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Eine Meinung zu Weis „After Inclusion“.

Porträt Audre Lorde
Audre Lorde (1934-1992), eine schwarze Feministin und Antirace-Aktivistin. In ihren Essays "Sister Outsider" finde ich Parallelen zu Weis behindertenpolitischen Texten auf kobinet. Brother Outsider.
Foto: Audre Lorde

Berlin (kobinet) Ich möchte mich mit Brother Outsider vorstellen und vertrete die Auffassung: Weis hat es geblickt. Weis benutzt gern und häufig komplizierte Begriffe und Fachausdrücke, die schwer zu verstehen sind. Mir hilft das manchmal gerade nicht zu besserem Verständnis und macht es nur komplizierter. Aber bestimmte Begriffe und Formulierungen können auch helfen, Sachverhalte deutlicher zu erkennen. Wie wenn ein Scheinwerfer auf sie gerichtet wäre. Bei "After Inclusion" geht mir das so.

Seine Devise „After Inclusion“ (kobinet Kolumne vom 11.05.2025) zieht nämlich das behindertenpolitische Fazit aus der Erkenntnis: Inklusion als Prinzip und als gesellschaftspolitisches Ziel der Behindertenbewegung scheitert an einer Gesellschaft, die in „Struktur und Haltung“ (Milewski) auf egoistischen Vorteilsgewinn, Absicherung klassenbedingter Ungleichheit und diverse Formen von Ausschluss beruht. Eine von Machtwille, Besitzstandswahrung und privilegierten Interessen dominierte gesellschaftlicher Wirklichkeit, die der global einsetzt habende Backlash in Richtung Autoritarismus, nach politisch rechts bis faschistisch, vertieft und verfestigt.

Der hierauf reagierende Abwehrkampf gegen die drastische Einschränkung politischer Rechte, Freiheiten und demokratischer Teilhabe sowie gegen den Abbau der Reste von Sozialstaat kann behindertenpolitisch nicht sinnvoll unter der illusionären Parole „Inklusion“ geführt werden. Weis schlägt „Lotta continua“ vor. Weil der weiter zu führende Kampf ein unter veränderten Vorzeichen zu führender Kampf ist, verleiht ihm Weis einen anderen Namen. „Lotta continua“ zielt nicht auf die Inklusion der Behinderten ins autoritäre bis faschistische und selbst vor Krieg nicht zurückschreckende Vollstreckungssystem des sozialdarwinistisch brutalisierten Neoliberalismus. Vielmehr muss es darum gehen, nicht auf politische Vereinnahmung und auf Auseinanderdividiertwerden hereinzufallen und uns gegen die Attacken sozialer, psychischer und physischer Art auf unsere ohnehin schon marginalisierte und bedrohte Existenz zu wehren. Doch die konkrete Form dieses Abwehrkampfes (Weis spricht im Anschluss an Hadija Haruna-Oelker von solidarischem „Zusammensein“ in lokal verankerten Caring-Communities) bleibt bei Weis zu sehr im Vagen.

Und jetzt zum schwer verdaulichsten Brocken. Wie distanziert, abweisend und oft sogar feindselig wir Behinderte miteinander umgehen. Weis stellt dazu seine psychoanalytischen Spekulationen an, wozu ich wenig sagen kann. Was er schreibt, dass er es beobachtet, wie Behinderte sich gegenseitig ignorieren, Erfolgserlebnisse missgönnen oder sogar mobben, ist beunruhigend und gibt uns Grund zum Nachdenken. Da gebe ich ihm recht.

Und jetzt möchte ich noch etwas zu mir sagen. Ich sehe mich selber im Autismusspektrum und bin nonbinär. Neben den Behinderten fühle ich mich auch der queeren Community verbunden. Von dort aus bin ich auf Audre Lorde gekommen. Vor allem ihr Buch „Sister Outsider“ hat mich sehr beeindruckt. Seither nenne ich mich auch schon mal Brother Outsider.

Unglaublich, was Audre Lorde als schwarze Feministin und Lesbe von Seiten ihrer eigenen schwarzen Schwesternschaft an Feindseligkeit und Aggression abbekommen hat und wie sie das beschreibt! Dagegen ist das, was Weis beklagt, dass seine Beiträge vom behindertenpolitischen Aktivismus übergangen oder totgeschwiegen werden, noch gemäßigt. Zum Beispiel schreibt Lorde: „Ich denke an die Schroffheit mit der sich schwarze Frauen selbst in flüchtigen Situationen begegnen. An ihre Bereitschaft, zu verurteilen und geringzuschätzen, ihre herzlose Verweigerung jeglicher Verbundenheit. Auch ich habe manchmal das Gefühl, es sei lebenswichtig, einer anderen schwarzen Frau zu widersprechen. Sie ignorieren, sich von ihr fernzuhalten, ihr aus dem Weg zu gehen, mich einfach nicht mit ihr zu befassen. Nicht bloß weil sie mich irritiert, sondern weil sie mich mit ihrer eiskalten Reaktion auf das, was sie als Affront empfindet, nämlich mich, vernichten könnte“. Hey Leute, das müsst ihr selber lesen. Und sie hat das über vierzig Jahren geschrieben. Noch einen ihrer Sätze, weil der besonders gut passt zu Weis „After Inclusion“. Er betont ja auch immer, dass sich Inklusion verdienen wollen durch fit machen für den ersten Arbeitsmarkt, dass dies eine Illusion ist. Audre Lorde: „Die Werkzeuge der Herrschen werden das Haus der Herrschenden niemals einreißen.“ Das heißt, Anpassung an die Gepflogenheiten des strukturell auf Exklusion angelegen Systems bringt uns nicht die Inklusion, die der Mühe wert ist und dem Begriff gerecht würde.

Letzte Bemerkung. Lorde hat ein Lieblingsbild für die Ausgangslage des schwarzen Befreiungskampfes, „wir befinden uns im Maul eines Drachens“. Der Drache ist der damals noch und heute wieder offen rassistische Kapitalismus und sein politisches Regime in den USA. Wieder eine Analogie zu Weis: Was Lorde mit „im Schlund eines Drachens“ umschreibt, veranschaulicht Weis mit seinem Elefanten. Er sieht den Behindertenaktivismus im Bauch des neoliberalen Elefanten, wo bereits die Verdauungssäfte auf ihn einwirken. Während Behindertenpolitik und ihr Aktivismus sich noch ins Wolkenkuckucksheim einer idealtypischen inklusiven Gesellschaft hineinträumen. Welch ein Bewusstseinsrückfall gegenüber Audre Lorde und der Zeit damals (1960er bis 1980er Jahre). Welche Ahnungslosigkeit und Mangel an politischen Bewusstsein im heutigen Aktivismus!

Mit solidarischem Gruß, Brother Outsider