für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen (ZsL) Bad Kreuznach ging diese Entwicklung im föderalen Deutschland viel zu langsam. „Die Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfBM) hier in Bad Kreuznach schließen trotz der kritischen Lage erst heute (20.03.20), im Gegensatz zu den Schulen, Kitas, Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen, die bereits seit Montag geschlossen sind. Den Beschäftigen der Werkstätten fällt es schwer, die Niesetikette, Handhygiene und auch andere Regeln einzuhalten. Und abgesehen von den Hygieneregeln, befinden sich die Beschäftigten die ganze Zeit über in großen Räumen und teilen sich eine Mensa. Zudem gehören viele dieser Menschen ohne Zweifel zur Risikogruppe derer, die häufig schwer am Coronavirus erkranken“, erklärte Cindy Davi letzte Woche in einem Hinweis an die Presse auf diese prekäre Situation.
Der Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen der bayerischen Staatsregierung hat auf seiner Internetseite neben einer Reihe von anderen Informationen zum Corona-Virus in Leichter Sprache, auch eine Information in Leichter Sprache zur Schließung der Werkstätten für behinderte Menschen eingestellt.
Link zu allgemeinen Informationen zum Coronavirus in Bayern in Leichter Sprache
Mittlerweile dürften wohl fast alle Werkstätten im Bundesgebiet geschlossen sein. Wie es den Menschen geht, die bisher in Werkstätten gearbeitet haben und nun zu Hause oder in einer Wohneinrichtung sind und welche Unterstützung sie nun bekommen, darüber gibt es so gut wie keine Informationen. Vielleicht hat die eine oder der andere Leser*in Erfahrungsberichte dazu und schreiben dazu einen Leser*innenbrief?
Hallo,
ich bin Werkstattrat in einer WfbM und lese hier des öfteren mit und will auch was beitragen.
Habe die Angelegenheit in der Werkstätte miterlebt. Ich habe den pädagogischen Leiter am 16.3. auf die Schließung von Schulen hingewiesen. Er sagte, Werkstätten hätten den Auftrag Beschäftigung anzubieten und dürften nicht schließen solange es keine offizielle Anordnung gäbe.
Selbst als es am darauffolgenden Tag den ersten Corona-Fall in einer Zweigwerkstätte unseres Werkstattverbundes gab wurde nur diese Zweigwerkstätte (bzw. die Personen darin) auf Anordnung für 2 Wochen unter Quarantäne gesetzt.
Der LKW-Fahrer z.B. allerdings nicht, obwohl er zwischen den Zweigwerkstätten pendelt. Erst auf Beschwerden von Angehörigen beim Landrat hatte dieser dann kulanterweise die kompletten Schließungen erwirkt, offenbar sogar über das Gesundheitsamt hinweg. Erstmal für 4 Wochen.
Unser Sozialdienst ist war allerdings in Sorge, dass v.a. psychisch Behinderte „in Krisen kommen“ würden, wenn sie jetzt keine Beschäftigung haben. Wird man sehen müssen…
Hallo Herr oder Frau Werkstattrat,
danke für ihr Feedback!
Es ist einfach beschämend, wie die Schließung der Werkstätten derzeit gehandhabt wird – klar können nicht alle Eltern und Angehörige derzeit sofort eine Betreuung während der Öffungszeiten der WfbM sicherstellen – aber manchmal muss man abwägen: „Psychische Krise“ oder „Leben und Tod“!
Eine WfbM ist nach einem Kindergarten sicherlich unter Aspekten des Infektionsschutzes die am schlechsten eignete Form der „Unterbringung“ derzeit….
Ich habe hier mal in „schwerer Sprache“ geschrieben, falls sie Nachfragen haben, gerne, denn schreibe ich es einfacher…
Hmm,
als ich vor 6 Tagen an dieser Stelle: https://kobinet-nachrichten.org/2020/03/18/corona-ist-besondere-herausforderung/#disqus_thread den hinterlegten Beitrag kommentierte, hatten wir rund 12.000 Infizierte, 2 Tage später habe ich meinen Appel hier: https://kobinet-nachrichten.org/2020/03/20/petition-zeigt-erste-erfolge/#disqus_thread deutlich wiederholt, da lagen wir bei knapp 20000 Infizierten!
Auf beide Kommentare gab es keinerlei Feedback – dabei war schon am 18.3. klar, dass rein rechnerisch rund 50 Personen auf WfbMs und Tagesstätten infiziert sein müssen (klar, die meisten waren nicht gerade in Österreich zum Ski-Urlaub, andererseits ist dies eine besonders vulnerable Gruppe, sodass beide Aspekte sich egalisieren).
Die Frage nach der gesellschaftlichen Teilhabe stellt sich somit gar nicht mehr, es ist eine Frage danach, wieviele „Heiminsassen“ überleben werden und welche Modelle hier noch „schadensbegrenzend“ wirken können, sorry – face it!
Für die nichtinstitutionalisierten behinderten Menschen kann die Unterstützung derzeit vorallem darin bestehen, dass sie Angehörigen betreut werden – für die „Heiminsassen“ muss man das Fach weiter öffnen – für die Betreuung dort ist gerade „Weihnachtsurlaub“ – d.h. irgendwie muss man 2 Wochen ohne WfbM überbrücken – da Ausflüge, Freizeiten und co. flachfallen, muss dies möglich sein. Die WfbM-Beschäftigten (also die „Gruppenleiter“) sollten möglichst die nächsten 2 Wochen den Weisungen der Bundesregierung und des RKI folgen, damit sie suggessiv Teile der Betreuung in den Heimen übernehmen können. Tausende Integrationshelfer in den Schulen sind quasi faktisch schon seit 11 Tagen (Schulschliessungen am 13.3.) in Quarantäne und stehen damit ab Freitag ebenfalls zur Unterstützung bereit….
Und – wichtig – und hier auch schon gepostet: In der EGH liegt erhebliches Potential an pflegerisch ausgebildetem Personal, was wir demnächst in den KHs brauchen!
Sorry, wenn wir nicht demnächst mal aus dem Quark kommen – also am Besten morgen! – dann drohen uns schlimere Verhältnisse, als sie Italien derzeit hat!