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Schein-Inklusion: Wie das System kleine Betriebe abschreckt und große Konzerne freikauft

Kleinbetrieb italienische Pizzeria, schwarz-weiß Fotografie
Kleinbetriebe haben das Nachsehen
Foto: Ralph Milewsk

Fladungen (kobinet) Inklusion auf dem Arbeitsmarkt ist in Deutschland ein wichtiges Ziel – zumindest auf dem Papier. Doch ein genauer Blick auf die aktuellen Regelungen zeigt, dass oft keine echte Teilhabe gefördert wird. Stattdessen werden kleine Betriebe ausgebremst, Werkstattbindungen gefördert und große Unternehmen entlastet. Die Folge: Schein-Inklusion, die den Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen weiter von echter Gleichberechtigung entfernt.

Ein Beispiel für diese Problematik wurde in einem Artikel über die Initiative „Mensch inklusive“ (*paywall) und die Eröffnung einer neuen Regionalstelle beleuchtet. Daraufhin wurde meine Lesermeinung veröffentlicht, die auf zentrale Widersprüche hinweist.

Ralph Milewski (ID: 62ad9f)  – am 19.12.2024

Augenwischerei! Die Behauptung, „Mensch inklusive“ habe in 10 Jahren 100 Menschen erfolgreich in den allgemeinen Arbeitsmarkt integriert, ist mehr als fragwürdig. Die Realität zeigt: Viele dieser „Arbeitsverhältnisse“ bleiben an Werkstätten für behinderte Menschen gebunden, oft handelt es sich um Praktika oder befristete Einsätze – keine echten, unabhängigen Jobs. Diese Verschleierung hat mit Inklusion nichts zu tun.
Inklusion bedeutet, Menschen mit Behinderung gleichberechtigt und ohne Sonderstrukturen in den Arbeitsmarkt einzubinden. Was hier als Erfolg gefeiert wird, ist die Fortführung von Abhängigkeiten unter einem neuen Etikett. Wenn Unternehmen weiterhin sozial vergünstigte Arbeitskräfte mit Werkstattbindung erhalten, verfestigt das bestehende Strukturen statt sie aufzubrechen. Inklusion ist kein PR-Schlagwort. Sie bedeutet echte Gleichberechtigung – und die braucht keine Werkstatt im Hintergrund. Solange das nicht passiert, bleibt das Programm Etikettenschwindel!

Diese Kritik lässt sich auf das gesamte System der Arbeitsmarktinklusion ausweiten.

1. Kleinbetriebe werden durch die ReZA ausgebremst

Die Rehabilitationspädagogische Zusatzausbildung (ReZA) ist für Kleinbetriebe, die bereit wären, Menschen mit Behinderungen auszubilden, eine enorme Hürde. Die Kosten, der zeitliche Aufwand und die organisatorischen Anforderungen sind für kleine Unternehmen schwer zu stemmen. Das ist besonders problematisch, da kleine Betriebe oft flexibler und individueller auf die Bedürfnisse von Mitarbeitenden eingehen könnten.

Statt die Bereitschaft kleiner Unternehmen zu fördern, inklusiv zu handeln, sorgt die ReZA dafür, dass viele von ihnen abgeschreckt werden. Dies verhindert echte Chancen auf inklusive Ausbildungs- und Arbeitsplätze, obwohl gerade Kleinbetriebe in ländlichen Regionen eine wichtige Rolle spielen könnten.

2. Werkstattbindungen und Schein-Arbeitsplätze

Programme wie „Mensch inklusive“ oder Werkstätten für behinderte Menschen schaffen oft keine echten Arbeitsverhältnisse. Stattdessen bleiben Menschen mit Behinderungen in Werkstattbindungen oder zeitlich befristeten Arbeitsverhältnissen gefangen, die von den Trägern organisiert werden. Solche Arbeitsverhältnisse benötigen keine ReZA und entbinden die Arbeitgeber von der Verantwortung, selbst barrierefreie Arbeitsumgebungen zu schaffen.

