Menu Close

Viel über Politik und sich selbst im Bundestagspraktikum gelernt

Mandy Müller mit Assistenzhund Oris vor der Reichstagskuppel in Berlin
Mandy Müller mit Assistenzhund Oris vor der Reichstagskuppel in Berlin
Foto: privat

Kassel (kobinet) Die fast blinde Politikstudentin Mandy Müller aus Kassel hat sich Mitte September 2023 mit ihrem Assistenzhund Oris auf den Weg nach Berlin zu einem Praktikum bei der Bundestagsabgeordneten der Grünen, Stephanie Aeffner, im Bundestag aufgemacht. Während es im ersten Teil des kobinet-Interviews mit Mandy Müller darum ging, wie es zu diesem Praktikum kam und was es dafür alles zu regeln galt, geht es im zweiten Teil des von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul mit Mandy Müller geführten Interviews darum, wie es in Berlin lief und welche Erkenntnisse Mandy Müller zurück in ihre Heimatstadt Kassel gebracht hat.



kobinet-nachrichten: Wie wir im ersten Teil des Interviews erfahren haben, gab es im Vorfeld Ihres Praktikums bei der Bundestagsabgeordneten Stephanie Aeffner von den Grünen in Berlin eine Menge zu regeln. Aber Sie und Ihr Assistenzhund Oris haben es ja gut nach Berlin geschafft. Wie ging es dann für Sie los mit dem Praktikum?

Mandy Müller: Ich hatte mich zwei Tage lang gut vorbereitet, war mit allem versorgt, was Oris und ich brauchten und kannte meine Wege. Ich stand also pünktlich zur vorher verabredeten Zeit an einer der Pforten des Jacob-Kaiser-Hauses. Nachdem Oris und ich durch den Sicherheitscheck gelangt sind, bekamen wir unsere Gästekarte für den Tag, welche es uns gestattete, uns in Begleitung von Bundestagsmitarbeiter*innen in den Bundestagsgebäuden aufzuhalten. Einen Tag später bekam ich auch meinen Hausausweis, mit welchem ich mich dort dann auch frei bewegen konnte. In den Büros von Stephanie Aeffner und ihren Mitarbeiter*innen angekommen, lernte ich erstmal das tolle Team kennen, mit dem ich die nächsten zwei Wochen zusammenarbeiten würde. Außerdem wurden mir die groben Abläufe erklärt. Ich bezog meinen Arbeitsplatz und nach einer längeren Team-Besprechung war der Tag auch schon vorbei.

kobinet-nachrichten: Und wie wurde Oris, Ihr Assistenzhund, im Bundestag aufgenommen?

Mandy Müller: Sehr gut. Er war an der Pforte schon angemeldet, dort wusste man also Bescheid. Ich glaube, er erntete in den zwei Wochen viele verliebte Blicke. Die meisten waren ganz erstaunt, im Bundestag auf einen Hund zu treffen, weil Hunde dort eigentlich nicht erlaubt sind. Ein einziges Mal wurde etwas kritischer nachgefragt, aber das ließ sich gut klären. Sogar als er krank wurde, war man im Team total besorgt um ihn und sehr verständnisvoll, obwohl er sich, wie ich gestehen muss, ins Büro übergeben hat.

kobinet-nachrichten: Oris wurde also krank?

Mandy Müller: Ja, das war eine ziemliche Katastrophe. Er hat sich eine Gastritis eingefangen. Von den Symptomen her läuft diese bei Hunden genauso ab wie beim Menschen. Es ging schon in der ersten Woche in der Nacht von Montag auf Dienstag los und als es ihm Dienstag im Laufe des Tages immer schlechter ging, entschied ich, dass wir wohl zum Tierarzt müssen. Ich fand zum Glück relativ schnell eine Ärztin, die einen Termin für mich hatte. Das war ein ganz schöner Akt alles, vor allem für den armen Oris. Wir mussten erst vom Büro nochmal zur Wohnung, um seinen Impfausweis zu holen. Von dort fuhren wir dann mit dem Taxi zur Tierarztpraxis. Zu dieser mussten wir dann in einem Hinterhof überhaupt erstmal den Eingang finden. Nach ein paar Spritzen ging es dann wieder zur Wohnung. Mein Handynavi sagte, es wären 10 Minuten bis zum Brandenburger Tor, von wo aus ich mit der S-Bahn weiterfahren wollte. Ich wollte Oris in seinem Zustand natürlich nicht arbeiten lassen, also Blindenstock raus und, wie ich zu meinem Entsetzen feststellte, einmal quer durch die Touristen-überfüllte Innenstadt. Ich glaube, wir waren beide sehr froh, als wir in unserer Unterkunft angekommen sind. Ich muss zugeben, das war nicht nur für Oris, sondern auch für mich wirklich der Tiefpunkt meiner Zeit in Berlin.

