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Kiss The Future

Berlinale Bär
Berlinale Bär
Foto: Anke Glasmacher

Berlin (kobinet) "Kiss The Future", so lautet der Titel des dritten Films, den sich kobinet-Korrepondentin Anke Glasmacher bei der diesjährigen Berlinale angeschaut hat. "'Kunst ist ein Fenster zur Zukunft', so die Protagonist:innen aus dem Dokumentarfilm 'Kiss The Future' von Regisseur Nenad Cicin-Sain. Das sagen die, die zur Underground-Community im belagerten Sarajevo Anfang der 1990er Jahre gehörten. Sie organisierten in verborgenen Kellern Punkkonzerte, Lesungen, Hochzeiten und Zusammenkünfte für die Menschen, die jeden Tag Bombardement und Heckenschützen überleben mussten", schreibt die Schriftstellerin Anke Glasmacher u.a. in ihrem Bericht über den Film, den sie sich bei der Berlinale angeschaut hat.



Bericht von kobinet-Korrespondentin Anke Glasmacher von der Berlinale

„Kunst ist ein Fenster zur Zukunft“, so die Protagonist:innen aus dem Dokumentarfilm „Kiss The Future“ von Regisseur Nenad Cicin-Sain. Das sagen die, die zur Underground-Community im belagerten Sarajevo Anfang der 1990er Jahre gehörten. Sie organisierten in verborgenen Kellern Punkkonzerte, Lesungen, Hochzeiten und Zusammenkünfte für die Menschen, die jeden Tag Bombardement und Heckenschützen überleben mussten.

Auch eine Miss opkoljenog Sarajevo / Miss belagertes Sarajevo-Wahl wurde abgehalten. Die Frauen hielten währenddessen ein Transparent mit der Aufschrift „Don’t let them kill us“ (lass sie uns nicht töten) hoch und wurden damit weltbekannt. Der größte Scoup gelang dem Amerikaner Bill Carter, der zu der Zeit als Helfer in Sarajevo war. Er nahm Kontakt zu Bono von U2 auf und bat ihn, im belagerten Sarajevo aufzutreten. Das klappte aufgrund der Sicherheitslage zunächst nicht, aber bei ihrer laufenden ZOO-TV-Tour schaltete die Band sich 1993 per Satellit zu Live-Interviews mit Menschen in Sarajevo, die vom Überleben und von der Not in der belagerten Stadt berichteten. Damals, auch technisch, ein Novum. Nach dem Krieg löste U2 umgehend ihr Konzert-Versprechen ein und spielte vor 45.000 Fans in Sarajevo. „Fuck the War, kiss the Future“, rief Bono damals den begeisterten Menschen zu.

„Musik zu hören, war unsere Therapie“, sagten die, die damals vor den Radios und den wenigen Fernsehern saßen und für einen Moment die eigene Lebensgefahr verdrängen konnten. Dieser Krieg blieb unverständlich. „Ich habe in keiner Sekunde geglaubt, dass dieser Krieg wirklich ist“, sagt einer. Und weiter: „Die Menschen haben sich nicht gehasst. Das waren Nachbarn, Freunde und wenn man sie trennen sollte, hätte man eine Berliner Mauer durch jedes Schlafzimmer ziehen müssen“. Es kam anders.

Der Krieg, der 1992 über Sarajevo hereinbrach, war auch ein Krieg gegen Journalist:innen, ein Krieg der Propaganda, ein Krieg, in dem gezielt Dichter:innen und andere Künstler:innen angegriffen wurden. „Denn die Künstler:innen“, sagt ein anderer, „geben Hoffnung und erzeugen Widerstand“. Das ist nichts, das einem Kriegsherren gefällt. Und an dieser Stelle schwenkt der Film zu den aktuellen Nachrichten aus der Ukraine, und es ist erschreckend die Parallelen der Propaganda zu erleben, einer Propaganda, die auf Zwist, auf Gegensätze zielt und die jedem Krieg vorangeht. Man will es einfach lange nicht glauben, dass etwas so offensichtlich Widersinniges dennoch immer und immer wieder verfängt.

„Kiss the Future“ ist ein bewegendes Zeitportrait über die Menschen von Sarajevo, die die Belagerung und den Beschuss überlebt haben, weil sie der Kraft der Kunst vertrauten, weil sie an das Verbindende glaubten, weil sie Hoffnung hatten. Auch in der Ukraine sind es heute die Künstler:innen, die unter Einsatz ihres Lebens Tag für Tag versuchen, Hoffnung und ein kleines Stück Normalität in die zerstörten Städte, in die Keller und zu den Menschen zu bringen. Einer von ihnen ist der ukrainische Dichter und Musiker Serhij Zhadan, 2022 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.

„Kiss the Future“ läuft in der Sektion Berlinale Special Gala. Die Weltpremiere war am 18. Februar 2023. Produziert wurde der Film u.a. von Matt Damon und Ben Affleck. Die Geschichte fußt auf dem Erfahrungsbericht von Bill S. Carter, der damals das Fax an U2 schickte. Ein Fax, das Geschichte schrieb.

Link zu Infos zur Barrierefreiheit und Inklusion während der Berlinale

Link zum ersten kobinet-Bericht von Anke Glasmacher von der Berlinale 2023 über den Film She Came to Me vom 17. Februar 2023

Link zum zweiten kobinet-Bericht von Anke Glasmacher von der Berlinale 2023 über den Film Joan Baez: I Am A Noise vom 21. Februar 2023