Fladungen (kobinet) Reflexion über subtile Formen von Ableismus in der Kunstwelt Vor einiger Zeit hatte ich eine interessante und aufschlussreiche Begegnung, die mich dazu veranlasst hat, über die subtilen Formen von Ableismus nachzudenken, die immer noch tief in unserer Gesellschaft verankert sind – selbst in gut gemeinten Situationen. Als Künstler mit einer körperlichen Behinderung bin ich es gewohnt, auf Vorurteile und gut gemeinte, aber oft fehlgeleitete Angebote zu stoßen. Vor einigen Wochen empfahl mir ein befreundeter Künstlerkollege eine Ausschreibung für einen Kunstpreis. Er hatte den Wettbewerb in einer renommierten Kunstzeitschrift entdeckt und an mich gedacht. Zunächst war ich dankbar, dass er mich auf diese Möglichkeit hinwies. Doch beim Durchlesen der Ausschreibung fiel mir auf, dass der Preis ausschließlich für Menschen mit „geistigen oder psychischen Handicaps mit Assistenzbedarf“ vorgesehen war – etwas, das weder auf mich noch auf meine künstlerische Praxis zutrifft.
Mein Kollege hatte versehentlich die Art meiner Behinderung (psychisch anstatt physisch) falsch gelesen und angenommen, dass ich für diesen speziellen Preis in Frage komme. Als ich ihn darauf hinwies, war er beschämt und entschuldigte sich sofort. Doch dieses Missverständnis brachte mich dazu, tiefer über den Vorfall nachzudenken.
Die gut gemeinte Empfehlung war nicht nur eine Verwechslung (welche an sich gar keine Rolle spielt), sondern spiegelte eine tiefere Annahme wider: dass ich als Künstler mit Behinderung auf spezielle Förderung angewiesen bin. Was dabei vergessen wurde, ist, dass ich – und viele andere Menschen mit Behinderungen – nicht auf „Sonderwege“ oder spezielle Projekte angewiesen sind, um als Künstler erfolgreich zu sein. Meine Behinderung ist ein Teil von mir, aber sie definiert nicht meine Kunst. Vielmehr beeinflussen die Umstände, unter denen meine Arbeiten entstehen, den kreativen Prozess und die Art und Weise, wie sie wahrgenommen werden. Doch diese Umstände sollten nicht das Zentrum sein, sondern nur eine Facette meiner künstlerischen Identität.
Dieser Vorfall verdeutlicht, wie tief ableistische Denkweisen in unserer Gesellschaft verankert sind. Oft wird Menschen mit Behinderungen nicht zugetraut, sich in der allgemeinen Kunstwelt (und anderen Herausforderungen des Lebens) zu behaupten, sondern man verweist sie in spezielle Programme oder Wettbewerbe. Dies mag gut gemeint sein, trägt aber dazu bei, die Kluft zwischen Künstlern mit und ohne Behinderungen zu vertiefen, anstatt sie zu überbrücken.
Mein Kollege handelte ohne böse Absicht, und ich bin ihm dankbar, dass er an mich gedacht hat. Dennoch zeigt dieser Vorfall, wie wichtig es ist, die eigenen Vorurteile zu hinterfragen und sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen nicht auf Sonderrollen oder spezielle Förderungen reduziert werden. Inklusion bedeutet, Menschen unabhängig von ihrer Behinderung in den allgemeinen Kontext einzubeziehen – in der Kunst genauso wie in anderen Lebensbereichen.
Ich habe mich dazu entschieden, meine künstlerische Arbeit nicht über meine Behinderung zu definieren. Ich bin ein Künstler mit Behinderung, aber ich möchte nicht als behinderter Künstler wahrgenommen werden, der auf Sonderveranstaltungen oder spezielle Preise angewiesen ist. Vielmehr möchte ich meine Kunst in der allgemeinen Kunstwelt etablieren und hoffe, dass meine Arbeit für ihre künstlerische Qualität geschätzt wird – während die Umstände, unter denen sie entsteht, ein integraler Bestandteil meiner einzigartigen Perspektive bleiben.
Dieser Vorfall hat mir erneut gezeigt, wie wichtig es ist, nicht nur die Barrieren in der physischen Welt zu hinterfragen, sondern auch die gedanklichen Hürden, die Menschen mit Behinderungen im Weg stehen. Es ist an der Zeit, dass wir uns von ableistischen Strukturen verabschieden und die Kunstwelt für alle Künstler – unabhängig von ihren Fähigkeiten – öffnen.
Fazit: Der Vorfall war eine wertvolle Erinnerung daran, dass Inklusion nicht nur bedeutet, physische Barrieren zu überwinden, sondern auch die Denkweise zu ändern, mit der wir Menschen begegnen. Ich hoffe, dass meine Geschichte dazu beiträgt, das Bewusstsein für diese subtilen Formen von Ableismus zu schärfen und dazu inspiriert, Menschen mit Behinderungen nicht auf ihre Einschränkungen zu reduzieren, sondern ihre Fähigkeiten und ihre Kunst in den Vordergrund zu stellen.