Ich war sowieso schon total überladen mit Eindrücken, alles war neu, und dann dieses Rumirren in der fremden, lauten und vollen Stadt. Ich war total erschöpft und vor allem total in Sorge. Mein bester Freund, mein Begleiter in allen Lebenslagen, war total krank. Er wollte noch nicht mal mehr was essen und wenn ein Labrador nichts mehr essen will, geht es ihm wirklich schlecht. Ich konnte es kaum ertragen. In der folgenden Nacht schlief ich sehr wenig. Am nächsten Morgen aber, und ich war so unglaublich froh und dankbar darüber, ging es Oris tatsächlich besser! Jetzt musste ich es irgendwie bewerkstelligen, auf dem unvertrauten Induktionsherd Reis und Hühnchen zuzubereiten, aber es ging, und er behielt es bei sich. Damit war das gröbste zum Glück überstanden. Trotzdem blieb ich am Mittwoch auf Rat von Stephanies Team Oris zu Liebe zu Hause und erledigte einige Aufgaben von dort.

kobinet-nachrichten: Welche Aufgaben kann man in einem zweiwöchigen Praktikum als fast blinde Politikstudentin im Bundestag genau erledigen bzw. was wurde Ihnen aufgetragen?

Mandy Müller: Aufgetragen wurden mir vor allem Recherchearbeiten zu verschiedenen Themen. So wühlte ich mich zum Beispiel durch Gesetze zur schulischen Inklusion oder zur Barrierefreiheit in Österreich. Ich durchsuchte Bundestagsdokumente nach verschiedenen Stichpunkten und bereitete auch Gespräche von Stephanie vor. Ich hatte einen eigenen Arbeitsplatz mit Monitor und co, hier konnte ich gut vorübergehend arbeiten. Mein Praktikum bestand jedoch nicht nur aus Aufgaben, ich durfte auch ganz viel zuhören und miterleben. Ich saß in verschiedenen Sitzungen, von der internen Büro-Teamsitzung, über die Sitzung der Arbeitsgruppe „Arbeit und Soziales“, bis hin zum gleichnamigen Ausschuss war vieles dabei. Auch Treffen mit wichtigen Funktionären von Unternehmen wohnte ich bei, ebenso solchen mit Verbänden von Menschen mit Behinderung. Auch an einem Social-Media-Training durfte ich teilnehmen und generell lernte ich die Strukturen, Abläufe und Arbeitswesen sowohl im Abgeordnetenbüro, als auch im Bundestag generell kennen. Kleiner Funfact: Wenn eine namentliche Abstimmung läuft, wird es laut in den Gängen dort. Denn überall, sogar auf den Toiletten, ist ein Signal zu hören, damit alle Abgeordneten zur Abstimmung kommen. Das wusste ich zum Beispiel noch nicht.

kobinet-nachrichten: Von der Theorie des Studiums in die Praxis des Politikbetriebs im Bundestag – welche Erkenntnisse haben Sie aus Ihrem Praktikum gezogen?

Mandy Müller: Erkenntnisse nicht direkt, aber ich konnte viele theoretische Kenntnisse jetzt mit dem, was ich praktisch erlebte, in Verbindung bringen. Ganz viel beispielsweise zu Gesetzesverfahren. Ich glaube mein Studium hat mir gut geholfen, die Abläufe dort besser zu verstehen und schneller einzuordnen. Umgekehrt hat mir das Praktikum aber auch sehr geholfen, die theoretischen Hintergründe klarer zu sehen und zu bewerten.

kobinet-nachrichten: Was hat richtig gut geklappt und wo hat es während des Praktikums gehakt?

