Fladungen (kobinet)
Die Überschrift "Inklusion in einer Sonder-Welt" zeigt schon ein Problem.
Es gibt keine Inklusion in einer Sonder-Welt.
Inklusion bedeutet: Menschen mit Behinderung gehören dazu.
Inklusion: Jeder Mensch darf überall mitmachen.
Alle sollen gleich behandelt werden, egal ob mit oder ohne Behinderung.
Sie leben nicht getrennt von anderen Menschen.
Rebecca Sawicki hat einen Artikel geschrieben.
Der Artikel steht auf web.de.
Der Artikel heißt "Inklusion in einer Sonder-Welt".
Der Artikel spricht über Werkstätten für Menschen mit Behinderung.
Werkstätten haben viele Probleme.
Aber der Artikel erklärt nicht alle Probleme.
Der Artikel erklärt diese Probleme:
Menschen in Werkstätten bekommen sehr wenig Geld.
Im Durchschnitt sind das 226 Euro im Monat.
Das ist sehr wenig Geld für Voll-Zeit Arbeit.
In den Werkstätten gibt es oft Arbeits-Druck.
Nur sehr wenige Menschen kommen von der Werkstatt in einen normalen Job.
Das sind nur 0,35 Prozent pro Jahr.
Prozent ist ein Teil von 100.
50 Prozent bedeutet: die Hälfte von allem.
Firmen können Aufträge an Werkstätten geben.
Dann müssen sie keine Menschen mit Behinderung anstellen.
Das ist aber falsch.
Menschen in Werkstätten bekommen nur dann volle Erwerbs-Minderungs-Rente wenn sie in der Werkstatt bleiben.
Das ist ein Problem.
Es gibt verschiedene Ämter für verschiedene Hilfen.
Das macht alles sehr kompliziert.
Es gibt ein Projekt namens "Perspectiva".
Das Projekt hilft jungen Menschen.
Die Menschen müssen dann nicht in eine Werkstatt gehen.
Aber der Artikel lässt wichtige Dinge weg:
Die UN-Behinderten-Rechts-Konvention wird erwähnt.
Menschen mit und ohne Behinderung sollen die gleichen Rechte haben.
Das steht in einem wichtigen Vertrag, den viele Länder unterschrieben haben.
Aber der Artikel nutzt sie nicht als Maß-Stab.
Der Artikel sagt: Die Arbeit in Werkstätten ist freiwillig.
Aber das stimmt oft nicht.
Viele Menschen haben keine andere Wahl.
Der Artikel fragt nicht:
Können Werkstätten überhaupt Inklusion sein?
Werkstätten sind getrennt vom normalen Arbeits-Markt.
Das ist das Gegenteil von Inklusion.
Menschen mit Behinderung sagen das seit Jahren.
Aber ihre Meinung steht nicht im Artikel.
Das ist ein großer Fehler.
Große Organisationen betreiben Werkstätten.
Zum Beispiel die Lebenshilfe.
Menschen helfen anderen Menschen mit Problemen.
Sie zeigen, wie man gut im Alltag leben kann.
Auch Diakonie und Caritas betreiben Werkstätten.
Diese Organisationen verdienen Geld mit den Werkstätten.
Sie bekommen Geld vom Staat.
Sie bekommen auch Geld von Firmen für Aufträge.
Die Menschen in den Werkstätten bekommen sehr wenig Geld.
Deshalb können die Organisationen billig arbeiten.
Diese Organisationen sagen öffentlich:
Wir helfen Menschen mit Behinderung.
Aber sie verdienen Geld mit den Werkstätten.
Sie wollen das System nicht ändern.
Sie sitzen in wichtigen Gremien.
Sie reden bei Gesetzen mit.
So bleibt alles wie es ist.
Der Artikel nutzt viele Ideen von Ottmar Miles-Paul.
Ottmar Miles-Paul kritisiert Werkstätten sehr stark.
Er will echte Inklusion.
Aber der Artikel macht aus seiner starken Kritik eine schwache Kritik.
So klingt es nur so: Werkstätten müssen ein bisschen besser werden.
Aber Ottmar Miles-Paul will: Werkstätten sollen weg.
