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Zwischen Selbstbild und Fremdzuschreibung: Die Identitätsfalle der Behinderung – Teil 2

Jugendliche sitzen in einer Reihe mit Blick auf Strand und Meer auf einer gepflasterten Promenade, ruhige Atmosphäre, Schwarz-Weiß-Aufnahme
freiwilliger Gruppenzwang?
Foto: Ralph Milewski

Fladungen (kobinet) Freiwilligkeit und Zwang in der Gruppenzugehörigkeit Gruppenzugehörigkeit ist für viele Menschen ein bereichernder Teil ihrer Identität. Sie treten Gemeinschaften bei, die ihre Interessen, Leidenschaften oder Ziele teilen – sei es ein Sportverein, ein Künstlerkollektiv oder eine Gruppe von Fotograf*innen. Doch für Menschen mit Behinderungen ist diese Zugehörigkeit oft nicht freiwillig, sondern wird von außen durch gesellschaftliche Zuschreibungen und Strukturen erzwungen. Im Gegensatz zu freiwilligen Gruppen, die durch geteilte Interessen und Selbstbestimmung geformt werden, basiert die erzwungene Gruppenzugehörigkeit auf Merkmalen wie Behinderung oder Alter. Sie wird nicht gewählt, sondern durch äußere Umstände und Institutionen vorgegeben. Diese Dynamik schafft nicht nur Konflikte zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung, sondern führt auch zu Spannungen innerhalb der Gruppe, die in ihrer Vielfalt oft verkannt wird.

Die erzwungene Reduktion auf eine Gruppe

Menschen mit Behinderungen erleben häufig, dass ihre Identität auf ein einziges Merkmal reduziert wird. Die individuelle Persönlichkeit, bestehend aus Interessen, Talenten und Lebenserfahrungen, tritt hinter der Zuschreibung „behindert“ zurück. Gesellschaftliche Wahrnehmung und Bürokratie verstärken diese Reduktion, indem sie Betroffene automatisch in die Gruppe „der Behinderten“ einordnen.

Das führt zu zwei zentralen Problemen:

  • Verlust der Individualität: Menschen werden als Teil einer homogenen Gruppe wahrgenommen, obwohl ihre Lebensrealitäten oft kaum vergleichbar sind.
  • Erzwungene Solidarität: Um Rechte einzufordern oder Diskriminierung zu bekämpfen, sind sie gezwungen, sich mit der Gruppe zu solidarisieren – auch wenn sie sich nicht vollständig damit identifizieren können.

Der Unterschied zu freiwilligen Gruppen

In freiwilligen Gemeinschaften basiert die Zugehörigkeit auf gemeinsamen Interessen. Diese Gruppen fördern das Selbstbewusstsein, da sie die Identität bereichern und ergänzen. Der Austausch innerhalb der Gruppe ist oft positiv und auf gemeinsame Aktivitäten oder Ziele fokussiert. Es geht darum, die individuellen Talente und Leidenschaften der Mitglieder zu entfalten.

Bei erzwungenen Gruppen wie der Kategorie „Menschen mit Behinderungen“ sieht die Realität anders aus. Hier entsteht die Zugehörigkeit nicht durch Selbstbestimmung, sondern durch gesellschaftliche Zuschreibung. Diese Dynamik bringt Stigmata und Konflikte mit sich, da Betroffene gezwungen sind, eine Identität zu akzeptieren, die sie nicht immer für sich selbst gewählt hätten.

Die Spannung zwischen Solidarität und Individualität

Die Gruppenzugehörigkeit stellt Betroffene oft vor ein Dilemma: Einerseits müssen sie sich mit der Gruppe solidarisieren, um gemeinsame Ziele wie Barrierefreiheit oder Gleichberechtigung zu erreichen. Andererseits möchten sie als Individuen wahrgenommen werden und nicht nur als Teil einer Gruppe, die in der öffentlichen Wahrnehmung durch Defizite definiert wird.

Wie kann man sich in einer solchen Situation positionieren? Dieser Konflikt verlangt ständige Reflexion und bewusste Entscheidungen. Die Antwort liegt möglicherweise darin, die Vielfalt innerhalb der Gruppe sichtbarer zu machen und individuelle Perspektiven in den Vordergrund zu rücken.

Fazit: Die Herausforderung der Gruppenzugehörigkeit

Die erzwungene Gruppenzuweisung verstärkt die Identitätsfalle der Behinderung, da sie individuelle Lebensrealitäten zugunsten einer vermeintlich homogenen Gruppenzugehörigkeit ignoriert. Doch um Rechte und Anerkennung zu erkämpfen, bleibt die Solidarität innerhalb der Gruppe oft notwendig.