Mandy Müller: Richtig gut geklappt hat eigentlich alles, was im Bundestag, bzw. im Jacob-Kaiser-Haus selbst stattfand. Ich habe mich dort sehr wohl gefühlt. Auch alles, was ich vorher organisiert hatte, hat einigermaßen gut funktioniert, zumindest am Anreisetag und auch am Sonntag war ich sehr zufrieden mit dem VBB-Begleitservice. Auch die Wohnung war super und ich war mit allem versorgt, was ich brauchte.

Was nicht gut geklappt ha … naja, das kann man so pauschal gar nicht sagen, es gab halt einfach ein paar Dinge, die schief gelaufen sind. Wir haben zum Beispiel schon am Ende der ersten Woche Oris‘ Leine verloren. Ich hatte zum Glück noch zwei dabei, die zweite hat er dann aber am vorletzten Tag durchgekaut, so dass ich diese furchtbare pinkfarbene Leine nehmen musste, die auf Bildern zu sehen ist. Da in Berlin aber der Fressnapf liefert, haben wir uns eine neue Leine ordern können. Dann ist das mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in Berlin echt nicht ganz einfach. Eine Haltestelle kann durchaus mal fünf oder sechs Abfahrtspunkte haben, die recht weit voneinander entfernt sind, da haben wir uns durchaus das ein oder andere Mal verlaufen. Außerdem war ich sehr froh, dass auch der Mediamarkt in Berlin liefert, da mein Handyladekabel und auch das Ersatzladekabel den Geist aufgegeben hatten. Und ohne mein Handy, welches Navigationssystem, Fahrplanauskunft, Fernrohr und Kommunikationsmitteln in einem war, wäre ich vollkommen aufgeschmissen gewesen. Diese ganzen kleinen Katastrophen ließen sich aber lösen.

kobinet-nachrichten: Was haben Sie aus Ihrem Praktikum in Berlin zurück in die Provinz nach Kassel mitgenommen?

Mandy Müller: Neben all den inhaltlichen Aspekten, also dem, was ich über Bundespolitik, die Arbeit einer Abgeordneten und ihrem Team gelernt habe, nehme ich auch ganz viel über mich selbst mit. Auf das Politische bezogen ist mir klar geworden, dass ich nicht der Typ Mensch bin, der das nötige Durchhaltevermögen, die Frustrationsschwelle und Standfestigkeit besitzt, die es braucht, um ganz vorne bei den bundespoltischen Entscheidungen mitmischen zu wollen. Außerdem ist mir klar geworden, dass es viele, viele sehr wichtige Themen gibt, für die es sich lohnt, sich politisch zu engagieren. Ich persönlich möchte und werde mich in Zukunft nicht nur auf ein Thema beschränken, denn weiter engagieren möchte ich mich auf jeden Fall. Das Praktikum hat mein Interesse für Politik und das ganze drumherum wieder total aufflammen lassen.

Generell ist mir aber auch klar geworden, dass ich ein Mensch bin, der schwierige Situationen meistern und Lösungen finden kann. Früher hatte ich oft Angst vor Herausforderungen, heute nehme ich sie an und freue mich, wenn ich sie gemeistert habe, wie auch in diesem Fall. Das ich dieses Praktikum gemacht habe und im Großen und Ganzem doch alles einigermaßen geklappt hat, hat mir doch einen kleinen Selbstbewusstseinsschub verpasst.

Aber als ich am Samstagabend meine Wohnungstür in Kassel aufgeschlossen habe und mein Freund mich mit selbstgemachtem schwäbischen Kartoffelsalat empfangen hat, war ich, obwohl ich total froh bin, dieses Praktikum gemacht zu haben, doch total glücklich, wieder zu Hause zu sein. Und auch das ist eine tolle Erkenntnis: Ich mag mein Kassel, meine Wohnung und bin sehr glücklich mit dem, was ich habe.

Link zum ersten Teil des Interviews mit Mandy Müller