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Poster der Woche: Schön, schwul zu sein mit Stolz

Poster: Schwul zu sein, finde ich schön
Poster: Schwul zu sein, finde ich schön
Foto: Kassandra Ruhm

Bremen (kobinet) "Portrait eines lachenden, jungen Mannes, der vor einer Flusslandschaft mit Sandstrand auf einer Terrasse sitzt. Er sagt: 'Schwul zu sein, finde ich schön'. Zur Person steht auf dem Poster: 'Marcel, Student'." so beschreibt Kassandra Ruhm ihr zweites Poster der Woche aus ihrer Reihe "bunt ist schöner" - eine Poster-Serie über Vielfalt und Inklusion, die sich für Respekt vor unterschiedlichen Lebensweisen einsetzt. Zu diesem Poster hat Kassandra Ruhm einen Text verfasst, was dieses mit Behinderung zu tun hat.



Text zum Poster von Kassandra Ruhm

Was hat dies Poster mit behinderten Menschen zu tun?

Es ist kein Zufall, dass die Pride Paraden für ein behindertes Selbstbewusstsein das Konzept der Gay Pride Parades[1] aufgegriffen haben.

Bei den Gay Prides bzw. CSDs gehen wir Lesben und Schwule, bi- und intersexuelle, trans*gender und queere Menschen (LGBTIQ*[2]) zusammen auf die Straße, um zu zeigen, dass wir stolz dazu stehen, wie wir sind. Wir sind nicht mehr bereit, uns zu verstecken und treten für unsere Rechte ein.

Viel zu lange wurde uns vermittelt, dass wir uns für unsere Liebe schämen und versuchen sollten, heterosexuell zu werden. Und uns althergebrachten, einengenden Geschlechterrollen unterordnen.

Therapien, um Menschen anzupassen

Das eigene Bemühen oder sogar sogenannte „Therapien“ sollten Lesben und Schwule heterosexuell machen. Angeblich ganz zu unserem eigenen Besten.

Nach wissenschaftlichem Stand können diese „Therapien“ die sexuelle Orientierung überhaupt nicht ändern. Sie wirken nicht in der angestrebten Richtung, haben aber eine Reihe negativer Nebenwirkungen (von Depressivität, Schwierigkeiten mit dem Selbstwertgefühl, sozialem Rückzug, sexuellen Problemen bis hin zu Suizidalität). Mit diesen „Therapien“ sind viele Menschen geschädigt worden.

Mittlerweile würden die meisten Menschen in Deutschland uns so etwas nicht mehr zumuten wollen. Aber erst heute wird von den zuständigen, staatlichen Stellen am Verbot solcher „Konversionstherapien“ gearbeitet. Das klare Verbot dieser schädigenden „Therapien“ soll allerdings nur für Minderjährige gelten, ab 18 Jahren nicht mehr.

Nach Angabe des Bundesgesundheitsministeriums werden noch heute ca. 2.000 dieser „Konversionstherapien“ jährlich an Lesben und Schwulen vorgenommen. Allein im fortschrittlichen Deutschland. Trotz all der großen Verbesserungen, die die LGBTIQ*-Bewegung in den letzten Jahrzehnten erreicht hat.

Beschämung

In meinem eigenen, näheren Umfeld wurden keine „Konversionstherapien“ durchgeführt. Trotzdem erinnere ich mich an die Scham, die Schwulen und Lesben in den 80-er und 90-er Jahren eingeimpft wurde.

Mit Anfang 20 bin ich sichtbar behindert geworden. Ich weiß, welche Scham mir seitdem immer wieder wegen meiner Behinderung vermittelt wurde. Wie erwartet wurde, dass ich meine Behinderung gefälligst weg therapieren sollte. Was mir beim besten Willen nicht gelang.

Wie mir vermittelt wurde, ich wäre nicht gut so, wie ich bin.

Den Eltern Freude machen

Ich erinnere mich an eine ZDF-Dokumentation, in der ohne kritische Haltung gezeigt wurde, wie rollstuhlfahrende Kinder streng und mit stundenlangem Aufwand Übungen machten, um irgendwann laufen zu können. Ich glaube, ein Junge sagte, er würde jeden Tag hart trainieren, denn sein größter Wunsch wäre, seinen Eltern die große Freude zu machen, ihn laufen zu sehen. Wenn ich mich richtig erinnere, ist dieser Junge gescheitert, wie mehrere Kinder in dem Film.