Wie Betroffene diesen Spagat zwischen persönlicher Freiheit und kollektiver Verantwortung bewältigen können, beleuchtet der dritte Teil.

Für diejenigen, die die vorherigen Teile verpasst haben, hier die Links:

Teil 1: Wer oder was bin ich?

Lesermeinungen

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M. Guenter
11.12.2024 19:04

Hmm,

ist ja alles richtig, aber ist es das? Ist nicht das „Nicht-zur-Gruppe-der-Behinderten-gehören“ vielleicht auch ein Gruppenzwang? Realsieren sich Gefühle der Ausgrenztheit nicht auch durch zwanghaftes Eingrenzen ebenso? Erlebt der 6jährige Bub mit Autismus-Spektrumstörung die Anwesenheit von 20 anderen Lernenden als Bereicherung? Die 8jährige mit Tetraphlegie ihre „Teilnahme“ am Sportunterricht = meistens zuschauen, als Initial von Gleichheit? Wie gleichwertig fühlt sich der 12jährige, der „inklusiv“ beschult wird, wenn er dies Pause mit seiner Schulbegleiterin auf der barrierefreien Toilette verbringt, statt auf dem Pausenhof?
„Die erzwungene Gruppenzuweisung verstärkt die Identitätsfalle der Behinderung, da sie individuelle Lebensrealitäten zugunsten einer vermeintlich homogenen Gruppenzugehörigkeit ignoriert.“
Ja, aber gilt dies bei einem überzogenen Anspruchsdenken Dritter – im Schulbereich sind dies oftmals die Eltern – nicht auch für heilige Kuh der Inklusion? „Toll, mein intellgenzgemindertes Kind hat jetzt einen qualifizierten Hauptschulabschluss – selbst bei vollem Kühlschrank im Haus wird es zwar verhungern und den Weg zur Schule, dass es 10 Jahre besucht, kann es ohne Schulbegleitung auch nicht bewältigen, aber immerhin…“. Gerade der Punkt Schulbegleitung ist ein Riesenthema: Diese dient einfach nur dazu, Probleme im Schulalltag managen zu können – und nach der Schule?
Ich stelle hier bewusst mehr Fragen, ggf. antwortet ja jemand darauf…

Ralph Milewski
Antwort auf  M. Guenter
11.12.2024 22:37

Vielen Dank für Ihre ausführliche Meinung.

Zunächst möchte ich klarstellen, dass der Fokus meines Artikels ein anderer war: Es ging mir primär um die Identitätsfalle der Behinderung, die durch erzwungene Gruppenzugehörigkeit und die Reduktion auf das Merkmal ‚Behinderung‘ entsteht. Ich habe nicht die praktische Umsetzung von Inklusion in einzelnen Bereichen wie Schule oder Sport thematisiert, sondern die psychologischen und gesellschaftlichen Spannungen zwischen Selbst- und Fremdzuschreibung beleuchtet. Ihre Gedanken weichen davon ab und zielen auf konkrete Probleme der Inklusion ab – ich möchte dennoch gerne darauf eingehen.

Ihr Beispiel mit der 8-Jährigen mit Tetraplegie, die im Sportunterricht meist zuschauen muss, zeigt sicherlich eine unbefriedigende Realität. Aber ist die Lösung wirklich, sie aus der Klassengemeinschaft herauszunehmen und in eine spezialisierte Einrichtung zu schicken? Für mich ganz klar: nein! Zwei Stunden Schulsport pro Woche zuzuschauen und soweit wie möglich eingebunden zu werden, ist ein akzeptabler Kompromiss, um Teil der Klassengemeinschaft zu bleiben. Denn Inklusion bedeutet nicht, in jeder Aktivität gleichermaßen teilhaben zu können, sondern trotz individueller Unterschiede als gleichwertiges Mitglied der Gemeinschaft anerkannt zu sein.

Ähnlich verhält es sich mit dem Kind im Autismus-Spektrum, das die Anwesenheit von 20 anderen Lernenden als belastend empfindet. Auch hier halte ich es für falsch, das Kind in eine homogene Gruppe mit anderen Kindern mit Autismus zu stecken. Solche ‚geschützten Räume‘ mögen kurzfristig Sicherheit bieten, führen langfristig jedoch oft zu sozialer Isolation. Stattdessen sollten wir das Umfeld anpassen – durch kleinere Gruppen, Rückzugsräume oder flexible Strukturen – und so die Teilhabe ermöglichen, ohne das Kind von der Gemeinschaft zu trennen.