Der Artikel zeigt Probleme auf.
Aber er erklärt nicht warum es diese Probleme gibt.
So wird nichts wirklich geändert.
Die wichtigste Frage fehlt im Artikel:
Was wäre wenn alle Probleme gelöst würden?
Wenn Menschen in Werkstätten mehr Geld bekommen würden.
Wenn mehr Menschen einen normalen Job bekommen würden.
Wären Werkstätten dann in Ordnung?
Oder sind Werkstätten immer noch falsch?
Weil sie Menschen mit Behinderung von anderen Menschen trennen?
Diese Frage ist sehr wichtig.
Aber sie steht nicht im Artikel.

Foto: Ralph Milewski
Fladungen (kobinet) Allein die Überschrift "Inklusion in einer Sonderwelt" offenbart bereits den grundlegenden Widerspruch des Artikels. Es gibt faktisch keine Inklusion in einer Sonderwelt. Inklusion bedeutet, Teil des allgemeinen gesellschaftlichen Lebens zu sein, nicht in ein separates System ausgelagert zu werden. Wer den Begriff der Inklusion auf ein geschlossenes Parallelsystem wie die Werkstätten anwendet, verschleiert die Realität struktureller Ausgrenzung. Dass der Artikel dennoch mit dieser Formulierung einsteigt, deutet bereits an, dass hier zwar Symptome benannt, aber die Konsequenzen nicht zu Ende gedacht werden.
Der Artikel von Rebecca Sawicki auf web.de mit dem Titel „Inklusion in einer Sonderwelt“ benennt einige der bekannten Missstände im Werkstattsystem für behinderte Menschen. Dennoch bleibt er hinter dem zurück, was an kritischer Tiefenschärfe notwendig wäre, um diesem Thema gerecht zu werden. Eine differenzierte Einordnung ist überfällig.
Klar benannt werden die extrem niedrige Bezahlung, im Durchschnitt 226 Euro monatlich bei Vollzeit, der tatsächliche Arbeitsdruck in den Werkstätten sowie die äußerst geringe Übergangsquote in den allgemeinen Arbeitsmarkt von nur 0,35 Prozent pro Jahr. Auch die Möglichkeit für Unternehmen, sich durch Werkstattaufträge von ihrer gesetzlichen Pflicht zur Beschäftigung behinderter Menschen faktisch freizukaufen, wird thematisiert. Die strukturellen Nachteile durch die Bindung an die Werkstatt für den Erhalt der vollen Erwerbsminderungsrente werden angesprochen. Ebenso wird die Zersplitterung der Zuständigkeiten zwischen verschiedenen Leistungsträgern problematisiert. Positiv hervorgehoben wird das Projekt „Perspectiva“, das junge Menschen gezielt außerhalb des Werkstattsystems begleitet und Alternativen aufzeigt.
Allerdings bleibt die Kritik in anderen Bereichen nur angedeutet. Die UN-Behindertenrechtskonvention wird zwar zitiert, aber nicht systematisch als Maßstab herangezogen. Die Behauptung, Werkstattbeschäftigung sei freiwillig, bleibt unkommentiert, obwohl vielen Menschen faktisch gar keine Alternative zur Verfügung steht. Auch der strukturelle Zielkonflikt zwischen Förderung und wirtschaftlicher Verwertbarkeit wird sichtbar, aber nicht benannt. Dass Werkstätten historisch eine Schutzfunktion hatten, wird erwähnt, aber es fehlt die Frage, ob dieses Modell heute überhaupt noch legitim ist.
Vollständig ausgespart bleibt, was eigentlich im Zentrum stehen müsste. Die Werkstatt ist ein abgeschottetes Sondersystem außerhalb des allgemeinen Arbeitsmarkts. Es wird nicht hinterfragt, ob dieses System mit echter Inklusion überhaupt vereinbar ist. Obwohl viele Stimmen aus der Selbstvertretung seit Jahren genau das fordern, bleibt diese Perspektive außen vor. Dass im gesamten Artikel keine einzige betroffene Person direkt zu Wort kommt, ist mehr als eine Leerstelle. Es ist ein blinder Fleck mit politischer Aussagekraft. Auch die wirtschaftlichen Interessen der Träger, etwa der Lebenshilfe, Diakonie oder Caritas, die Werkstätten betreiben und zugleich politische Akteure sind, werden nicht benannt. Internationale Perspektiven auf Länder, die das Werkstattsystem abgebaut oder in inklusive Beschäftigungsmodelle überführt haben, fehlen ebenfalls. Schließlich bleibt auch die Rolle des Staates als Steuerer des Systems durch Fördermittel, Subventionen und gesetzliche Privilegien für Werkstattprodukte unbeachtet.
