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Joan Baez: I Am A Noise

Berlinale Bär
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Foto: Anke Glasmacher

Berlin (kobinet) "Joan Baez: I Am A Noise", diesen Film hat sich kobinet-Korrepondentin Anke Glasmacher bei der diesjährigen Berlinale angeschaut. "Diese Frau ist ein Vermächtnis. Schon mit Anfang 20 gehörte sie zu den Ikonen der amerikanischen Folk- und Friedensbewegung", schreibt die Schriftstellerin Anke Glasmacher u.a. in ihrem Bericht über das Filmerlebnis.

Bericht von Kobinet-Korrespondentin Anke Glasmacher von der Berlinale

Joan Baez, die große Mahnerin für Frieden und Bürgerrechte, die engagierte wie stimmgewaltige Folksängerin, hat in Berlin bei der Weltpremiere der Dokumentation „Joan Baez – I Am A Noise“ noch einmal live mit ihrer Stimme begeistert: “Turn me around. Keep on a singing, Keep on a swinging, Keep on a walking, Keep on a talking, Gonna build a brand new world” (Ain’t Gonna Let Nobody Turn Me ‚Round).

Diese Frau ist ein Vermächtnis. Schon mit Anfang 20 gehörte sie zu den Ikonen der amerikanischen Folk- und Friedensbewegung. Ihr musikalisches Schaffen beendete Joan Baez 2019 – nach einer fast 60 Jahre währenden Karriere. Die Stimmmuskulatur will nicht mehr so richtig, auch die täglichen Stimmübungen bringen ihr ihren beeindruckenden Sopran, der ihre Stimme so unverwechselbar gemacht hat, nicht zurück. Die Stimme ist ihr Instrument, ihr Ausdrucksmittel. Wie groß ihre Trauer darüber ist, dass diese so unverwechselbare Stimme sie allmählich im Stich lässt, ahnt man sofort. Aber das Volumen ihrer Stimme ist nach wie vor vorhanden. Und ihre politische Haltung ist ungebrochen. Für Bürgerrechte hat sich die heute 82-jährige schon zu Schulzeiten eingesetzt, für Frieden, für die Rechte der LGBTQ*-Bewegung – wo Ungerechtigkeit war, erhob sie ihre Stimme. Folgt man Joan Baez auf Instagram, erlebt man dort auch eine nachdenkliche und begabte Malerin, die ihre Werke immer wieder für soziale Zwecke versteigert.

Die Regisseurinnen Karen O’Connor, Miri Navasky, Maeve O’Boyle sind mit Joan Baez befreundet und haben sicher deswegen tiefere Einblicke in Karriere und Seele dieser Ausnahmekünstlerin erhalten. Die vielen Facetten der Joan Baez haben sie nun filmisch verwoben. Da ist bereits bekanntes Archivmaterial, auch über ihre schon oft thematisierte Beziehung mit Bob Dylan, da sind Erinnerungen und Gespräche, geführt im Rahmen ihrer Abschiedstournee 2019, Tagebuchnotizen aus Kindertagen, Tonbandaufzeichnungen aus Therapiesitzungen, Filmschnipsel und Fotos, die der Vater von seinen Töchtern gemacht hat, und Tagebuchaufzeichnungen der Mutter. Die hat Joan Baez selbst erst nach dem Tod der Eltern vor ein paar Jahren gefunden.

Joan Baez, das hat sie schon in der Dokumentation „Joan Baez“ 2009 erzählt, kennt auch die andere Seite. Versagensängste, Enttäuschungen, dunkle Dämonen. Woher diese Dämonen kamen, das allerdings hat sie selbst erst kürzlich, nach einer längeren Therapie, verstanden. Ein erschütterndes Dokument, an diesen Stellen genial in Szene gesetzt mit den Skizzen, die Joan Baez in früher Kindheit bereits zeichnete, die hier als Animation hineinmontiert wurden.

Eine Dokumentation ist kein Spielfilm, kein Thriller, das Format funktioniert anders. Für Fans ist auch diese Doku ein weiteres „Muss“. Dennoch vermisst man immer wieder einen stringenten roten Faden. Die Regie scheint bisweilen selbst überwältigt worden zu sein von dem Material, das ihr zur Verfügung stand. Und so bleiben die bereits bekannten historischen Mitschnitte leider oft ohne Zusammenhang neben den aktuellen Aufnahmen stehen. Die Stärke, das wurde auch im anschließenden Publikumsgespräch deutlich, sind die Animationsszenen. Wie es wohl gewesen wäre, das Leben von Joan Baez ausschließlich als Animationsfilm anzulegen, mit ihren eigenen Zeichnungen, unterlegt mit ihrer Musik und von ihr selbst kommentiert – und ihn damit zu einem ganz eigenen Kunstwerk zu machen?

Dass Joan Baez so offen erstmals von den Ursachen ihrer Dämonen spricht, macht sie einmal mehr zu einem Vorbild. Diese Geschichte hätte es verdient, singulär erzählt zu werden. Von einer Frau, die mit 82 Jahren und nach einer langen Karriere immer noch eine ungebrochene Kraft, ein inneres Strahlen und eine bewundernswerte Zuversicht aussendet. „Dämonen“, scheint sie uns mit einem Lächeln zu sagen, sind auch nichts anderes als Schatten, die verschwinden, sobald man das Licht auf sie richtet.

Mit-Produzentin von „Joan Baez I Am A Noise“ ist übrigens Patti Smith, die andere Ikone der Mit-Menschlichkeit. Der Film feierte seine umjubelte Weltpremiere am 17.02.2023 auf der Berlinale in der Sektion Panorama Dokumente.

Link zu Infos zur Barrierefreiheit und Inklusion während der Berlinale

Link zum ersten kobinet-Bericht von Anke Glasmacher von der Berlinale 2023 über den Film She Came to Me vom 17. Februar 2023