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Der Mensch ist kein Ding !

Roland Frickenhaus
Roland Frickenhaus
Foto: Roland Frickenhaus

Plau am See (kobinet) "It's the economy, stupid!" Mit diesem Slogan, der sich ungefähr mit "Es ist die Wirtschaft, Dummkopf!" übersetzen lässt, gewann Bill Clinton einst die amerikanische Präsidentschaftswahlen. Da bekommen wir doch recht unverblümt und unverkleistert vor die Nase gehalten, dass man so etwas wie ein Dummkopf ist, wenn man nicht wahrhaben will, dass in unserem Gesellschaftssystem mehr oder weniger alle Dinge immer irgendwie mit Ökonomie zu tun haben. Wie sollte es denn in einer kapitalistischen Gesellschaft auch anders sein?



So entspricht es der Logik des Systems, dass man selbstverständlich auch mit Verschmutzungsrechten handeln kann und dass es möglich ist, auch damit sein Geld zu „verdienen“, dass man „erfolgreich“ gegen Staaten wettet.

Und die kleine elitäre Gruppe besonders verschlagener Zeitgenoss*innen, die sich die „Zahlung“ nicht geleisteter Steuern „erstatten“ ließ und damit das Gemeinwesen mal eben um gut 10 Milliarden € geschwächt hat, ist quasi so etwas wie ein Webfehler im Teppich des Kapitalismus, der den trüben Boden unserer grauen Wirklichkeit bedeckt. „It’s the oeconomy, stupid!“

Also: Weniger wundern und stattdessen realisieren, dass wir in einem kapitalistischen System leben.

Dass auch das Soziale der Logik des Marktes angepasst wurde, ist nun nicht wirklich eines Aufschreies wert. Entweder oder. Und wir haben „Entweder“. Und das aber richtig! It’s the oeconomy, you know (Es ist die Ökonomie, wie Du weißt) .

Ja, nicht nur Pizza und Regenschirme, sondern auch Helfen, Pflegen, Beraten, Betreuen und Beaufsichtigen sind auf dem Markt zu haben. Und genauso wie es dem Kunden/ der Kundin egal sein kann, wie man eine Pizza zubereitet, genauso kann es ihm/ ihr egal sein, wie ein Dekubitus behandelt wird oder wie man jemanden hilft, der spielsüchtig ist.

Man muss ja schließlich nicht alles können, solange es noch nette Vietnamesinnen gibt, die gern zu uns kommen, um uns zu pflegen. Und wenn man schon irgendjemanden zur Last fallen sollen muss, dann lieber nicht den eigenen Kindern, solange doch anderswo Pflegekräfte darauf warten, nach Deutschland zu kommen und uns die Haare zu waschen. Das ist bestes Kabarett.

Das Soziale als Last. Welch rasante Talfahrt hat doch der Kapitalismus der Entwertung des Menschen und dem Sozialen beschert! Nichts ist umsonst und auch der Kapitalismus kostet.

Dass wir derweil „Sozial“ nicht mehr können, zeigt sich daran, dass wir eher zum Smartphone als zum Verbandskasten greifen, wenn es vor uns zu einem Unfall kommt: „Hallo meine Lieben, ich stehe hier irgendwo auf der A7 und da vorn hat es voll den krassen Mega-Crash gegeben. Voll der Unfall, echt. Das sieht voll schlimm aus. Ich tippe mal locker so auf fünf Schwerverletzte. Minimum. Krass! Also fahrt immer vorsichtig und denkt an die Rettungsgasse! Taschaui und Bussi, Eure Bibi“.

Ja, es gibt Zeitgenossen, die halten sich für sozial, weil sie Soziale Medien nutzen und schreiben, selbstverständlich, das Wort „Sozial“ in „Soziale Medien“ mit kleinem „s“.

Und wenn der Regenschirm nach wenigen Tagen in seine Einzelteile zerfällt, dann ab mit dem Zahlungsbeleg und mal richtig vom Leder ziehen, dass es nicht sein kann, dass einem der Regenschirm im Regen stehengelassen hat. Umtausch oder Kohle zurück und den Chef sprechen. Und eine schlechte Bewertung folgt sowieso. Yes, that’s the oeconomy, liebe Leute!

Und der spielsüchtige Sohnemann hängt trotz sechsmonatiger Therapie immer noch vorm PC. Zahlungsbeleg? Umtausch? Chef sprechen? Gibt es ein Recht auf Wirksamkeit gekaufter (in Anspruch genommener) Sozialer Leistungen? Was ist, wenn das Soziale eben doch nicht in unser hochgelobtes Wirtschaftssystem zu integrieren geht und der Mensch zu komplex ist, um als ein Ding behandelt werden zu können?