Auch die Frage, wie ein intelligenzgemindertes Kind von anderen Kindern mit denselben Einschränkungen lernen soll, stellt sich hier: In einer rein homogenen Gruppe fehlen die vielfältigen Impulse, die für die soziale und persönliche Entwicklung notwendig sind. Kinder entwickeln sich am besten, wenn sie in einer Umgebung aufwachsen, die ihnen unterschiedliche Perspektiven, Fähigkeiten und soziale Dynamiken bietet. Eine inklusive Umgebung ermöglicht genau das – vorausgesetzt, sie wird richtig umgesetzt und die nötige Unterstützung wird bereitgestellt.

Für mich ist klar: Die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft ist essenziell für soziale Teilhabe und individuelle Entwicklung. Geschützte Räume mögen in manchen Situationen sinnvoll sein, sollten aber nie die erste Wahl sein, wenn es um echte Inklusion geht. Die Alternative ist nicht ‚alles oder nichts‘, sondern individuelle Anpassung und Kompromisse, die Teilhabe ermöglichen. So entsteht ein Umfeld, in dem Vielfalt bereichernd ist – nicht trennend.

Inklusion als ‚heilige Kuh‘ zu bezeichnen, ist sicherlich provokant, und ich verstehe, dass Sie die praktischen Schwächen ansprechen möchten, die bei der Umsetzung auftreten können. Aber Inklusion ist kein dogmatisches Konzept, sondern eine Vision, die darauf abzielt, Vielfalt als Bereicherung zu sehen und allen Menschen die Möglichkeit zur Teilhabe zu bieten. Natürlich gibt es dabei Herausforderungen, und die Umsetzung ist oft unvollkommen – das bedeutet jedoch nicht, dass die Idee selbst falsch ist. Vielmehr sollten wir daran arbeiten, Inklusion praxisnah zu verbessern, statt sie als gescheitertes Ideal abzutun.

Zuletzt bearbeitet am 1 Monat zuvor von Ralph Milewski
M. Guenter
Antwort auf  Ralph Milewski
12.12.2024 18:52

