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Mandy Müller: Praktikum mit Assistenzhund im Bundestag – wie kam es dazu?

Mandy Müller und ihr Hund Oris mit Stephanie Aeffner im Bundestag
Mandy Müller und ihr Hund Oris mit Stephanie Aeffner im Bundestag
Foto: privat

Kassel / Berlin (kobinet) "Mit Assistenzhund ist auch im Bundestag zu rechnen“, so lautete die Überschrift eines Berichts der kobinet-nachrichten vom 19. September 2023 mit einem Bild des Assistenzhundes Oris, der sich auf dem Platz vor dem Reichstag in Berlin niedergelassen hatte. Das Bild vom Bericht kam von Mandy Müller aus Kassel, die im September ein zweiwöchiges Praktikum im Deutschen Bundestag absolviert hat. kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul führte mit der blinden Politikstudentin ein zweiteiliges Interview. Im ersten Teil geht es u.a. darum, warum sie sich für dieses Praktikum entschieden hat und was es im Vorfeld alles zu organisieren gab, wenn sich eine blinde Studentin mit ihrem Führhund und ohne Assistenz aus dem überschaubaren Kassel auf den Weg in die Millionenstadt Berlin zu einem Praktikum im Bundestag aufmacht. Im zweiten Teil geht es demnächst dann darum, welche Eindrücke Mandy Müller von ihrem Bundestagspraktikum mit nach Hause gebracht hat.



kobinet-nachrichten: Sie studieren Politikwissenschaften an der Universität Kassel, engagieren sich im Kasseler Verein zur Förderung der Autonomie Behinderter (fab) und haben ihr Praktikum im Bundestag vor kurzem gut zu Ende gebracht. Was sollten unsere Leser*innen noch über Sie wissen?

Mandy Müller: Ich bin 29 Jahre alt, immer im Doppelpack mit Oris unterwegs, habe Typ 1 Diabetes und bin gesetzlich blind. Ich habe allerdings noch einen kleinen Sehrest auf dem linken Auge von ca. 2 Prozent.

kobinet-nachrichten: Fangen wir mal ganz von vorne an. Warum haben Sie sich entschieden, dieses Praktikum zu absolvieren? Hat ihr Politikstudium Ihnen nicht schon genug Eindrücke vermittelt, wie Politik funktioniert?

Mandy Müller: Als sich die Möglichkeit auftat, ein Praktikum bei der Grünen Bundestagsabgeordneten Stephanie Aeffner zu absolvieren, war mir sofort klar, dass das auf mehreren Ebenen eine großartige Chance für mich ist. Der Mensch wächst an Herausforderungen – und eine Herausforderung, an der ich wachsen kann, habe ich bei diesem Vorhaben allemal gesehen. Und dann ist es natürlich ein gewaltiger Unterschied, Dinge auf theoretischer Ebene zu lernen und sie auf praktischer Ebene mitzuerleben. Ich habe das Studium schließlich gewählt, weil mich Politik interessiert. Und all das erworbene Wissen mit praktischen Inhalten untermauern zu können und Bundespolitik live und vor Ort miterleben zu können, war sehr verheißungsvoll für mich.

kobinet-nachrichten: Das Praktikum ist das eine, aber in Berlin eine erschwingliche Unterkunft zu finden dürfte nicht ganz einfach gewesen sein. Wie haben Sie das gemeistert?

Mandy Müller: Vor allem eine erschwingliche Unterkunft MIT meinem Hund zu finden, das war leider sehr schwierig. Eigentlich darf Assistenzhunden der Zutritt nicht verwehrt werden, aber man will auch keine zwei Wochen in einem Zimmer, welches man über AirBnB gebucht hat, wohnen, wenn der Mitbewohner etwas gegen den Hund hat und es deshalb immer wieder zum Streit kommt. Ich habe also sämtliche Fühler in alle Richtungen ausgestreckt. Habe Bekannte gefragt, die wiederum Bekannte in Berlin haben, habe bei Vereinen nachgefragt, AirBnB durchsucht und auf verschiedenen Portalen inseriert. Einige sagten erst zu, und dann, als ihnen einfiel, dass so ein Hund auch Haare verliert, wieder ab.

Gerettet hat mich schließlich mein Gesuch auf wg-gesucht.de. Hier meldete sich eine sehr liebe Frau, die zum Zeitpunkt meines Berlin-Aufenthalts auf Geschäftsreise war und ihre Wohnung deshalb untervermietet hat. Sie hatte selbst mal einen Labrador und war deshalb sehr offen. Die Wohnung war wunderschön und letzendlich sogar günstiger als sämtliche Jugendherbergen, die ich natürlich auch abgeklappert hatte. Hier hatte ich außerdem die Möglichkeit zur Selbstverpflegung, was sich natürlich positiv aufs Budget auswirkte. Ich habe mir einen Tag vor Anreise extra schon mal einen Einkauf per Rewe-Lieferservice in die Wohnung liefern lassen und so von Anfang an auch meine Verpflegung sichergestellt.

kobinet-nachrichten: Eine Reise mit einem Assistenzhund will gut geplant sein. Was gab es dabei für Sie alles zu regeln bzw. zu berücksichtigen?