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Im Zuge dieser Überlegungen habe ich mich entschlossen, meine Gedanken direkt mit der Aktion-Kunst-Stiftung zu teilen. In einem Brief, den ich kürzlich an die Stiftung gesendet habe, äußerte ich meine Anerkennung für ihre wertvolle Arbeit, aber auch meine Bedenken hinsichtlich der speziellen Ausrichtung des Aktion-Kunst-Preises, der nur Künstler*innen mit bestimmten Handicaps berücksichtigt. In diesem Brief habe ich einen Vorschlag gemacht, wie echte Inklusion im Kunstbereich aussehen könnte – nämlich durch die Öffnung bestehender Wettbewerbstrukturen und die Förderung einer barrierefreien Kunstwelt für alle. Ich möchte diesen Brief als Anhang zu meinem Artikel hinzufügen, um meine Überlegungen weiter zu untermauern.
Mein Brief an die Aktion-Kunst-Stiftung:
Sehr geehrter Herr Kirchner,
mit Interesse habe ich die Ausschreibung des Aktion-Kunst-Preises 2025 und die geplante Ausstellung im Museum Wilhelm Morgner verfolgt. Zunächst möchte ich meine Anerkennung für Ihre Arbeit und Ihr Engagement aussprechen, Menschen mit geistigem oder psychischem Handicap eine Bühne zu geben, ihre künstlerischen Talente sichtbar zu machen und ihnen einen professionellen Rahmen für ihre Werke zu bieten.
Es ist lobenswert, dass der Preis diesen Künstlern eine wertvolle Plattform bietet, die in der allgemeinen Kunstwelt oft nicht so leicht zugänglich ist. Der Preis hat für viele Teilnehmer eine Sprungbrett-Funktion, indem er ihnen die Chance gibt, ihre Arbeiten in einem renommierten Museum auszustellen und in einem professionellen Katalog präsentiert zu werden. Das ist eine großartige Möglichkeit, diese Künstler in die Öffentlichkeit zu bringen und ihre kreativen Potenziale zu fördern.
Gleichzeitig möchte ich auch einige kritische Überlegungen einbringen. Der Preis ist auf eine spezifische Gruppe von Künstlern mit Behinderungen ausgerichtet, was einerseits wichtig für die Sichtbarkeit dieser Gruppe ist, andererseits jedoch zur Trennung von der allgemeinen Kunstszene beiträgt. Echte Inklusion würde doch bedeuten, dass alle Künstler, ob mit oder ohne Behinderung, auf Augenhöhe in denselben Wettbewerben und Ausstellungen vertreten wären. Durch die Schaffung eines speziellen Rahmens für Menschen mit Handicap besteht die Gefahr, dass eine Parallelstruktur entsteht, die langfristig zur Separation führt, anstatt Barrieren abzubauen.
Ein weiterer Ansatz, um Inklusion im Kunst- und Kulturbereich zu fördern, wäre eine gezielte Förderung und Forderung nach Barrierefreiheit in den allgemeinen Kunst- und Kulturinstitutionen. Dies würde nicht nur Künstlern mit Behinderung den Zugang zu Ausstellungen und Wettbewerben erleichtern, sondern auch ein Bewusstsein schaffen, dass Inklusion auf allen Ebenen gefordert ist – von der baulichen Barrierefreiheit über den Zugang zu künstlerischen Ausbildungen bis hin zur Teilnahme an öffentlichen Ausstellungen.
Ich würde mich freuen, Ihre Gedanken zu diesen Anregungen zu hören und hoffe, dass der Aktion-Kunst-Preis weiterhin Künstler fördert und gleichzeitig einen Weg zu mehr Inklusion ebnet.
Mit besten Grüßen,
Ralph Milewski
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Hinweis: Eine Reaktion von der Stiftung erfolgte leider nicht!
Das i-Tüpfelchen der Ausschreibung des Aktion-Kunst-Preises 2025 ist die Vergabe der Preisgelder in Form von Materialgutscheinen. Diese Regelung spiegelt eine paternalistische Haltung wider, die Menschen mit Behinderungen indirekt ihre Autonomie abspricht. Statt die künstlerische Leistung mit frei verfügbaren Geldpreisen zu honorieren, wird den Preisträger*innen vorgeschrieben, wofür die Anerkennung genutzt werden darf – eine Praxis, die an alte Zeiten erinnert, in denen Menschen mit Behinderungen durch Gutscheine oder Almosen entmündigt wurden. Es ist schwer zu begreifen, wie eine solche Regelung in einem Preis, der Inklusion fördern soll, unreflektiert bestehen kann. Diese Form der Bevormundung ist ein weiteres Beispiel für die subtilen Formen von Ableismus, die in unserer Gesellschaft tief verankert sind
PS: In diesem Kontext erhält das Wort Sonderausstellung eine völlig andere Bedeutung. Zum einen müssen Menschen mit Behinderungen oft in speziell für sie eingerichteten Sonderausstellungen ihre Kunst präsentieren. Zum anderen werden Menschen mit Behinderungen in Sonderausstellungen regelrecht zur Schau gestellt.
Für diejenigen, die die vorherigen Teile verpasst haben, hier die Links:
Teil 1: Wer oder was bin ich?
Teil 2: Freiwilligkeit und Zwang in der Gruppenzugehörigkeit
Teil 3: Wege zur persönlichen Befreiung