Hallo Herr Milewski,
danke für die ausführliche Antwort. Mir ging es nicht darum den Gedanken der Inklusion „schlechtzureden“ und ich war 1997 dabei, als Andreas Hinz erstmals die Idee einer „inclusive education“ in Deutschland vorgestellt hat.
Die von Ihnen ausgeführten Aspekte von Rolle, Rollenzuschreibung und Rollenübernahme, sind ja jetzt nicht unbedingt neu – was jetzt nicht heißt, dass man wichtige Theorieimpulse gelegentlich wieder mal zum Ausdruck bringen sollte. Mir ging es, wie Sie richtig anmerken, mehr um die Praxis, das ist der Ort, wo sich Theorie bewähren muss (Für den Satz spende ich gerne 5€ in ein Phrasenschwein).
Worum es mir dabei ging ist, dass die Zuschreibungsprozedur – mit Bourdieu könnte man auch von spezifischen Habitusformationen sprechen – sich nicht auflösen, wenn ich versuche aus etwas, dass als schlecht bewertet wird eine neue Praxis herleite, die dann gut sein soll. Ich glaube, es war Georg Feuser, der schon vor mehr als 25 Jahren darauf hingewiesen hat, dass „gut gemeint“ auch ausgesprochen „schlecht“ sein kann.
Leider verfallen Sie in Ihrer Replik genau in die Diktion, die ich am Diskurs um Inklusion anprangere – Sie denken in Dichotomien und solche sind immer monokausale Erklärungsversuche, sorry.
Was spräche denn dagegen, wenn die 8jährige mit Tetraphlegie gar nicht am Sportkurs teilnehmen müsste? Wäre sie dann ausgegrenzt in Ihrer Diktion, wenn man ihr ein anderes, für sie sinnvolleres Lernangebot unterbreiten würde? Etwa ein musisches Angebot, ein Angebot zum Körpererleben (Klangschale, basale Stimulation), wenn sie Bock hat 2 Stunden Mathe? Oder gar undenkbar: eine Einzel-Physiotherapie, damit sie diese nicht nachmittags machen muss, wenn ihre Freunde sich treffen können?
Homogene Gruppen bei ASS sind m.E. genauso sinnfrei, wie der Versuch Gruppenfähigkeit mittels „Desensibilisierung“ durch überfordernde Settings (vulgo normale Schulklasse) „herzustellen“. Ferner: Stolpern Sie an dem Punkt wieder in eine Zuschreibungsfalle, wenn Sie hier die „Gemeinschaft“ hervorheben – ein Denken orientiert am Bedarf des Kindes mit ASS (ja, wir reden über Einzelfälle, aber die lässt der aktuelle Inklusionsdiskurs garnichtmehr zu!) ist dies nicht.
Ich denke,wirliegen ja gar nicht so weit auseinander, aber wenn der Fokus derjenigen die mitreden – und dies sind bei Schülern in der Regel die Eltern – eher phänomenologisch ausgelegt ist: „Ich sehe mein Kind steht am Rand, aber es bei der Veranstaltung dabei“ – dann muss man sagen, dass wir da ein bisschen den Fokus verlieren. Dann wird mit dem Hilfskonstrukt 1 der tatsächtliche Bedarf übertünscht und das Hilfskonstrukt 2 verschleiert das Problem.
Hilfskonstrukt 1 sind die allfälltigen Schulassistenten, die inhaltlich oftmals nur dazu führen, dass die Kinder/jungen Erwachsenen exakt null Eigenständigkeit und Selbststeuerungsfähigkeit erworben haben, wenn die Schule mal vorbei ist (mir geht es nicht darum die damit Betrauten irgendwie zu „Dissen“, sondern Rolle und Funktion sind oftmals nicht klar, bzw. es besteht ein unterschwelliges Skript aka „In der Schule muss es laufen“).
Hilfskonstrukt 2: „Wir machen den Schulabschluss möglich“ – super (sorry, ich werde zynisch), aber wenn die Frage danach dann ist,ob das „Kind“ mit dem qualifizierten Hauptschulabschluss dann „werkstattfähig“ ist oder besser ohne Berufsbildungsbereich direkt in die Tagesförderstätte gehen sollte, dann ist doch irgendetwas extrem schief gelaufen.
Inklusion wird so in der Praxis zu einem billigem Appeasement oder wie Basalglia sagte „Befriedungsverbrechen“ – eine inklusive Gesellschaft braucht eine exklusiven Räume der Bildung, aber es gibt Gesellschaftsmitgleider, die nicht in die Strukturen „passen“.
Ulrich Bleidick hat irgendwann vor 40 Jahren geschrieben, dass Behinderung „eine intervenierende Variable des Erziehungsgeschehens sei“ – das ist und bleibt natürlich falsch, denn Erziehung, Bildung und Unterricht (EBU nach Feuser) stellen das konkrete Handeln der Fachkräfte in Bzug auf den Bedarf einer Person dar, sind also hinsichtlich der Tätigkeit immer personenorientiert und damit inklusiv (zu gestalten). Wie sich dies im Einzelnen darstellt, darf aber m.E. nicht immer Inhalt eines konsensorietierten Diskurses sein (also wenn der Konsenspartner Eltern heißt), sondern bewegt sich im Rahmen dessen, was Aufgabe der Institution – hier Schule – ist. Und an anderer Stelle haben wir diesen Diskurs auch schon gewagt und sind – teilweise – gescheitert: Etwa ob die 12jährige Muslima am Schwimmunterricht teilnimmt! Schulbildung ist aber eben kein Konzert der Fraktion „Wünscht dir was“ – auch nach 10 Jahren inklusiver Beschulung muss es möglich sein eben keinen qualifizierten Schulabschluss zu erhalten oder einen, obwohl Fächer wie Sport nicht belegt wurden….

Stephan Laux
Antwort auf  M. Guenter
13.12.2024 11:28

Hmm?
Muss man Feuser gelesen haben, um hier mitzureden? Muss man Bourdieu zitieren, um in diesem Diskurs ernst genommen zu werden? Muss man monokausale Dichotomie googeln, um sich aus Ralph Milewskis Identitätsfalle zu befreien?

Ich habe einen Hauptschulabschluss. Wie qualifiziert der ist, müssen andere beurteilen (und tun es übrigens auch). Ist schon ein Weilchen her!

Herr Guenther, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir Ihre Meinung (ohne die von Basaglia und Bleidick) in möglichst einfacher Sprache zusammenfassen könnten.