„Finden Sie bei vergleichbarem Leistungsumfang die Kosten Ihres Heimplatzes innerhalb von 14 Tagen woanders günstiger als bei uns, erstatten wir Ihnen den monatlichen Differenzbetrag. Versprochen!“.

Es ist bedauerlich, dass wir das Soziale nicht anders denken können, als genauso monetär wie den ganzen Rest unserer bunten Seifenblasenwelt. Dabei ist nicht monetarisierbar, was uns im Kern ausmacht. Soziales und Ökonomie passen nicht zusammen. Zuwendung aus Gewinnerzielungsabsicht? Angebot und Nachfrage? Der Bedürftige als König Kunde? Vergiss es! Das geht nach hinten los -und wir gleich mit.

Ansonsten sollten wir uns ernsthaft fragen, wie denn Prof. Yusuke Narita das genau gemeint haben könnte mit seiner Idee eines kollektiven Massenselbstmordes von Senior*innen.

Ja und wenn wir eines Tages einen freundlichen Herrn im Anzug mit 10 Pflegerobotern im Schlepptau auf Neuschwanstein antreffen, dann nicht wundern: Das ist der Betriebsausflug des Pflegeheims „Zu den barmherzigen Schwestern“, das sich zum nächsten Ersten in „Pflegeheim zum empathischen Systemadministrator“ umbenennen wird. Das ist die Ökonomie, stupid!

Ja und dann wird der Chef noch einen KI-generierten Vortrag über interkulturelle Pflege halten. Da ist der Träger zukunftsfest aufgestellt, stammen doch seine zehn Pflegeroboter aus zehn verschiedenen Ländern. Im Anschluss gibt es noch einen Vortrag über die Bedeutung von Rückstellproben aus haftungsrechtlicher Sicht sowie einige Tipps, wie man sich vor Hackerangriffen schützt.

Früher hatte man kritische Mitarbeiter und heute eine kritische Infrastruktur. Lasst uns endlich das Loblied auf die Ökonomie des Sozialen anstimmen!

Der Mensch als Ding, eingetütet in Pflegegrad und Hilfebedarfsgruppe. Schöne neue Welt. Dabei wissen selbst die, die schweigen, dass das alles nicht funktionieren kann und dass wir uns immer weiter voneinander entfernen und entfremden. Wir brauchen einen breiten Diskurs, wie wir gegenseitig miteinander umzugehen wünschen. Denn der Mensch ist kein Ding und in jedem Fall (und zum Glück!) etwas anderes als seine regelmäßig protokollierten Vitalwerte und sein amtlich festgestellter Hilfebedarf.

Es wird höchste Zeit, dem Sozialen einen anderen Stellenwert zu geben, ehe sich die Jünger des besagten japanischen Professors bei uns melden. Und falls die nicht klingeln, dann werden wohl eines Tages die strammen Burschen aus gesichert rechtsextremen Kontexten vor der Tür stehen, um uns zu erklären, was ein gesunder Volkskörper ist. It‘s the Dfascism, you remember (es ist Faschismus, wie Du dich erinnerst) ?

Wieso dürfen wir einander eigentlich nicht zur Last fallen sollen? Gibt es überhaupt Leben, das autark funktioniert? Woher kommt es, dass „Sozial“ mit „Last“ oder Störung gleichgesetzt wird? Und was ist eigentlich mutig daran, wenn Prinzessin Sowieso sagt, dass sie psychische Probleme habe?

Es entspricht unserer Würde, dass wir wechselseitig füreinander da sind. Wir sind es uns gegenseitig wert und deshalb schuldig, gut miteinander umzugehen. Wir brauchen uns und sollten wissen, dass uns dies menschlich macht. Zudem hat Helfen den netten Nebeneffekt, dass es nicht nur sinnvoll ist, sondern auch Sinn gibt. Wir sind von Bedeutung füreinander, wenn wir uns gegenseitig helfen. Das ist eine andere Kategorie als der ganze Quatsch, der allabendlich unsere Flachbildschirme zum Wölben bringt.

Es wird nicht gelingen, Probleme mit der Art des Denkens zu lösen, durch die sie entstanden sind. Aber das ist ein eigenes Thema. Der Mensch jedenfalls ist kein Ding und das Soziale gehört nicht ökonomisiert, nur aufgewertet.

That’s all (das ist alles).