Ein zentraler Aspekt, der im Artikel gänzlich fehlt und auch in vielen journalistischen Beiträgen systematisch ausgeblendet wird, betrifft die Rolle der großen Trägerorganisationen, allen voran die Bundesvereinigung Lebenshilfe. Sie gehört zu den Hauptakteuren, die das Werkstattsystem in seiner heutigen Form nicht nur mitbegründet, sondern über Jahrzehnte hinweg auch politisch, institutionell und wirtschaftlich stabilisiert haben. Die Lebenshilfe tritt öffentlich als Fürsprecherin von Menschen mit Behinderung auf, gibt sich engagiert, dialogbereit und inklusionsfreundlich. Tatsächlich ist sie aber, ebenso wie Diakonie, Caritas, AWO und andere, einer der größten Betreiber von Werkstätten bundesweit.
Diese Werkstätten sind nicht bloß soziale Schutzräume, wie sie bis heute gerne dargestellt werden, sondern bilden ein eigenes Wirtschaftssystem. Sie übernehmen industrielle Aufträge, bieten Dienstleistungen an, betreiben Gastronomiebetriebe, Wäschereien, Gärtnereien oder digitale Produktion. Die Beschäftigten arbeiten oft unter Marktbedingungen, ohne jedoch als reguläre Arbeitnehmer anerkannt zu sein, ohne Mindestlohn, ohne Sozialversicherungspflicht, ohne individuelle Vertragsfreiheit. Die Träger hingegen profitieren doppelt. Einerseits durch staatliche Subventionen, Investitionsförderungen und Betreuungspauschalen, andererseits durch Einnahmen aus regulären wirtschaftlichen Aufträgen. Die niedrigen Lohnkosten durch die Nichtanwendung des Arbeitsrechts verschaffen ihnen zudem einen strukturellen Vorteil gegenüber inklusiven Arbeitgebern auf dem ersten Arbeitsmarkt.
Es ist diese institutionelle Doppelrolle, einerseits als Anbieter von Dienstleistungen für Menschen mit Behinderung und andererseits als wirtschaftlich handelnder Akteur, die eine ernsthafte Systemveränderung blockiert. Die Lebenshilfe sitzt in politischen Beiräten, gibt Stellungnahmen ab, wirkt an Gesetzgebungsverfahren mit und verteidigt damit ein System, das sie selbst strukturell trägt und von dem sie profitiert. Dass diese Interessenlage im Artikel nicht einmal angedeutet wird, ist eine gravierende Auslassung. Denn ohne die Offenlegung und Problematisierung dieser Machtverhältnisse bleibt jede Kritik am Werkstattsystem an der Oberfläche. Wer das System erhalten will, spricht von Teilhabe, Förderung und Freiwilligkeit. Wer es infrage stellt, muss über die ökonomischen Abhängigkeiten, politischen Allianzen und institutionellen Eigeninteressen sprechen. Genau das wäre notwendig, fehlt aber sowohl im Artikel als auch in der öffentlichen Debatte insgesamt viel zu oft.
Besonders auffällig ist, dass die meisten der genannten Kritikpunkte nicht von der Autorin selbst stammen, sondern direkt oder indirekt von Ottmar Miles-Paul. Seine Positionen strukturieren große Teile des Textes. Doch während Miles-Paul selbst das Werkstattsystem als solches infrage stellt und echte Inklusion außerhalb solcher Sonderstrukturen einfordert, bleibt der Artikel in einer journalistisch unentschiedenen Rahmung stehen. Sawicki übernimmt Positionen, ohne sie einzuordnen, zu vertiefen oder weiterzuführen. Die Folge ist ein Text, der Miles-Pauls Perspektive zitiert, aber nicht konsequent in eine systemische Analyse überführt. Dadurch wird aus einer radikalen Kritik eine moderat formulierbare Unzufriedenheit, die am Ende das Bild eines reformbedürftigen, aber weiterhin bestehenden Systems stabilisiert.
