Bremen (kobient) "Zwei Frauen gehen mit zwei kleinen Kindern in ihrer Mitte über eine Wiese. Unter ihnen steht groß das Wort: 'Liebe'. Zu den Personen steht auf dem Poster: 'Mama, Mami und die 2 Mädels, Regenbogenfamilie'", so beschreibt Kassandra Ruhm ihr drittes Poster der Woche aus ihrer Reihe "bunt ist schöner" - eine Poster-Serie über Vielfalt und Inklusion, die sich für Respekt vor unterschiedlichen Lebensweisen einsetzt. Zu diesem Poster hat Kassandra Ruhm einen Begleittext mit der Frage, was dieses Poster mit behinderten Menschen zu tun hat, geschrieben.
Text zum Poster von Kassandra Ruhm
Was hat dieses Poster mit behinderten Menschen zu tun?
Bei vielen Menschen wird nicht in Frage gestellt, ob sie gute Eltern sein können. Bei manchen schon.
In den letzten Jahren ist heiß diskutiert worden, ob gleichgeschlechtliche Paare gemeinsam Kinder adoptieren dürfen. Und ob sie in diesem Punkt gleichberechtigt mit Heterosexuellen sein sollen oder nicht. Angeblich aus Gründen des Kindeswohls. Glücklicherweise gab es in diesem Bereich in den letzten 25 Jahren große, positive Entwicklungen.
Behinderten Menschen ist Adoption formal zwar nicht verboten, aber die Annahme, dass wir keine ausreichend guten Eltern wären, macht es sehr schwer, Adoptiv- oder Pflegekinder aufzunehmen.
Behinderte Eltern, die auf natürlichem Weg Kinder bekommen haben, sehen sich manchmal mit Bedenken konfrontiert, ob sie gut genug in der Lage wären, ihre Elternrolle auszufüllen.
Was die UN-Behindertenrechtskonvention dazu sagt
Nach der UN-Behindertenrechtskonvention darf nie die Behinderung von Eltern oder Kindern ein Grund sein, das Kind von den Eltern zu trennen.
Laut UN-Behindertenrechtskonvention gewährleisten die Vertragsstaaten, dass behinderte Menschen Zugang zu einer Reihe von gemeindenahen Unterstützungsdiensten einschließlich der Persönlichen Assistenz haben und dass sie bei der Wahrnehmung ihrer elterlichen Verantwortung angemessene Unterstützung vom Staat bekommen.
Warum ist es dann so schwer, Elternassistenz zu bekommen und gelingt nur in Einzelfällen? Und wenn, dann meistens erst nach viel Mühe und viel verlorener Zeit?
Elternassistenz
Bis heute haben behinderte Menschen manchmal Angst, dass man in Frage stellt, ob sie gute Eltern sind, wenn sie für ganz bestimmte, begrenzte Tätigkeiten Elternassistenz brauchen. Obwohl es nur um den Ausgleich zum Beispiel körperlicher Einschränkungen geht, nicht um die pädagogische Eignung oder Verantwortungsübernahme gegenüber dem Kind.
Das macht Druck, alles alleine zu schaffen und Einschränkungen möglichst nicht sichtbar werden zu lassen.
Tatsächlich sorgen sich behinderte Menschen bis heute manchmal, ob man ihnen eher die Kinder weg nehmen könnte, statt ihnen die benötigte Assistenz zu gewähren, mit der Einschränkungen ausgeglichen werden könnten, wenn sie offenlegen, dass es ohne Assistenz Probleme gibt.
Noch in den 90-er Jahren lebten etliche lesbische Mütter unter der latenten Drohung, dass ihnen das Sorgerecht für ihre leiblichen Kinder entzogen werden könnte, wenn ihre gleichgeschlechtliche Lebensform bekannt und gegen sie verwandt würde. Weil das Wohl der Kinder dadurch angeblich gefährdet wäre. (vgl. Kirsten Plötz, 2018[1])
Ein behinderter Vater berichtet
Auch wenn gar keine Assistenz fürs Elternleben nötig ist, wird bei liebevollen, behinderten Eltern immer mal wieder wie selbstverständlich in Frage gestellt, ob sie gute Eltern sind.