Das Ergebnis ist keine echte Inklusion, sondern eine Fortsetzung von Abhängigkeiten unter einem neuen Etikett. Menschen mit Behinderungen erhalten oft nicht einmal den gesetzlichen Mindestlohn, und langfristige Perspektiven bleiben aus.

3. Große Unternehmen kaufen sich frei

Die Ausgleichsabgabe erlaubt es großen Unternehmen, sich ihrer Verantwortung zu entziehen. Selbst nach der Erhöhung auf 815 Euro (ab 2025) pro unbesetzter Stelle pro Monat ist dieser Betrag für Konzerne wie die Deutsche Bahn oder andere DAX-Unternehmen lediglich ein Verwaltungsposten. Es ist oft einfacher und billiger, diese Abgabe zu zahlen, als barrierefreie Arbeitsplätze zu schaffen oder Menschen mit Behinderungen einzustellen.

Ein Beispiel für diese Praxis ist die Deutsche Bahn, die 2024 ihren „ersten Azubi im Rollstuhl“ einstellte. Einzelfälle werden präsentiert, obwohl große Unternehmen mit ihren Ressourcen Vorreiter in der Inklusion sein könnten und müssten.

4. Schein-Inklusion als Ergebnis

Das aktuelle System schafft ein dreifaches Ungleichgewicht:

  • Kleinbetriebe werden durch Bürokratie belastet, obwohl sie oft bereit wären, Menschen mit Behinderungen einzustellen.
  • Schein-Arbeitsplätze in Werkstätten oder durch Programme wie „Mensch inklusive“ verhindern echte Unabhängigkeit.
  • Große Unternehmen zahlen geringe Beträge und entziehen sich ihrer Verantwortung, echte inklusive Strukturen zu schaffen.

5. Was echte Inklusion braucht

Um die Illusion von Inklusion zu beenden, braucht es grundlegende Reformen:

  1. ReZA reformieren oder abschaffen:
    Die ReZA sollte durch niedrigschwellige Schulungen ersetzt werden, die für alle Betriebe leicht zugänglich sind. Kleinbetriebe dürfen nicht länger durch Bürokratie abgeschreckt werden.
  2. Werkstattbindungen auflösen:
    Arbeitsverhältnisse mit Werkstattbindung müssen in echte, unabhängige Arbeitsplätze umgewandelt werden. Menschen mit Behinderungen verdienen faire Bezahlung und Gleichbehandlung.
  3. Ausgleichsabgabe drastisch erhöhen:
    Die Abgabe sollte mindestens dem durchschnittlichen Gehalt einer vergleichbaren Stelle entsprechen, damit Freikaufen keine Option mehr ist.
  4. Großunternehmen in die Pflicht nehmen:
    Konzerne wie die Deutsche Bahn müssen verpflichtet werden, systematisch barrierefreie Arbeitsplätze zu schaffen und inklusiv zu handeln.

Fazit

Das aktuelle System verhindert mehr Inklusion, als es fördert. Kleinbetriebe werden durch Bürokratie entmutigt, Menschen mit Behinderungen bleiben in Abhängigkeiten gefangen, und große Unternehmen entziehen sich ihrer Verantwortung. Echte Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt kann nur erreicht werden, wenn Hürden abgebaut, Verantwortung eingefordert und Schein-Inklusion durch echte Maßnahmen ersetzt wird.

Lesermeinungen

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2 Lesermeinungen
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Stephan Laux
13.02.2025 16:23

Vor allem im ländlichen Raum bleiben die naturgemäß kleineren Betriebe außen vor. Auch auf dem Land besteht die Bereitschaft, sich an inklusiven Arbeitsmarktprojekten zu beteiligen. Die Kleinbetriebe müssen nur angesprochen und entsprechend gefördert werden. Sonst sterben sie aus, noch bevor sie von Inklusion und deren Chancen gehört haben.

Uwe Heineker
10.02.2025 18:58

diese Tatsachen sind in der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt, weshalb der große Aufschrei ausbleibt