Der Artikel benennt also Symptome, vermeidet aber die Analyse der Ursachen. Er stabilisiert damit unbeabsichtigt das Bild eines Systems, das lediglich verbessert, aber nicht grundlegend verändert werden müsse. Wer jedoch, wie Miles-Paul, echte Teilhabe will, muss den Mut haben, das Werkstattsystem als solches infrage zu stellen. Es reicht nicht, nur an seinen Rändern zu feilen.
Am Ende bleibt die entscheidende Frage: Wenn all die angesprochenen Probleme wie niedrige Löhne, mangelnde Übergänge oder bürokratische Hürden tatsächlich gelöst würden, wäre das Werkstattsystem dann akzeptabel? Oder bliebe es dennoch ein Sonderweg, der Menschen mit Behinderung vom allgemeinen Arbeitsmarkt trennt und damit dem Gedanken der Inklusion strukturell widerspricht? Diese Frage hätte im Zentrum des Artikels stehen müssen. Sie fehlt.

Foto: Ralph Milewski
Fladungen (kobinet) Allein die Überschrift "Inklusion in einer Sonderwelt" offenbart bereits den grundlegenden Widerspruch des Artikels. Es gibt faktisch keine Inklusion in einer Sonderwelt. Inklusion bedeutet, Teil des allgemeinen gesellschaftlichen Lebens zu sein, nicht in ein separates System ausgelagert zu werden. Wer den Begriff der Inklusion auf ein geschlossenes Parallelsystem wie die Werkstätten anwendet, verschleiert die Realität struktureller Ausgrenzung. Dass der Artikel dennoch mit dieser Formulierung einsteigt, deutet bereits an, dass hier zwar Symptome benannt, aber die Konsequenzen nicht zu Ende gedacht werden.
Der Artikel von Rebecca Sawicki auf web.de mit dem Titel „Inklusion in einer Sonderwelt“ benennt einige der bekannten Missstände im Werkstattsystem für behinderte Menschen. Dennoch bleibt er hinter dem zurück, was an kritischer Tiefenschärfe notwendig wäre, um diesem Thema gerecht zu werden. Eine differenzierte Einordnung ist überfällig.
Klar benannt werden die extrem niedrige Bezahlung, im Durchschnitt 226 Euro monatlich bei Vollzeit, der tatsächliche Arbeitsdruck in den Werkstätten sowie die äußerst geringe Übergangsquote in den allgemeinen Arbeitsmarkt von nur 0,35 Prozent pro Jahr. Auch die Möglichkeit für Unternehmen, sich durch Werkstattaufträge von ihrer gesetzlichen Pflicht zur Beschäftigung behinderter Menschen faktisch freizukaufen, wird thematisiert. Die strukturellen Nachteile durch die Bindung an die Werkstatt für den Erhalt der vollen Erwerbsminderungsrente werden angesprochen. Ebenso wird die Zersplitterung der Zuständigkeiten zwischen verschiedenen Leistungsträgern problematisiert. Positiv hervorgehoben wird das Projekt „Perspectiva“, das junge Menschen gezielt außerhalb des Werkstattsystems begleitet und Alternativen aufzeigt.
Allerdings bleibt die Kritik in anderen Bereichen nur angedeutet. Die UN-Behindertenrechtskonvention wird zwar zitiert, aber nicht systematisch als Maßstab herangezogen. Die Behauptung, Werkstattbeschäftigung sei freiwillig, bleibt unkommentiert, obwohl vielen Menschen faktisch gar keine Alternative zur Verfügung steht. Auch der strukturelle Zielkonflikt zwischen Förderung und wirtschaftlicher Verwertbarkeit wird sichtbar, aber nicht benannt. Dass Werkstätten historisch eine Schutzfunktion hatten, wird erwähnt, aber es fehlt die Frage, ob dieses Modell heute überhaupt noch legitim ist.