Wie viele schöne Erlebnisse sind diesen Kindern verloren gegangen, die sie stattdessen in den Stunden hätten haben können? Hätte nicht ein Viertel der Trainingszeit vielleicht auch gereicht? Ich wünschte, die Eltern des Jungen hätten ihm vermittelt, dass sie sich freuen, wenn er glücklich ist. Und dass sie sich genauso gefreut hätten, wenn er aus Knete seine Familie als Menschen, die sich lieb haben, modelliert oder die Eltern im Schach besiegt oder schöne Geschichten geschrieben oder wie wild Rollstuhl-Hockey gespielt hätte.

Sich mehr von der Welt erobern

Statt mühsam und mit viel Aufwand wenige Meter zu gehen, hätten sich manche der Kinder mit guten Rollstühlen viel mehr von der Welt erobern können.

Klar, Laufen können, ist eine prima Sache und oft sehr praktisch. Aber manchmal ist es keine realistische Perspektive, laufen zu können.

Es kommt auf die individuellen Möglichkeiten an. Nicht auf Normalitätsvorstellungen, die alle anstreben sollten.

Welche Sprache spricht man an Schulen für taube Kinder?

Ein anderes Beispiel zum selben Thema: Taube Kinder können viel mehr lernen, wenn sie Gebärdensprache sprechen können und diese selbstverständlich in der Schule verwendet wird, als wenn sie, wie früher, gezwungen werden, sich ohne Gebärdensprache an Lautsprache anzupassen.

Man kann es kaum glauben, aber ein Teil meiner tauben Bekannten in den 90-er Jahren hatte ernste Schwierigkeiten damit, geschriebene Texte zu verstehen. Eigentlich total absurd. Schriftsprache hätte perfekt barrierefrei für sie sein können. Der Grund des Problems war, dass der Schulunterricht an ihren Sonderschulen in Lautsprache statt in Gebärdensprache stattgefunden hatte. Sie konnten die Lehrer*innen kaum verstehen. Deshalb haben sie viel weniger gelernt, als in einem barrierefrei nutzbaren Unterricht in Gebärdensprache.

Der hohe Preis der „Normalität“

Das Ideal der „Normalität“, lautsprachliche Kommunikation wurde in den 70-er und 80-er Jahren in Westdeutschland so hoch gestellt, dass schwerwiegende Nachteile für taube Menschen billigend in Kauf genommen wurden. Wie absurd ist es, tauben Menschen Unterricht vorwiegend in Lautsprache statt in Gebärdensprache vorzusetzen! Die Begründung war, dass sie so besser lernen würden, in Lautsprache zu kommunizieren und besser an der Gesellschaft teilhaben könnten.

Ja, ich weiß, das war im letzten Jahrhundert. Aber leider sind wir bis heute nicht bei einem konsequent nutzbaren Schulunterricht für Taube angekommen. In Sonderschulen für Gehörlose sprechen noch längst nicht alle Lehrer*innen Gebärdensprache und wenn, dann manchmal nur rudimentär. Auch bei der schulischen Inklusion gibt es leider noch keine fairen Bedingungen mit Chancengleichheit und genug Gebärdensprache für taube Kinder.

Am besten wäre doch, wir alle hätten die Möglichkeit, direkt in der Schule Gebärdensprache zu lernen. Statt, dass sich die, die es eigentlich nicht können, ständig an die Norm anpassen sollen, zu hören und Lautsprache zu sprechen.

Der Versuch, anders zu sein, als man ist

Für alle unterschiedlichen Behinderungsarten und für „sexuelle Minderheiten“ und wahrscheinlich auch noch für einige andere gilt vergleichbar:

Es geht viel Kraft und viel wertvolle Lebenszeit damit verloren, zu versuchen, so zu werden, wie die anderen. Die ewigen Misserfolge beim Versuch, anders zu sein, als man ist, verletzen. Manchmal verletzen sie den Körper, aber immer verletzen sie die Seele, das Selbstwertgefühl, das eigene Gefühl, schön und gut so zu sein, wie man ist.

Es gibt einen Unterschied dazwischen, sich auf der einen Seite gut um seine Gesundheit zu kümmern und für realistische Ziele zu üben und auf der anderen Seite sich zu verbiegen, um sich an gesellschaftliche Normen anzupassen.