Damit ich inkludiert bin. Um es mit mir zu sagen: „Damit ich teilhaben kann!“

Ralph Milewski
Antwort auf  M. Guenter
13.12.2024 14:00

Ihr Vorwurf, ich würde einen Entweder-Oder-Ansatz vertreten, ist nicht nur unbegründet, sondern ignoriert den Kern meiner Argumentation. Ich habe klar gemacht, dass Teilhabe in der Gemeinschaft Priorität hat, da sie der Schlüssel zu sozialer Integration und gesellschaftlicher Normalisierung von Vielfalt ist. Gleichzeitig habe ich betont, dass es in besonderen Fällen ergänzende Maßnahmen geben kann, wenn sie im besten Interesse des Kindes sind – und vor allem, wenn der Wille des Kindes berücksichtigt wird.

Der Wille des Kindes ist dabei entscheidend: Es geht darum, ihm Möglichkeiten aufzuzeigen, aber letztlich die Entscheidung innerhalb eines sinnvollen Rahmens selbst treffen zu lassen. Kinder sind keine Objekte, über die entschieden wird, sondern Subjekte mit eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen. Dies gilt sowohl für den Sportunterricht als auch für andere Bereiche.

Zudem ist individuelle Förderung in der Schule längst Alltag – für alle Schüler, nicht nur für Kinder mit besonderen Bedürfnissen. Die Schule bietet den Raum, auf die Wünsche und Bedürfnisse der Kinder einzugehen und gleichzeitig Teilhabe in der Gemeinschaft zu ermöglichen.

Ich hatte den Eindruck, dass Sie Separation und geschützte Räume bevorzugen. Ihre Argumentation – insbesondere die Beispiele mit der 8-jährigen im Sportunterricht oder dem Autisten in der Regelschule – deutet darauf hin, dass Sie eine Trennung als sinnvoller erachten, sobald Inklusion herausfordernd wird.

Für mich steht jedoch die Teilhabe in der Gemeinschaft im Vordergrund, weil sie Kindern die Chance gibt, soziale Kompetenzen zu entwickeln und sich in einer vielfältigen Gesellschaft zu integrieren. Ich habe auch deutlich gemacht, dass es besondere Situationen geben kann, in denen individuelle Maßnahmen notwendig sind – aber nur als ergänzende Unterstützung und immer unter Berücksichtigung des Willens des Kindes.

Ihr Ansatz hingegen wirkt so, als würden Sie diese Ausnahmen verallgemeinern und Trennung als bevorzugten Weg darstellen. Das geht am Kern der Inklusion vorbei, die darauf abzielt, Barrieren abzubauen und Kinder in die Gemeinschaft einzubinden, statt sie auszugrenzen.

Besonders auffällig ist, dass Sie in Ihrem ersten Statement keine klaren Aussagen getroffen haben, sondern vor allem fiktive Situationen beschrieben haben, ohne die Kritik zu konkretisieren oder Alternativen aufzuzeigen. Indem Sie lediglich auf Herausforderungen hinweisen, ohne Lösungen oder konstruktive Vorschläge zu bieten, bleibt Ihre Argumentation vage und bietet wenig Raum für einen echten Dialog über die besten Lösungen für alle Kinder. Vielmehr stellen Sie Behauptungen auf, wie etwa, dass ein Hauptschulabschluss ohne Sport nicht möglich sei oder dass ein Kind mit Tetraplegie keine Alternative hätte, als als Zuschauer am Sportunterricht teilzunehmen, und nutzen diese dann als Grundlage für Ihre Kritik.

Auch scheint ein Widerspruch in Ihrer Argumentation zu bestehen. Auf der einen Seite stellen Sie infrage, ob ein Hauptschulabschluss für ein Kind mit besonderen Bedürfnissen wirklich einen praktischen Nutzen hat, wenn das Kind nicht in der Lage ist, selbstständig zu leben oder zu überleben. Auf der anderen Seite stellen Sie in Frage, ob der Abschluss überhaupt möglich ist, wenn ein Kind aufgrund einer Schwerbehinderung vom Sportunterricht befreit ist, obwohl es klare Ausnahmeregelungen gibt, die es Kindern ermöglichen, den Abschluss zu erlangen – auch ohne Teilnahme am Sportunterricht.

Den Nutzen des Abschlusses kann man in manchen Fällen sicherlich hinterfragen, aber die Teilhabe an der Klasse und der Schulgemeinschaft sowie die Teilhabe an der Gesellschaft sind meines Erachtens nicht in Frage zu stellen. Ein Hauptschulabschluss ist mehr als nur ein weiterer Bildungsweg – er ist eine Bestätigung der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft und der gesellschaftlichen Integration, unabhängig davon, wie das Kind seine weiteren Lebenswege gestaltet