Vollständig ausgespart bleibt, was eigentlich im Zentrum stehen müsste. Die Werkstatt ist ein abgeschottetes Sondersystem außerhalb des allgemeinen Arbeitsmarkts. Es wird nicht hinterfragt, ob dieses System mit echter Inklusion überhaupt vereinbar ist. Obwohl viele Stimmen aus der Selbstvertretung seit Jahren genau das fordern, bleibt diese Perspektive außen vor. Dass im gesamten Artikel keine einzige betroffene Person direkt zu Wort kommt, ist mehr als eine Leerstelle. Es ist ein blinder Fleck mit politischer Aussagekraft. Auch die wirtschaftlichen Interessen der Träger, etwa der Lebenshilfe, Diakonie oder Caritas, die Werkstätten betreiben und zugleich politische Akteure sind, werden nicht benannt. Internationale Perspektiven auf Länder, die das Werkstattsystem abgebaut oder in inklusive Beschäftigungsmodelle überführt haben, fehlen ebenfalls. Schließlich bleibt auch die Rolle des Staates als Steuerer des Systems durch Fördermittel, Subventionen und gesetzliche Privilegien für Werkstattprodukte unbeachtet.
Ein zentraler Aspekt, der im Artikel gänzlich fehlt und auch in vielen journalistischen Beiträgen systematisch ausgeblendet wird, betrifft die Rolle der großen Trägerorganisationen, allen voran die Bundesvereinigung Lebenshilfe. Sie gehört zu den Hauptakteuren, die das Werkstattsystem in seiner heutigen Form nicht nur mitbegründet, sondern über Jahrzehnte hinweg auch politisch, institutionell und wirtschaftlich stabilisiert haben. Die Lebenshilfe tritt öffentlich als Fürsprecherin von Menschen mit Behinderung auf, gibt sich engagiert, dialogbereit und inklusionsfreundlich. Tatsächlich ist sie aber, ebenso wie Diakonie, Caritas, AWO und andere, einer der größten Betreiber von Werkstätten bundesweit.
Diese Werkstätten sind nicht bloß soziale Schutzräume, wie sie bis heute gerne dargestellt werden, sondern bilden ein eigenes Wirtschaftssystem. Sie übernehmen industrielle Aufträge, bieten Dienstleistungen an, betreiben Gastronomiebetriebe, Wäschereien, Gärtnereien oder digitale Produktion. Die Beschäftigten arbeiten oft unter Marktbedingungen, ohne jedoch als reguläre Arbeitnehmer anerkannt zu sein, ohne Mindestlohn, ohne Sozialversicherungspflicht, ohne individuelle Vertragsfreiheit. Die Träger hingegen profitieren doppelt. Einerseits durch staatliche Subventionen, Investitionsförderungen und Betreuungspauschalen, andererseits durch Einnahmen aus regulären wirtschaftlichen Aufträgen. Die niedrigen Lohnkosten durch die Nichtanwendung des Arbeitsrechts verschaffen ihnen zudem einen strukturellen Vorteil gegenüber inklusiven Arbeitgebern auf dem ersten Arbeitsmarkt.
Es ist diese institutionelle Doppelrolle, einerseits als Anbieter von Dienstleistungen für Menschen mit Behinderung und andererseits als wirtschaftlich handelnder Akteur, die eine ernsthafte Systemveränderung blockiert. Die Lebenshilfe sitzt in politischen Beiräten, gibt Stellungnahmen ab, wirkt an Gesetzgebungsverfahren mit und verteidigt damit ein System, das sie selbst strukturell trägt und von dem sie profitiert. Dass diese Interessenlage im Artikel nicht einmal angedeutet wird, ist eine gravierende Auslassung. Denn ohne die Offenlegung und Problematisierung dieser Machtverhältnisse bleibt jede Kritik am Werkstattsystem an der Oberfläche. Wer das System erhalten will, spricht von Teilhabe, Förderung und Freiwilligkeit. Wer es infrage stellt, muss über die ökonomischen Abhängigkeiten, politischen Allianzen und institutionellen Eigeninteressen sprechen. Genau das wäre notwendig, fehlt aber sowohl im Artikel als auch in der öffentlichen Debatte insgesamt viel zu oft.
