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Hinter inklusionsfeindlichen Aussagen steckt menschenfeindliches Programm

Porträt von Corinna Rüffer
Bild von Corinna Rüffer
Foto: Corinna Rüffer

Berlin (kobinet) Die diskriminierenden Äußerungen von Björn Höcke gegen die schulische Inklusion sind für die Berichterstatterin für Behindertenpolitik der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Corinna Rüffer, keine bloßen Provokationen und Pöbeleien. "Dahinter steckt ein politisches Programm, das dezidiert menschenfeindlich gegen ganze Bevölkerungsgruppen ausgerichtet ist. Das ist brandgefährlich, insbesondere, wenn hier in irgendeiner Form Anschlussoffenheit für andere politische Kräfte suggeriert wird. Inklusion ist ein Menschenrecht. Das Recht auf gleichen Zugang zu inklusiver Bildung ist keine Ideologie, sondern seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention vor 14 Jahren in Deutschland gesetzlicher Anspruch", stellte Corinna Rüffer im Interview der kobinet-nachrichten zum Umgang mit menschenfeindlichen Statements und Aktionen der AfD klar.

kobinet-nachrichten: Im Deutschen Bundestag sind Sie als Abgeordnete der Grünen schon seit einigen Jahren mit immer wiederkehrenden Entgleisungen von Abgeordneten der AfD konfrontiert. Was bedeutet dies für Sie als jemand, die sich für die Menschenrechte von ganz unterschiedlichen Gruppen stark macht?

Corinna Rüffer: Die AfD hat Provokationen und Entgleisungen als politisches Stilmittel im Deutschen Bundestag für sich etabliert, um von einer weitgehenden inhaltlichen Leere abzulenken. Das äußert sich nicht nur in ihrer Rhetorik, sondern spiegelt sich auch immer wieder in parlamentarischen Initiativen, die darauf abzielen, unsere Demokratie als solche verächtlich zu machen. Hier müssen alle demokratischen Kräfte im Parlament klar zusammenstehen und deutlich machen, dass undemokratisches Verhalten im Bundestag keinen Platz hat und von den anderen Parteien nicht geduldet wird. Glücklicherweise steht hier im Bundestag die Brandmauer auch bei den anderen Fraktionen noch.

kobinet-nachrichten: Die Behindertenverbände bewegen sich im Umgang mit der AfD zwischen der Frage, wieviel Aufmerksamkeit man abwertenden Äußerungen der AfD gibt, in dem man darauf reagiert. und der Herausforderung, dass man solche Statements wie zuletzt von Björn Höcke gegen die schulische Inklusion nicht einfach stehen lassen kann. Wie schätzen Sie dies angesichts der neuerlichen Entgleisungen des AfD-Vertreters ein?

Corinna Rüffer: Mit den Äußerungen Höckes verhält sich das schon ganz anders. Das sind keine bloßen Provokationen und Pöbeleien. Dahinter steckt ein politisches Programm, das dezidiert menschenfeindlich gegen ganze Bevölkerungsgruppen ausgerichtet ist. Das ist brandgefährlich, insbesondere, wenn hier in irgendeiner Form Anschlussoffenheit für andere politische Kräfte suggeriert wird. Inklusion ist ein Menschenrecht. Das Recht auf gleichen Zugang zu inklusiver Bildung ist keine Ideologie, sondern seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention vor 14 Jahren in Deutschland gesetzlicher Anspruch. Wenn hier mit dem Verweis auf das faktische Fortbestehen von Förderschulen und anderen Sonderstrukturen für Menschen mit Behinderungen die menschenfeindlichen Forderungen von Höcke in der öffentlichen Diskussion verharmlost werden, wird ein Einfallstor geöffnet, das unsere Gesellschaft um Jahrzehnte zurückkatapultieren könnte. Wir müssen dringend in die andere Richtung mehr Druck machen. Wir müssen endlich wieder neuen Schwung in die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und in die Überwindung bestehender Sonderstrukturen bringen.

kobinet-nachrichten: Nicht nur bei der AfD, sondern auch in anderen Parteien steht die schulische Inklusion nicht besonders hoch im Kurs, wie sich auch an der zögerlichen Entwicklung in diesem Bereich zeigt. Wie schätzen Sie dies angesichts der nun getätigten Äußerungen von Björn Höcke und vor allem auch im Hinblick auf die am 29. und 30. August in Genf anstehende Staatenprüfung Deutschlands zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ein?

Corinna Rüffer: Ich gehe davon aus, dass der UN-Fachausschuss sich ähnlich wie bei der letzten Staatenprüfung sehr kritisch mit den Strukturen in Deutschland auseinandersetzen wird. Die Anforderungen wurden 2015 sehr klar formuliert. Deutschland muss das System der Förderschulen überwinden, um den Ansprüchen und Rechten aus der UN-Behindertenrechtskonvention zu entsprechen. Viel passiert ist leider nicht; die Umsetzung hat stark nachgelassen und weist zwischen den Bundesländern große Unterschiede auf.

kobinet-nachrichten: Was kann bzw. muss Ihrer Ansicht nach nun getan werden, um die schulische Inklusion tatsächlich und langfristig als Menschenrecht in unserer Gesellschaft zu verankern?

Corinna Rüffer: Wir müssen auf die Best-Practice-Beispiele (z.B. Bremen) schauen und darauf, welche negativen Folgen das System von Förderschulen für die betroffenen Menschen und die ganze Gesellschaft hat. Wenn drei Viertel der Schüler*innen die Förderschule ohne Abschluss verlassen und der Automatismus in eine Werkstatt nahezu alternativlos erscheint, dann haben wir allen Grund zu handeln. Hier ist in erster Linie wichtig, den Betroffenen das Recht auf soziale Teilhabe zu ermöglichen. Aber wir dürfen auch nicht unterschätzen, welchen ungeheuren Verlust es für die Gesellschaft bedeutet, auf das Potential dieser Menschen zu verzichten, wenn wir sie an den Rand der Gesellschaft drängen, anstatt sie in deren Mitte zu holen, wo sie hingehören.

kobinet-nachrichten: Was wünschen Sie sich nun vor allem von anderen demokratischen Parteien nach den Entgleisungen von Björn Höcke in Sachen schulische Inklusion?

Corinna Rüffer: Meine Hoffnung ist, dass die unsäglichen Entgleisungen von Höcke dazu führen könnten, dass denjenigen, die bislang kritisch und ablehnend auf schulische Inklusion geblickt haben, die Augen geöffnet werden. Das Zurückdrängen von Inklusion ist kein politisches Programm für eine vielfältige demokratische Gesellschaft. Die Ablehnung von Inklusion ist das Programm eines Faschisten, der unser Land zurück in sehr dunkle Zeiten führen will. Für eine zukunftsfähige Gesellschaft ist Inklusion die Lösung. Hier braucht es gemeinsame Anstrengungen, hier braucht es den Zusammenhalt aller demokratischen Kräfte. Vielleicht hat Höcke rückblickend dann mit seinen Entgleisungen sogar einen ganz eigenen Beitrag zur Inklusion in unserem Land geleistet.

kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.

Siehe auch: kobinet-Bericht vom 11. August 2023 – Inklusion ist keine Ideologie, sondern ein Menschenrecht