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Herausforderungen bei Assistenz im Arbeitgebermodell

Lars Hemme im Elektrorollstuhl
Lars Hemme / Rollstuhlfahrer / barrierefrei Wohnen
Foto: camcop media / Andreas Klug

Berlin (kobinet) Lars Hemme, Aktivist und Teilhabeberater / Peer Counselor ISL, und Eva Konieczny, Referentin für Barrierefreiheit beim Sozialverband VdK Deutschland, haben sich Gedanken zur Assistenz und zum Arbeitgebermodell in Zeiten der Corona Krise gemacht und folgenden Beitrag für die kobinet-nachrichten geschrieben. Damit knüpfen sie an die gestrige Berichterstattung der kobinet-nachrichten über die Herausforderungen des Assistenzdienstes des Kasseler Verein zur Förderung der Autonomie Behinderter (fab) an.

Bericht von Eva Konieczny und Lars Hemme

In Zeiten der Pandemie und der unverzichtbaren Vermeidung des sozialen Kontakts sind nicht nur Pflegehaushalte, ältere Menschen und soziale Dienste, sondern vor allem auch beeinträchtigte Arbeitgeber*innen des Persönlichen Budgets gem. § 29 SGB IX gefordert. Die Situation ist und darf hierbei nicht unterschätzt werden; denn Betroffene sind absolut auf die Hilfen durch Assistenzkräfte angewiesen. Im Vergleich zu Assistenzdiensten, die über einen gewissen Pool an Assistenz verfügen, verfügen beeinträchtigte Arbeitgeber*innen meist nur – und aus guten Gründen wie Kontinuität und Privatheit – über ein kleines Team von maximal bis zu 7 – 9 Assistenzkräften.

In diesen Zeiten heißt es sowohl für beeinträchtigte Arbeitgeber*innen als auch für ihre Assistenzkräfte ein hohes Maß an Flexibilität und Kreativität an den Tag zu legen. Im Konkreten: nicht nur für sich vorzusorgen, auf die Gesundheit zu achten, sondern auch für das gesamte Team, für jeden Einzelnen. Denn Assistenzdienste und der Alltag muss weiter gehen und sichergestellt sein. Die berechtigten Sorgen gehen dahin: „was ist in Fällen, wenn mein gesamtes Team nach und nach wegbricht?“ „Wie kann ich die Dienste so gestalten, damit sie a) realisierbar für beide, sowohl für Assistenznehmer*innen als auch für Arbeitgeber*innen, sind und b) auch für die Assistenz der Austausch im öffentlichen Raum minimiert werden kann?“ „Was ist, wenn auf keine weiteren personellen Ressourcen und Netzwerke wie Familie oder Freunde zurückgegriffen werden kann?“ „Kann der Budgetrahmen so schnell im Falle der Kurzarbeit aufgestockt und verändert werden?“ „Es ist – und in Zeiten der Corona Krise erst recht – ein ohnehin wenig planbares und vorhersehbares Terrain. Eine hohe Umsichtigkeit und Verständnis für die Lage seitens der Mitbürger*innen, der eigenen Arbeitgeber*innen ist schwierig. Kann man hierauf vertrauen?“

Auch sind medizinische Maßnahmen, wie dringend notwendige Massagen oder Krankengymnastik größtenteils nicht verfügbar. Da bedarf es einer Differenzierung, da viele körperlich beeinträchtigte Personen darauf angewiesen sind, damit sich ihr körperlicher Zustand nicht verschlechtert.

Die Assistenz ist unabkömmlich. Anerkannt ist auch, dass sie mit Pflegepersonal gleichgestellt ist und zu den systemrelevanten Gruppen zählen, die einen Anspruch auf Notfallbetreuung ihrer Kinder haben. Es gibt – trotz arbeitsrechtlicher Vorgaben – bereits verschiedene pragmatische Ansätze, wie, längere Blockdienste, Arbeiten am Stück oder Assistenzpooling, die allesamt Vor- und Nachteile haben und eine große Umstellung erfordern. Nicht jeder verfügt über bzw. hat einen 24 Stunden Unterstützungsbedarf. Nicht jeder möchte vielleicht auch jetzt die eigene Familie alleine lassen (aus Sicht der Assistenz) oder ist alleinerziehend. Es bestehen auf beiden Seiten Ängste und Unsicherheiten. In diesen Zeiten ist es wichtig und bleibt schätzungsweise unvermeidlich, wenn Kurzarbeit nicht so schnell installiert oder kein entsprechendes Personal gefunden werden kann, dass Arbeitgeber*innen gem. § 29 SGB IX mit Assistenzdiensten eventuell eine gemeinsame Lösung finden. Assistenzdienste, die, ungeachtet des Konkurrenzgedankens, offen für einen kooperativen Weg sind, wobei auch hier Kapazitätsschwierigkeiten zu erwarten sind.

Es erfordert eine Neujustierung der Hilfen. Im Berliner Rundschreiben der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales heißt es beispielsweise: Werden Leistungen durch nicht-institutionelle Leistungserbringer sichergestellt (z.B. Einzelfallhilfen oder selbst organisierte Leistungen im Rahmen des Persönlichen Budgets oder Arbeitgebermodells) und ist die notwendige Versorgung aufgrund eines krisenbedingten Ausfalls der Betreuungspersonen gefährdet, ist unverzüglich eine individuelle Ersatz- oder Notlösung zu organisieren. Dabei können unter Hinweis auf dieses Rundschreiben befristet auch Lösungen zum Einsatz kommen, welche vorübergehend die Betreuung durch geeignete und verfügbare Personen sicherstellt, wie zum Beispiel Studierende, Freunde, Angehörige, welche nicht über die eigentlich für die Fachleistung erforderliche Qualifikation verfügen. Dennoch müssen auch dazu erst einmal potentielle Assistenzkräfte gefunden werden.

Wichtig ist auch, dass dieses für beeinträchtigte Arbeitgeber*innen existentielle Thema, nicht nur bei den Arbeitgebern, sondern auch in der Politik Berücksichtigung findet. Wie die Kinderbetreuung ist die Assistenzorganisation ein ebenso ernstzunehmendes Thema. Wir wünschen uns an dieser Stelle ein breiteres Verständnis, mehr Pragmatismus und vor allem Lösungsvorschläge. Ein Lösungsansatz aus unserer Sicht könnte ein Pool sein, der generiert wird. Ob von Jobcentern oder Universitäten. Eine Übersicht, die unabdingbar bei den existentiellen Ängsten ist, wenn die Assistenz ad hoc krankheitsbedingt ausfällt oder aus anderen Gründen nicht erscheint. So könnten freie Künstler*innen und de facto arbeitssuchende bei Engpässen kurzfristig vermittelt werden. Es ist für alle sehr außergewöhnlich und herausfordernd.