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Inklusion als Selbstbedienungsladen? Die Lebenshilfe Bayern und ihr fragwürdiges System

Eine Frau von Hinten in einem Gang voller Warenregale in einem Lebensmittel-Discounter , schwarz-weiß Fotografie
Inklusion als Selbstbedienungsladen?
Foto: Ralph Milewski

Fladungen (kobinet) Inklusion ist in aller Munde – als politisches Ziel, als gesellschaftliche Verpflichtung, als Menschenrecht. Doch was, wenn jene, die Inklusion am lautesten propagieren, in Wahrheit die größten Profiteure eines Systems sind, das Menschen mit Behinderung in Abhängigkeit hält? Ein Blick auf die Lebenshilfe Bayern zeigt: Hier gibt es viele Gewinner – aber Menschen mit Behinderung gehören nicht unbedingt dazu.

Politische Nähe: Ein bequemer Partner für Bayern

Die Lebenshilfe Bayern ist mit fast 900 Einrichtungen, Diensten und Beratungsstellen sowie rund 160 Mitgliedsorganisationen eine der größten Akteure im Bereich der Behindertenhilfe. Sie ist tief in die bayerische Verwaltung eingebunden und unterhält enge Verbindungen zu den Landratsämtern und Bezirken. In der Praxis bedeutet das:

  • Fördergelder für Inklusionsmaßnahmen fließen vorrangig in Werkstätten, Wohnheime und betreute Einrichtungen der Lebenshilfe.
  • Direkte Einflussnahme auf politische Entscheidungen ist gegeben, da ehemalige Spitzenpolitiker, wie Carolina Trautner (ehemalige CSU-Sozialministerin), nun an der Spitze der Organisation stehen.
  • Die Lebenshilfe selbst definiert, was Inklusion bedeutet – und zwar in einer Weise, die ihr eigenes System schützt.

Es ist kein Zufall, dass Bayern sich in der Behindertenpolitik gerne auf die Lebenshilfe verlässt. Sie übernimmt Aufgaben, die eigentlich der Staat selbst leisten müsste, und ermöglicht es der Politik, sich als inklusionsfreundlich zu präsentieren, ohne tiefgreifende Veränderungen durchsetzen zu müssen.

Werkstätten: Ein lukratives System statt echter Teilhabe

Zahlen aus der aktuellen Stellungnahme der Lebenshilfe Bayern zur Anhörung im Landtag machen das Problem deutlich:

  • Rund 37.000 Plätze in Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM) davon 17.850 Plätze der Lebenshilfe (Quelle).
  • Nur 4.000 Arbeitsplätze in Inklusionsbetrieben davon 220 Plätze der Lebenshilfe (Quelle).
  • 1.900 Plätze in Förderstätten, die Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf beschäftigen.

Hier zeigt sich die strukturelle Schieflage: Werkstätten dominieren, während echte Inklusionsbetriebe kaum existent sind. Die bayerische Landesregierung investiert weiterhin Millionenbeträge in diese Sonderstrukturen:

  • 4,3 Millionen Euro für eine Werkstatt in Mitterfels (Quelle).
  • 6,3 Millionen Euro für eine Werkstatt in Pocking (Quelle).

Gleichzeitig gibt es keine offiziellen Zahlen darüber, wie viele Menschen in Bayern das Budget für Arbeit nutzen, das ihnen eine Alternative zu den Werkstätten bieten könnte. Die Förderung von Werkstätten als „Inklusionsmaßnahme“ erscheint damit mehr als fragwürdig.

Die Scheinheiligkeit der Lebenshilfe: Inklusionsforderung oder Machterhalt?

Die Lebenshilfe Bayern tritt als Vertreterin der Inklusion auf – doch sie steht nur so weit für Inklusion ein, wie es ihren eigenen Interessen dient. Es geht nicht darum, Menschen mit Behinderung gleiche Rechte und echte gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Vielmehr geht es um die Rechte, die innerhalb der von der Lebenshilfe kontrollierten Strukturen wahrgenommen werden können. Denn genau dort hat sie ihren Daumen drauf.

