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Femme

Berlinale Bär
Berlinale Bär
Foto: Anke Glasmacher

Berlin (kobinet) "Femme", so lautet der Titel des vierten Films, den sich kobinet-Korrepondentin Anke Glasmacher bei der diesjährigen Berlinale angeschaut hat, die heute, am 26. Februar, zu Ende geht. "Als würde man einem Krebs beim Laufen zuschauen: Jedem emanzipativen Schritt nach vorne scheint ein autoritärer Schritt zurück zu folgen, als sei die Freiheit (der Anderen) etwas Bedrohliches für das eigene Selbst. Dieses angenommene Phänomen zitiert der Film "Femme“ der beiden Regisseure Sam H. Freeman, Ng Choon Ping auf eindrückliche Weise und in bedrückenden Bildern", schreibt Anke Glasmacher u.a. über den Film.

Bericht von kobinet-Korrespondentin Anke Glasmacher von der Berlinale

Als würde man einem Krebs beim Laufen zuschauen: Jedem emanzipativen Schritt nach vorne scheint ein autoritärer Schritt zurück zu folgen, als sei die Freiheit (der Anderen) etwas Bedrohliches für das eigene Selbst. Dieses angenommene Phänomen zitiert der Film „Femme“ der beiden Regisseure Sam H. Freeman, Ng Choon Ping auf eindrückliche Weise und in bedrückenden Bildern.

Jules (gespielt von Nathan Stewart-Jarrett) ist ein bekannter und gefeierter Drag-Performer in London. Während einer Pause seiner Show will er rasch Zigaretten holen, die Zeit ist zu kurz, sich dafür extra umzuziehen. Also läuft er in vollem Ornat und perfekt geschminkt zum nächsten Kiosk und steckt in einer Warteschlange an der Theke fest, als eine Gruppe junger Männer in den Laden kommt. Sie bemerken ihn und beginnen, ihn zu beleidigen. Jules wehrt sich schlagfertig, zahlt die Zigaretten und verlässt den Laden. Es passiert das inzwischen Erwartbare: Die Gruppe läuft hinter ihm her und schlägt ihn zusammen, der Anführer: Preston (George MacKay), der von den anderen nur mit Mühe zurückgehalten werden kann, mit einem Messer auf Jules einzustechen. Sie rauben seine Kleider und lassen ihn verletzt auf der Straße zurück. Zeugen: Keine.

Nach diesem Vorfall zieht sich Jules von der Bühne, von seinen Freund:innen und aus seinem Leben zurück. Fortan spielt er Videogames, darin ist er – natürlich – der starke Held, der die anderen Level für Level hinter sich lässt. Von seiner WG genötigt, endlich ins echte Leben zurückzukehren, verbringt Jules einen Abend in einer Schwulensauna und trifft dort unvermutet auf Preston, den Mann, der ihn zusammengeschlagen hat. Er beobachtet ihn und merkt, dass Preston ihn – ungeschminkt – gar nicht erkennt. Jules bekommt seine Identität heraus und beginnt ein Verhältnis mit dem versteckt homosexuellen Preston. Immer weiter schleicht er sich in dessen Leben und Freundeskreis ein. Auch Prestons Freunde erkennen ihn nicht, für sie ist er einfach ein neuer Kumpel und ein ziemlich guter Gamer. Jules kommt seinem Ziel, Preston letztlich mit einem intimen Video zu outen, immer näher. Ohne zu merken, dass er dafür sein Leben aufs Spiel setzt. Denn eingeladen von der WG zu Jules Geburtstag, an dem er erstmals nach dem Überfall wieder als Drag-Künstler auftritt, erkennt ihn Preston.

„Femme“ ist ein dichter, ein bedrückender Film, inszeniert fast als eine Art Kammerspiel. Als Zuschauerin wird man von der Regie dicht an die beiden Figuren geführt, ahnt jeden nächsten Schritt, lässt sich gleichsam doch mitziehen, wenn die Figur Preston sich ganz allmählich für diese Beziehung zu öffnen scheint, erlebt die Zerrissenheit von Jules hautnah, der sich wehren, der sich rächen und den anderen genauso schmerzhaft wie die Schläge, die er erleiden musste, ihre Bigotterie vor Augen führen will, der aber eben auch spürt, dass da etwas zartes Neues beginnt. Aber kann aus Gewalt etwas Friedvolles, etwas tatsächlich nachhaltig Neues wachsen? Diese Frage stellt jede einzelne Szene neu.

Und so ist „Femme“ bei weitem nicht nur ein Film über Gewalt gegen Menschen aus der LGBTIQ*-Gemeinde, über Anschläge gegen Menschen, die für ihr Recht eintreten, so zu sein, wie sie sind, so zu leben, wie sie wollen, über das Ausgrenzen derer, die „anders“ sind, die einer definierten (fiktiven) Norm nicht entsprechen, also eigentlich uns allen. Es ist auch ein sehr aktueller Film über die Frage: Wie kann unser Zusammenleben in Zukunft eigentlich funktionieren?

„Femme“ läuft in der Sektion Panorama und feierte die Weltpremiere am 19.02.2023.

Link zu Infos zur Barrierefreiheit und Inklusion während der Berlinale

Link zum ersten kobinet-Bericht von Anke Glasmacher von der Berlinale 2023 über den Film She Came to Me vom 17. Februar 2023

Link zum zweiten kobinet-Bericht von Anke Glasmacher von der Berlinale 2023 über den Film Joan Baez: I Am A Noise vom 21. Februar 2023

Link zum dritten kobinet-Bericht von Anke Glasmacher von der Berlinale 2023 über den Film Kiss the Future vom 22. Februar 2023