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Kommt jetzt der Heim-Ausstieg?

Ottmar Miles-Paul
Ottmar Miles-Paul
Foto: Irina Tischer

Kassel (kobinet) Auch wenn die genauen Pläne zum sogenannten Kohle-Ausstieg kritisch zu betrachten sind, übt sich Deutschland zunehmend darin, aus schädlichen und gefährlichen Versorgungsstrukturen auszusteigen. Dem begonnenen Ausstieg aus der Kernenergie folgt nun der Kohleausstieg und die Zeiten der Autos mit Verbrennungsmotor sind ebenfalls angezählt. kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul beschäftigt daher in seinem kobinet-Kommentar die Frage, wann der längst überfällige Heim-Ausstieg kommt.

Kommentar von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul

Für die Abschaltung der Kernkraftwerke hat die Anti-Atom-Bewegung über 30 Jahre intensiv gekämpft. Letztendlich gab das Erdbeben und der damit verbundene Tsunami in Fukushima den Anlass, zum Beschluss zur Abschaltung der deutschen Atomkraftwerke bis Ende 2022. Mittlerweile befinden wir uns mitten in diesem schrittweisen Abschaltprozess und der Strom kommt immer noch aus der Steckdose. Ähnlich verhält es sich mit dem nun beschlossenen Plan für den Ausstieg aus der Kohlenutzung. Lange gefordert und letztendlich von einer starken Umweltbewegung in Verbindung mit unübersehbaren Zeichen des Klimawandels gepusht, will Deutschland nun aus der Gewinnung von Energie aus Kohle aussteigen. Und wie lange hierzulande noch Autos mit Verbrennungsmotoren produziert werden, dürfte sich hoffentlich auch bald entscheiden. Politische Bewegungen haben trotz aller Kritik an der Langsamkeit und an der Halbherzigkeit der Entwicklung einiges in Bewegung bringen können und können wichtige Teilerfolge feiern. Der Hambacher Forst bleibt nun zum Beispiel erhalten und wird nicht wie gaplant abgeholzt.

Und wie ist das mit den vielen und häufig kritisierten Heimen, die die deutsche Sozial- und Gesundheitspolitik prägen? Jahrzehntelang gibt es hier ebenfalls immer wieder heftige Kritik, Menschenrechtsverletzungen werden am laufenden Bande aufgedeckt und angeprangert. Die meisten Menschen würden diese meist gar nicht so heimeligen Massenversorgungszentren meiden, wenn sie könnten und es passende Alternativen gäbe. Dass das Lebensklima in den sogenannten Heimen in der Regel genau so schlecht ist, wie das Klima, das unsere Erde bedroht, ist vielen bewusst, aber trotzdem schauen wir gerne weg. Nur, wenn man direkt davon betroffen ist, bzw. Angehörige mit den Versorgungsstrukturen in Behinderten- und Altenheimen konfrontiert sind, kommt Beklemmung auf. Man regt sich vielleicht sogar über die eingeschränkte Lebensqualität auf, die dem Einrichtungsalltag und -ablauf häufig geopfert werden muss.

Diejenigen, die in solchen Strukturen leben müssen, hüten sich meist vor Protesten, weil sie im Alltag massiv von der wohlwollenden Hilfe der Einrichtungesmitarbeiter*innen angewiesen sind und schnell negative Konsequenzen spüren könnten. Angehörige müssen ebenfalls oftmals den Atem anhalten, weil es keine Alternativen gibt, bzw. sie keine negativen Konsequenzen für die Angehöringen möchten. Gerne wird dann wegen der vermeintlichen Alternativlosigkeit versucht, schön zu reden, dass es ja gar nicht so schlimm ist, es ja auch viele gute Heime gibt und die Beschäftigten wegen der miesen Arbeitsbedingungen ja nichts dafür können und überfordert sind. Und es gibt ja schließlich tatsächlich kaum verlässliche Alternativen außerhalb von Heimen für eine gute Unterstützung und Versorgung für behinderte und ältere Menschen.

Ähnliche Argumentationslinien gab es auch bei der Nutzung der Kernkraft: „Die Lichter gehen aus“, „Arbeitsplätze fallen weg“ und „Woher soll der Strom dann kommen“. Alternativen wie die Solarenergie oder die Windkraft wurden anfangs belächelt, abgewertet, verdrängt und nur phasenweise und bescheiden gefördert. Und selbst als man sah, was Solaranlagen und Windkraftanlagen oder Elektroautos zu leisten vermögen, wurde gemeckert, geklagt und durch verschlechterte Rahmenbedingungen wieder sogar geschaffene Arbeitsplätze gefährdet und die Entwicklung von Alternativen verhindert. Und jetzt gibt es auch noch dicke Entschädigungen für veraltete und längst abgeschriebene Anlagen und damit für die Blockierer einer umweltfreundlichen Energieversorgung damit sie ihre Anlagen abschalten.