Mandy Müller: Das fängt schon damit an, dass man bei der Wahl der Unterkunft schauen sollte, dass eine Grünfläche zum Gassi gehen in erreichbarer Nähe ist. Dann geht es weiter beim Gepäck. Schon allein Futter für 14 Tage ist eine Menge und der Hund braucht nicht nur das. Er braucht etwas zum Liegen, etwas, woraus er fressen und trinken kann, ein Handtuch falls er sich nass und dreckig macht usw. Also musste auch die Reisedecke, Reisenäpfe, Handtuch etc. Platz im Rucksack finden sowie wichtige Dinge wie Ersatzleine (zum Glück hatte ich sogar zwei davon dabei aber dazu später), Impfpass und Medikamente für Notfälle. Auch mein 80 Liter Wanderrucksack kommt hier an seine Grenzen und für mich selbst habe ich dann noch gar nichts eingepackt.

Also habe ich tatsächlich einen Koffer und ein Paket mit Oris‘ Futter per Hermes in den Paketshop gegenüber meiner Unterkunft schicken lassen. Dann sollte man sich vorher über Tierärzte informieren und ganz wichtig: Auslaufmöglichkeiten. Ein Hund, der viel geistige Arbeit leistet, braucht Bewegung als Ausgleich. Außerdem musste Oris natürlich im Bundestag angemeldet werden.

kobinet-nachrichten: Welche Herausforderungen gab es für Sie in Sachen Mobilität für die Zeit in Berlin und wie haben Sie das gemeistert?

Mandy Müller: Mir stand für die Zeit in Berlin leider keine Assistenz zu, da ich mein Pflichtpraktikum für das Studium, für welches Assistenz gewährt wird, bereits 2022 absolviert habe. Jetzt ist Berlin aber eine nicht gerade kleine Stadt mit einem, wie ich finde, recht komplexen Nahverkehrsnetz. Hier musste ich mich also irgendwie alleine mit Oris zurechtfinden. Am Anreisetag habe ich mir, um mir am ersten Tag den Stress zu sparen und weil der Berliner Hauptbahnhof wirklich sehr kompliziert aufgebaut ist, den Begleitservice vom Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) gebucht. Das ist ein kostenloser Service, der Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen nicht allein mit Bus und Bahn unterwegs sein können oder wollen, hilft von A nach B zu kommen. Man holte mich also vom Gleis ab und brachte mich bis zur Unterkunft. So haben Oris und ich uns schon mal den Weg zur Straßenbahn eingeprägt, als wir von der Straßenbahn zur Unterkunft gelaufen sind.

Am nächsten Tag (Sonntag) habe ich mir nochmal den Begleitservice gebucht, um zum Bundestag zu fahren, damit ich auch diesen Weg einmal gemacht habe. So lernte ich noch eine Bushaltestelle, den Nordbahnhof und die S + U Bahnstation Brandenburger Tor kennen. Mit diesen Kenntnissen erarbeitete ich mir in den nächsten zwei Wochen alle Wege, die ich sonst so mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu machen hatte. Ich musste mich natürlich auch viel durchfragen. Zu Fuß war ich zum Glück relativ gut mit Google Maps unterwegs.

Wir sind im Übrigen schon zwei Tage vor Beginn des Praktikums angereist, um in Ruhe alles auskundschaften zu können. So wussten wir Montagmorgen direkt, wo wir hin müssen. Oris hat glücklicherweise ein unglaublich gutes Wegegedächtnis und konnte sich sogar die Gleise merken, auf denen unsere Bahnen abfuhren. Auch kannte er die Ein- und Ausgänge der S und U-Bahnstationen. Das war mir eine enorme Hilfe.

kobinet-nachrichten: Im zweiten Teil des Interviews beschäftigen wir uns damit, was Sie während des Praktikums im Bundestag erlebt und daraus für sich mitgenommen haben. Aber vielleicht noch die Frage: mit welchen Gefühlen sind Sie in Kassel in den Zug gestiegen, als es dann ernst mit der zweiwöchigen Reise nach Berlin wurde?

Mandy Müller: Ich war natürlich total aufgeregt. Ich hatte alles so gut durchorganisiert, wie es mir möglich war. Die Hauptaufgabe für die nächsten zwei Tage würde darin liegen, die täglichen Wege inklusive Gassirunden zu verinnerlichen, ansonsten war erstmal für alles gesorgt. Aber man denkt natürlich nach … was wenn dies nicht klappt, oder jenes? Und es haben sich auch durchaus einige mittlere Katastrophen ereignet, aber dazu im zweiten Teil mehr. Aber ich war auch voller Vorfreude und Neugier: Was erwartet mich wohl im Praktikum? Was werde ich erleben? Welche Aufgaben werde ich haben? Wie gehe ich aus diesen zwei Wochen wohl raus? Aber dazu dann nächstes Mal.

Link zum kobinet-Bericht vom 19.9.2023 „Mit Assistenzhund ist auch im Bundestag zu rechnen