Ein Blick auf die Zahlen zeigt eine auffällige Diskrepanz: In Bayern gibt es 37.000 Plätze in Werkstätten für behinderte Menschen, während etwa 4.000 Menschen in Inklusionsbetrieben beschäftigt sind – das entspricht einem Verhältnis von etwa 11 Inklusionsarbeitsplätzen pro 100 Werkstattplätzen (10,81%). Bei der Lebenshilfe Bayern ist dieses Ungleichgewicht noch extremer: Dort stehen 17.850 Werkstattplätze nur 220 Arbeitsplätze in Inklusionsbetrieben gegenüber – also nur 1,2 Inklusionsarbeitsplätze pro 100 Werkstattplätze (1,23%). Diese Zahlen machen deutlich, dass die Lebenshilfe sich fast ausschließlich auf das Werkstattsystem stützt und damit weit stärker als der bayerische Durchschnitt. Dennoch stellt sich die Lebenshilfe als Vorreiterin der Inklusion dar. Das ist kein Versehen, sondern System:

  • Echte Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt würde das Geschäftsmodell der Lebenshilfe gefährden.
  • Die enge Verzahnung mit der Politik sichert ihr privilegierten Zugang zu staatlichen Fördermitteln.
  • Während Millionen in Werkstätten fließen, gibt es keine transparente Berichterstattung darüber, wie viele Menschen tatsächlich vom Budget für Arbeit profitieren (Quelle).

Dabei ist entscheidend: Inklusionsbetriebe gehören in der Regel nicht zur Lebenshilfe. Sie sind eigenständige Unternehmen, die Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam beschäftigen und reguläre Arbeitsverträge bieten. Im Gegensatz dazu stehen die Werkstätten der Lebenshilfe, in denen Menschen mit Behinderung nicht nach dem allgemeinen Arbeitsrecht angestellt sind und nur ein geringes Entgelt erhalten. Während Werkstätten massiv subventioniert werden, erhalten Inklusionsbetriebe nur geringe Förderung. Das erklärt auch, warum Inklusionsarbeitsplätze kaum ausgebaut werden, während die Zahl der Werkstattplätze konstant hoch bleibt.

Auch die ehemalige Staatssekretärin Carolina Trautner als Vorsitzende der Lebenshilfe Bayern verstärkt diese direkte Verbindung zwischen Politik und der Organisation. Das bedeutet: Der größte Akteur im Bereich der Behindertenhilfe kontrolliert die Strukturen, die eigentlich inklusiv gestaltet sein sollten – aber stattdessen Abhängigkeit verfestigen.

Wer profitiert wirklich?

Die Lebenshilfe Bayern sitzt an den Schaltstellen der Inklusionspolitik – nicht als neutraler Vermittler, sondern als direkter Profiteur eines Systems, das Abhängigkeit statt Teilhabe schafft. Während sich die Organisation nach außen als Förderer von Inklusion darstellt, zeigt ein Blick auf die Strukturen, dass die wahre Inklusion – die echte Integration auf den allgemeinen Arbeitsmarkt und in selbstbestimmte Wohnformen – nicht ernsthaft vorangetrieben wird.

Es bleibt die Frage: Wann wird Inklusion tatsächlich als Menschenrecht umgesetzt – anstatt als Geschäftsmodell einer Organisation, die mehr von Abhängigkeit als von echter Teilhabe profitiert? Die Antwort darauf liegt nicht bei der Lebenshilfe selbst, sondern in der politischen Bereitschaft, Alternativen endlich ernsthaft zu fördern.

Lesermeinungen

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2 Lesermeinungen
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AnnaLutz
21.02.2025 11:50

Aus meiner Beobachtung heraus müssen die Menschen, die von solch großen Vereinen wie der Lebenshilfe betreut werden, ihre Arbeitszeit, ihre Wohnung, ihre Freizeit, ihre Urlaube mit immer den gleichen Leuten teilen.
Alles ist organisiert aber nicht individuell. Das führt zu Frust, Überdruss, Konflikten untereinander. Mit Inklusion hat das natürlich wenig zu tun.
Durch die beschriebene Verwobenheit von Politik und großen Wohlfahrtsverbänden, die sich nach Aussen gut und gerne als Kämpfer für Behindertenrechte darstellen, bleibt es nur einzelnen Glückspilzen vorbehalten ein inklusiveres Leben zu führen.

Uwe Heineker
20.02.2025 20:30

diese wirklich sehr zutreffende Analyse müsste eher viral an die breite Öffentlichkeit gehen, damit sich deren Empörung überhaupt entwickeln kann