Vieles von dem kennen wir von der Grundstruktur her auch bei der Diskussion um die Abschaffung von Heimen. Eine Gegenbewegung von Daheim statt im Heim hatte beispielsweise keine Chance und versickerte im Sande. Der Aufbau von alternativen Angeboten kommt mehr schlecht als recht voran und bietet gerade auch in ländlichen Regionen kaum eine echte Alternative, so dass der Ruf „Heime werden wir immer brauchen“ nach wie vor ungebremst durch’s Land hallt. Hans-Christian Ströbele hat mit seinen negativen Erfahrungen mit der Beförderung der Deutschen Bahn mit dem Rollator für kurzzeitige mediale Aufmerksamkeit gesorgt. Ob sich dadurch an der Praxis der Bahn etwas ändert, bleibt offen. Wann kommt aber die breite Bewegung gegen ein Leben im Heim und für Unterstützungsalternativen in der Nachbarschaft und im Stadtteil, für barrierefreie Wohnungen und für die Abschaffung der Heime? So leicht gebe ich dafür die Hoffnung nicht auf.

Lesermeinungen

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rgr
18.01.2020 09:25

Lieber Ottmar Miles-Paul

Ich bin auch dafür das wir die Hoffnung auf Fortschritt in Deutschland nicht aufgeben. Wenn ich mich so umhöre, so präsentieren die Optimisten meist den besseren Plan. Also nicht die Köpfe hängen lassen. Unsere Parteien beschlossen den Atomausstieg, beschlossen den Ausstieg aus dem Ausstieg und es folgte der Wiedereinstieg in den Ausstieg. Der Kohleausstieg ist nun beschlossene Sache. Es wird Zeit den Parteien etwas Ruhe zu gönnen um die Kräfte neu zu formieren. Ein ‚gutes Heim-Ausstiegs-Gesetz‘ könnte noch vor Anbruch des Frühlings seinen Weg finden. Dann herrsche auch an der Front der Heiler Ruhe, Frieden, Planungs- und Investitionssicherheit auf Jahrzehnte. Der Steuerzahler kann dann vielleicht dem Finanzkapital sogar Garantien für Investitionen bieten.

Mal im Ernst: Welche Politiker äußerten den analogen Schluss von Atom, über Kohle bis Heim? Gibt es da Stimmen? Ich habe bisher nur in einer Kolumne von Roland davon gelesen.

Fragt,
Götz Wilhelm Renger

Und setzt diesen Beitrag mit eigenen Überlegungen aus Erfahrungen fort. Ich muss etwas Wasser in den Wein geben.

Es reicht nicht sich in der Berliner Lobby aufzustellen und für ein Win Win zu werben, welches das Kapital auf die Bereitschaft aufmerksam macht, Steuergelder in die Hand zu nehmen. Diejenigen, welche bei Atom und Kohle dies bereits unter Beweis stellen dürften, klammere ich jetzt mal aus der weiteren Betrachtung aus. Auf sie wird später noch zugegangen werden müssen.

Was erwartet wird ist ein Business Plan. Das ist eine Marktanalyse. Das sind Abnahmegarantien. Das ist ein Risiko Managment. Das ist die Bereitsstellung von ausreichend Arbeitskräften. Das sind die zertifizierten Qualitäten (um sie privat Aneignen zu können, denn anders geht es nun mal nicht). Kurz: Ein robuster Schutz des investierten Kapitals.

Damit ausgestattet drängt nun aber – und zwar bei wirklich jedem denkbaren ‚guten Heim-Ausstiegs-Gesetz‘ – ein Problem mehr und mehr einer Lösung zu. Es reicht nicht den Mehrwert aus einem einzelnen Kapitalverwertungsprozess heraus erzeugen zu können. Sowas können wir. Das war nie unser Problem. Um profitabler Mehrwert zu werden muss er anschließend auch privat aneignungsfähig geworden sein. Und zwar durch den Investor, denn der will immer noch überzeugt werden!

Das gute Leben aber gehört sich selbst!

Ebenso stellte sich mir dieses Profit Problem immer so auch in der Umweltpolitik dar. Eine gesunde Umwelt gehört allen und kann so schwerlich profitabel sein und fällt deshalb als Investition erstmal nicht in Betracht.