Ich mache fast täglich ein paar Übungen für meine Gesundheit. Aber nur die, die für mich selbst sinnvoll sind. Ich trainiere nicht in Richtung Laufen. „Normal“ aussehen ist nicht mein Ziel. Mein Ziel ist eine Gesellschaft mit Respekt für Menschen, unabhängig davon, ob sie dem Standard entsprechen oder nicht. Mit Anerkennung dafür, dass man sich bemüht, ein guter Mensch zu sein und auf Ausgrenzung oder anderes Leid von anderen Menschen nicht gleichgültig zu reagieren.

Das Hinterher-Jagen hinter gesellschaftlichen Normalitätsvorstellungen ist für Lesben und Schwule und für behinderte Menschen gleichermaßen schädlich.

Stolze Pride Parades

Das englisch-sprachige Wikipedia sagt:

„Disability Pride Parades are parades held to celebrate disabled people. Disability Pride Parades seek to change the way people think about and define disability, to end the stigma of disability, and to promote the belief that disability is a natural and beautiful part of human diversity in which people living with disabilities can take pride.“

(https://en.wikipedia.org/wiki/Disability_Pride_Parades , abgerufen am 5.1.2020)

Disability Pride Parades wollen die Überzeugung verbreiten, dass Behinderung ein natürlicher und schöner Teil der menschlichen Vielfalt ist. Ein Teil, auf den wir behinderte Menschen stolz sein können. Disability Pride Parades wollen uns behinderte Menschen feiern und unsere öffentliche Wahrnehmung verändern.

Der CSD hat letztes Jahr seinen 50. Geburtstag gefeiert. In Deutschland gibt es Gay Pride Parades seit 40 Jahren. Jedes Jahr und in immer mehr verschiedenen Städten.

Die erste Disability Pride Parade wurde 1990 in Boston, in den USA gefeiert, die zweite erst nach einer langen Pause 2004 in Chicago. In Deutschland gab es vor 7 Jahren die erste „Disability & Mad Pride Parade“ in Berlin. Wir haben noch eine Menge aufzuholen.

Kommt mit, uns selbst zu feiern!

Wenn andere finden, wir wären nicht richtig: Lasst uns stolz darauf sein, wie wir sind.

Egal, ob behindert, verrückt, chronisch krank oder nichtbehindert, schwarz, weiß, of color, queer oder heterosexuell oder ob behindert und schwul gleichzeitig:

Kommt mit, uns zu feiern, zum Beispiel im Juni bei der 8. „Behindert und verrückt feiern – Pride Parade“ in Berlin!

Fußnoten:

[1] „Pride“ ist ein englischer Begriff, der meistens mit „Stolz“ übersetzt wird. Gay Prides Parades sind Demonstrationen für Stolz und Selbstbewusstsein von Schwulen (= Gay), Lesben, Bi- und Transsexuellen und Trans*gender Menschen. In Deutschland werden Gay Pride Parades oft CSD genannt. Es kann Pride Parades, also Demonstrationen für Stolz und ein gutes Gefühl für sich selbst, auch für andere Gruppen geben. Übrigens waren die Gay Pride Parades nicht der Anfang: Schon vor etwas mehr als 100 Jahre haben sich in Amerika Black Pride Bewegungen gegründet. [2] LGBTIQ* ist eine Abkürzung der englischen Worte Lesbian, Gay, Bisexual, Tans*gender, Intersexual, Queer. Auf deutsch: Lesbisch, Schwul, Bisexuell, Trans*gender, Intersexuell, Queer und das * steht für die Freiheit von der strengen Aufteilung in männlich oder weiblich.

Link zur gesamten Posterreihe von Kassandra Ruhm mit den Hinweisen zur Nutzung der Bilder und der Ausstellung

Links zu den weiteren bisher in den kobinet-nachrichten veröffentlichten Poster der Woche von Kassandra Ruhm

Poster der Woche: Rampen statt Mitleid! – kobinet-nachrichten vom 4.1.2020

Poster der Woche: „Da fließt noch viel Wasser ins Meer, bevor …“ – kobinet-nachrichten vom 11.1.2020

Poster der Woche: Liebe – kobinet-nachrichten vom 18.1.2020

Poster der Woche: „Ich habe das Label Schizophrenie“ – kobinet-nachrichten vom 25.1.2020

Poster der Woche: „Es ist ein langer Weg …“ – kobinet-nachrichten vom 1.2.2020