Mein Freud, der Inklusionsbotschafter Markus Ertl hat seine Erfahrungen als Vater so beschrieben:
„Ich bin Markus Ertl, sehr stolzer Vater von zwei wunderbaren Töchtern und ich bin blind.
Als Vater blind zu sein, war für mich selbst noch nie ein Problem. Es gibt sehr, sehr viele Dinge, die ich mit und für meine Kinder machen kann. Ich schenke ihnen meine Liebe, ich gebe ihnen Halt, ich bin ihnen Vorbild, ich bin für Sie Seelentröster, ich lerne mit ihnen Mathematik und ich lobe sie für die gemalten Bilder, die mir meine Kinder in eigenen Worten beschrieben haben. Und ja, dabei gibt es auch Situationen, in denen ich sehende Hilfe benötige. Entweder durch meine Kinder selbst oder durch eine dritte Person.
Mitmenschen sprechen mir aber immer wieder die Fähigkeit ab, die Eltern- oder Vaterrolle einzunehmen. Meist sehr unterbewusst, dennoch verletzend.
Wenn eine Frau zu meinen Kindern sagt, passt bitte gut auf euren Papa auf, höre ich, dass nicht ich auf meine Kinder achten kann.
Wenn andere meine Frau ausdrücklich dafür loben, dass SIE ja alles soooo toll mit den Kindern und mir als blinden Mann hinbekommt, höre ich heraus, dass sie mir keinen Anteil an der Elternschaft zutrauen.
Wenn jemand mich mit zwei Kindern am Hallenbadeingang abwimmeln möchte, weil die sehende Begleitung fehlt, höre ich heraus, dass mir das Bewusstsein für meine Verantwortung abgesprochen wird.
Es wird dabei nur meine Behinderung gesehen. Ich wünsche mir aber, dass gleichzeitig auch der Vater in mir erkannt wird.“
In Frage gestellt
Es ist eine Gemeinsamkeit zwischen Familien mit behinderten Eltern und Regenbogenfamilien, dass oft erst einmal zur Diskussion gestellt wird, ob die Eltern überhaupt gute Eltern sind. Auch wenn es liebevolle und verantwortungsbewusste Eltern sind. Diese Vorurteile verbinden uns.
So viele nach außen anscheinend „normale“ Familien gibt es, in denen lieblos, achtlos, oder gewaltvoll mit den Kindern umgegangen wird. Wenn die Eltern als „normal“ angesehen werden, wird vom Umfeld nur selten auf Warnsignale der Kinder reagiert.
Ist es wirklich richtig, Gefahren erst einmal bei Familien außerhalb der Standard-Variante zu suchen?
Meiner Ansicht nach ist Liebe die wichtigste Grundlage glücklicher Familien. Nicht das Geschlecht oder die genaue Beschaffenheit der Körper.
Fußnoten:
[1] Dr. Kirsten Plötz, Als die Gerichte die Kinder wegnahmen, Aktuelle Forschungsergebnisse über Repressionen gegen lesbische Liebe. In: Wie wir wurden, was wir sind. Dokumentation der 7. Bundesweiten Fachtagung Lesbisches Leben im Alter, Hrsgin: Dachverband Lesben und Alter e.V., Berlin, 2018 [2] Dr. Kirsten Plötz, Als die Gerichte die Kinder wegnahmen, Aktuelle Forschungsergebnisse über Repressionen gegen lesbische Liebe, 2018, in: Wie wir wurden, was wir sind. Dokumentation der 7. Bundesweiten Fachtagung Lesbisches Leben im Alter, Hrsgin: Dachverband Lesben und Alter e.V., Berlin, 2018Links zu den bisher in den kobinet-nachrichten veröffentlichten Poster der Woche von Kassandra Ruhm
Poster der Woche: Rampen statt Mitleid! – kobinet-nachrichten vom 4.1.2020
Poster der Woche: „Da fließt noch viel Wasser ins Meer, bevor …“ – kobinet-nachrichten vom 11.1.2020