Hier meine These:
In der vorherrschenden Angebotspolitik muss sich jeder Fortschritt und Nutzen als irgendwie profitabel und damit attraktiv darstellen.

Hier mein Fazit:
Die Angebotspolitik muss in Gänze gestoppt werden.

Hier meine Bewegung:
Ich bekenne die Bewegung stehts zur Ruhe und Gelassenheit ermahnt zu haben. Mit Verstand, der mehr sein will als ein Riecher am Marktgeschehen, werden Gesetzmäßigkeiten sichtbar die unser aller Leben – und nicht nur das von Politikern – vorzeichnen. Die Gesetze sind der Prognose fähig. Es kommt im Alltag nur darauf an den richtigen Zeitpunkt zu wählen, um den Tagesablauf mit einer Frage oder einer Intervention zu unterbrechen und so einer näheren öffentlichen Untersuchung zuzuführen.

Mein Nachtrag:
Wem die Transformation von Mehrwert in Profit zu schnell ging, ist gebeten Fragen zu stellen.

Ich schaue auf die Uhr und ahne,
wir werden auch mit vereinten Kräften an diesem Wochenende hier jedenfalls keinen Workshop abschließen. Am besten wir warten bis Montag früh, wenn die Geschäftsstellen öffnen.

Michael Günter
Antwort auf  rgr
18.01.2020 19:51

Hallo Herr Renger,
viele weise Worte, danke.
Ich denke ebenfalls nicht, dass das Rumlungern in irgendwelchen Lobbies in Berlin irgendwie zielführend ist, da kommt allenfalls: „Ihr habt doch jetzt schon das BTHG…“, wobei ungefähr so spezifisch ist, wie die Aussagen zur UN-BRK oder zur Inklusion = Null.
Ja, unsere Politik ist erschöpft – und dies ist die Chance. Wir brauchen ein neues Narrativ für die Politik/den Staat – jeder Unternehmer weiß, dass Neues nicht im eigenen Labor fabriziert wird. Selbst Herr Kaeser von Siemens hatte erkannt, wo die Zukunft liegt, nur leider war er zu dumm, zu begreifen, dass es nicht damit getan ist irgendeiner Studentin einen Job anzubieten. Er suchte halt Antworten, wollte aber die Frage dazu nicht akzeptieren!
Politik wurde und wird immer noch auf der Straße entschieden. Immo ist es etwa ein Raul Krauthausen der den Finger in die Wunde legt, nur hilft Finger auflegen nicht genug, man muss schon in der Wunde bohren…
Ende Teil 1

Michael Günter
Antwort auf  Michael Günter
18.01.2020 20:11

Angebotspolitik:
Kunde im Fahrradladen: „Ich hätte gern ein Hollandrad mit 3 Gängen für unter 300€.“
Verkäufer: „Haben wir nicht. Ich hätte da ein vollgefedertes MTB mit Elektromotor bei dem sie via App auf dem Smartphone ihre Daten auslesen können und diese können sie dann damit ich gleich bei ihrer KV hochladen, damit so etwa bei der AOD am Bonusprogramm ‚Mobil durch Sport‘ bla, bla…und übrigens die Erfassung ihrer Daten ist die ersten 2 Monate kostenfrei, danach kostet der Dienst 5€/Monat – wenn sie ihn nicht in Anspruch nehmen, funktionieren die Updates zur intelligenten Akkuladung nicht mehr, falls sie aber bei der AOD und im Monat mehr als 200km mit dem Rad fahren, übernehemen diese die Kosten, blabla. Das Rad kostet 3000€ und für nur 15 €/Monat könne sie es bei dem Tochterunternehmen XYZ noch günstig versichern, blabla.“ – lässt sich locker so weiterspinnen…
Kommt uns irgendwie bekannt vor – nennt sich in der Behindertenhilfe Komplexangebot!
Ja, das BTHG ist eine Revolution oder könnte eine werden, denn es stellt jetzt diejenigen Träger endlich auf den Markt, die bisher mit einem punkten konnten: „Wir haben einen Platz für ihren Sohn/Tochter!“.
Diese Kompling von Plätzen und Leistungen ist nun aufgeweicht worden und die etablierten großen Leistungserbringer müssen sich nun wieder deutlicher der Frage stellen, was sie eigentlich sind: Immobilienunternehmen oder Sozialunternehmen. Über die Jahre haben nämlich etliche Leistungerbringer ein Immobilienvermögen aufgehäuft, welches manchen Fällen durchaus im 3stelligen Millionenbereich liegt…
Ende Teil 2