Besonders auffällig ist, dass die meisten der genannten Kritikpunkte nicht von der Autorin selbst stammen, sondern direkt oder indirekt von Ottmar Miles-Paul. Seine Positionen strukturieren große Teile des Textes. Doch während Miles-Paul selbst das Werkstattsystem als solches infrage stellt und echte Inklusion außerhalb solcher Sonderstrukturen einfordert, bleibt der Artikel in einer journalistisch unentschiedenen Rahmung stehen. Sawicki übernimmt Positionen, ohne sie einzuordnen, zu vertiefen oder weiterzuführen. Die Folge ist ein Text, der Miles-Pauls Perspektive zitiert, aber nicht konsequent in eine systemische Analyse überführt. Dadurch wird aus einer radikalen Kritik eine moderat formulierbare Unzufriedenheit, die am Ende das Bild eines reformbedürftigen, aber weiterhin bestehenden Systems stabilisiert.
Der Artikel benennt also Symptome, vermeidet aber die Analyse der Ursachen. Er stabilisiert damit unbeabsichtigt das Bild eines Systems, das lediglich verbessert, aber nicht grundlegend verändert werden müsse. Wer jedoch, wie Miles-Paul, echte Teilhabe will, muss den Mut haben, das Werkstattsystem als solches infrage zu stellen. Es reicht nicht, nur an seinen Rändern zu feilen.
Am Ende bleibt die entscheidende Frage: Wenn all die angesprochenen Probleme wie niedrige Löhne, mangelnde Übergänge oder bürokratische Hürden tatsächlich gelöst würden, wäre das Werkstattsystem dann akzeptabel? Oder bliebe es dennoch ein Sonderweg, der Menschen mit Behinderung vom allgemeinen Arbeitsmarkt trennt und damit dem Gedanken der Inklusion strukturell widerspricht? Diese Frage hätte im Zentrum des Artikels stehen müssen. Sie fehlt.
Ralph, auch hier trafst du den Nagel auf den Kopf – hast du dieses auch der Aktion Mensch direkt zugeleitet?
Apropos fehlt… Der Beitrag gibt eine gute Übersicht der Kritik am WfbM-Sondersystem, aber eine Perspektive fehlt. Nämlich das Wunsch- und Wahlrecht der Beschäftigten. Damit stabilisiert der Bericht unbeabsichtigt das Bild eines unmündigen Menschen mit Behinderungen.
Ich stelle in meinem Beitrag das Werkstattsystem als solches infrage – nicht einzelne Aspekte innerhalb des Systems, sondern das ganze Modell als Sonderstruktur, das aus meiner Sicht mit echter Inklusion unvereinbar ist. Sie hingegen kritisieren, dass ich das sogenannte Wunsch- und Wahlrecht der Beschäftigten nicht eigens thematisiert habe. Aber genau darin liegt doch der Unterschied: Während ich die Systemfrage stelle, rücken Sie mit Ihrem Einwand die Diskussion wieder auf die individuelle Ebene, und das stabilisiert letztlich die Grundstruktur, die ich kritisiere.
Ein Wunsch- und Wahlrecht innerhalb eines abgeschotteten Systems ist aus meiner Sicht kein Beleg für Selbstbestimmung, sondern eher ein Hinweis darauf, wie begrenzt die realen Möglichkeiten für viele Menschen mit Behinderung nach wie vor sind. Wenn man faktisch keine gleichwertige Alternative zum Werkstattsystem hat, bleibt von Wahlfreiheit nicht viel übrig – außer als Rhetorik. Ich spreche den Menschen ihre Mündigkeit nicht ab, im Gegenteil, ich nehme sie so ernst, dass ich frage, warum ihnen systematisch Zugänge zum allgemeinen Arbeitsmarkt verwehrt bleiben. Wer dann die fehlende Erwähnung des Wunschrechts kritisiert, ohne die strukturellen Bedingungen zu benennen, unterläuft unfreiwillig genau die Kritik, um die es mir geht.