
Foto: Anke Glasmacher
Berlin (kobinet) Am 16. Februar hat die Berlinale wieder ihre Türen geöffnet. Und wieder ist Anke Glasmacher von Köln nach Berlin gereist, um für die kobinet-nachrichten von der Berlinale zu berichten. In ihrem ersten Bericht vom Eröffnungstag berichtet die kobinet-Korrespondentin und Schriftstellerin über den Film "She Came to Me", den sie sich angeschaut hat.
Bericht von kobinet-Korrespondentin Anke Glasmacher
Künstler:innen, nach ihrer Arbeit und ihrer Inspirationsquelle gefragt, erzählen oft: „Ich habe nichts erfunden, die Geschichte ist zu mir gekommen.“ Das ist der Aufhänger des diesjährigen Eröffnungsfilms der 73. Berlinale „She Came to Me“ von Rebecca Miller. Nein, erfunden haben Künstler:innen das Leben nicht, aber für ihre Werke können sie es neu komponieren.
Da ist ein genialer Opernkomponist (gespielt von Peter Dinklage), der zwar einen Auftrag hat, aber keine Idee mehr. Da ist seine empathische Ehefrau (Anne Hathaway), Therapeutin von Beruf, aber von einem zwanghaften Ordnungsbegehren beseelt. „Manchmal stelle ich mir vor, ich könnte meine Patienten von innen reinigen“, erklärt sie ihrer verdutzten Haushaltshilfe (Joanna Kulig). Da ist eine Schlepperkapitänin (Marisa Tomei), die von sich sagt, sie sei krankhafte Schlepperin, bereits wegen Stalkings verurteilt und erfolglos in Behandlung gewesen. Genau das passiert, natürlich: Sie schleppt den Komponisten aus einer Bar geradewegs auf ihren Schlepperkahn ab – und löst seine kreative Blockade. „Ich bin Deine Muse“, beharrt sie von nun an. „She Came to Me“, muss er erkennen. So weit, so voraussehbar.
Aber da sind auch die beiden Jugendlichen, Julian (Evan Ellison), Stiefsohn des Komponisten, und seine Freundin Tereza (Harlow Jane), deren Stiefvater (Brian d’Arcy James) ein zutiefst rassistischer Mann ist, der als Reenactor-Darsteller seine Lebensmission im Sezessionskrieg gefunden hat. Die Jugendlichen sind es, die diese von den Erwachsenen ständig behauptete romantische und ernsthafte Beziehung führen. Sie engagieren sich für Klimaschutzprojekte und haben konkrete Vorstellungen von ihren späteren Berufen. „Was machen wir, wenn wir erwachsen werden“, fragen sie sich irgendwann, und man schüttelt innerlich mit dem Kopf. Das sollte auf gar keinen Fall passieren. Nicht bei den Vorbildern.
Doch gerade als sich allmählich das Leben und die Beziehungen der Erwachsenen zurechtrüttelt, gerät das der beiden Jugendlichen aus den Fugen. Spät erkennen die Erwachsenen, dass sie Verantwortung übernehmen und das von ihnen verursachte Chaos lösen müssen. Es ist keine Zeit mehr für kreative Blockaden. Ab hier schlägt der Film in schnellem, aber durchaus stimmigen Tempo Haken.
Regisseurin Rebecca Miller, die auch das Buch geschrieben und den Film produziert hat, arbeitet nicht nur für den Film, sondern auch als Schriftstellerin. Diese Leidenschaft für künstlerische Vielschichtigkeiten merkt man „She Came to Me“ an, das macht ihn aus. Ein Film, so Miller später in der Pressekonferenz, biete eine hervorragende Möglichkeit, verschiedene Gesichter zu zeigen.
Kunst und das Leben als Künstler:in, das war schon immer ein spannungsreiches Verhältnis. Und so ist dieser Film auch das: Ein Spiegel für die Selbstbespiegelung, die einer von sich selbst entfremdeten Künstlergeneration vorgehalten wird.
Gehalten wird dieser Spiegel von einem hervorragenden Ensemble, geführt von einer klugen Regie und eingebettet in eine stimmige Filmkomposition (Musik: Bryce Dessner). „She Came to Me“ ist ein Gesamtkunstwerk auf vielen miteinander sich verwebenden Ebenen, mit Figuren und Dialogen, die karikiert werden und dennoch das Ernsthafte, Nachdenkliche verkörpern. Ein Film, der trotz oder wegen seiner künstlerischen Purzelbäume alles hat, das gutes Kino ausmacht.
„She Came to Me” von Rebecca Miller läuft in der Sektion Berlinale Special und feiert seine Weltpremiere als diesjähriger Eröffnungsfilm der 73. Berliner Filmfestspiele.
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