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Veteranentags-Kolumne: Wehrtauglich von der Wiege bis zur Bahre, Geschichten aus unserem kriegstüchtigen Alltag

Ein fallender Soldat Todesschuss
Falling Soldier von Robert Capa. "Falling Soldier", das Logo unserer neuen Serie von Alltagsgeschichten
Foto: By © Cornell Capa (For reproduction please contact Magnum Photos, http://www.magnumphotos.com/), Public Domain, https://en.wikipedia.org/w/index.php?curid=4067565

Staufen (kobinet) Heute (1.6.2025) begeht unsere stolze Nation nachwendezeitlich ihren ersten regulären Veteranentag. Nicht zu verwechseln mit dem Veterinärstag, dem jährlichen Treffen deutscher Tierärzte im ostfriesischen Großstallingen. Welches verteidigungsfähige Land wünscht sich keinen Veteranentag mit einer hohen Stückzahl ordensgeschmückter und ehrennadelbestickter Kriegshelden, doch ist es dazu dieses Jahr noch zu früh, nächstes Jahr könnte es schon besser aussehen. – Deshalb gehen wir in der diesjährigen Veteranentags-Kolumne noch einmal bewusst ans entgegengesetzte Ende der Alterspyramide, zu den ganz Jungen. Und beginnen unsere kleine Reihe von Geschichten aus dem kriegstüchtigen Alltagsleben mit einem Wiegenkind und seiner jungen Mutter.

Thekla fertigt in Heimarbeit

Im Görlitzer Plattenbau. Zerbröselnde Altbausubstanz und digitale Hightech-Produktion gehen Hand in Hand. Denn Theklas Heimarbeit ist Handarbeit, Drohnenfertigung am Küchentisch. Im bequemen Jogginganzug sitzt Thekla an der Längsseite des Küchentischs, ganz nach links ans Kopfende gerückt, wo die Wiege steht. Dadurch kann sie die Wiege hin und wieder durch einen leichten Stups mit der linken Hand in einer sanften Schaukelbewegung halten, was der Kleinen gefällt. Rechts neben ihr auf dem Tisch steht ein großer Karton, vor ihr ein kleiner, etwas von ihr weggerückt zur Tischkante, damit sie eine freie Fläche zum Hantieren hat. Schräg hinter ihr rechter Hand stapeln sich vom Boden bis unter die Decke weitere der großen Kartons. Gegenüber auf dem Herd hat Thekla die warmgestellte Nuckelflasche der Kleinen im Auge. Darüber auf der Dampfabzugshaube den großen runden Küchenwecker mit der Uhrzeit – wenn dir der nur mal nicht runterfällt, hat Tom sie gewarnt. Aber auch wenn Thekla nicht im Akkord arbeitet, in Zeiten wie diesen kommt es auf jede Minute an.

Was endlich auch die deutsche Politik und die deutsche Wirtschaft verstanden haben. Den russischen Angriff zum Sommerende vor Augen, hat sich Görlitz binnen Wochen zur ostdeutschen Rüstungsvorzeige-Schmiede gemausert. Mit der Plattenbauküche als kleinster Produktionseinheit. Produziert am heimischen Küchentisch wird qualitativ hochwertiges Rüstungsgut für den Drohnenkrieg. Die Küchenproduktionsstätte ist das letzte Glied in der Fertigungskette. Das Produkt verlässt die Küche in einsatzbereitem Zustand, vom Küchentisch aus geht es Stück für Stück an die Front.

Während ihre linke Hand mit dem Zeigefinger der Wiege der Kleinen abermals einen leichten Stups versetzt, fasst Theklas Rechte in die Öffnung des Kartons und befördert die nächste Drohne aus ihm hervor. Den Torso mit den eng anliegenden eingeklappten Flügeln stellt sie vor sich auf den Tisch. Ihre Aufgabe ist es, im Bauch der Drohne die Batterien, die sich im kleineren der beiden Kartons befinden, sachgerecht unterzubringen. Außerdem muss sie ein paar elektronische Daten abgleichen, darüber darf sie niemandem Auskunft geben, nicht einmal Tom, der deswegen erst sauer gewesen ist. Sei nicht kindisch, hat sie ihn ermahnen müssen, ich verrichte meine Heimarbeit in einem militärischen Hochsicherheitsbereich, das Leben und die Sicherheit unserer Kleinen hängen davon ab. Das hat ihn schlussendlich überzeugt. Tom hat die Wiege der Kleinen, sie heißt übrigens Luisa, noch vor der Geburt auf einem Flohmarkt erstanden, den zerkratzten Lackanstrich hat er veilchenblau übermalt, mit einer Friedenstaube aufs Fuß- und aufs Kopfende.

Nachdem Thekla die Batterien eingelegt hat und mit dem Datenabgleich fertig ist, testet sie die Drohne abschließend auf ihre Funktions- bzw. Flugtüchtigkeit. Bevor das nunmehr einsatzbereite Verteidigungsgut in einen der Kartons mit fertigem Stückgut wandert, die sich in der Ecke hinter der Küchentür stapeln. Anders als man zunächst denken könnte, stellt die Enge der Küche kein Hindernis für einen Testflug dar. Denn selbst auf engstem Raum muss das Gerät perfekt manövrierbar sein, um den strengen Kriegstüchtigkeitskriterien auf dem Gefechtsfeld zu genügen.

Mehrmaliges Umkreisen des tellerrunden Lampenschirm, der über der Tischmitte von der Decke hängt, damit wäre Theklas Teststrecke für Drohnenflug im wesentlichen beschrieben, ein Abstecher zur Fensternische plus einmal Sinkflug über den Fußboden zwischen den Tischbeinen hindurch, das wars. Luisa in ihrer Wiege jauchzt und gluckst wenn sie sieht, wie die Drohne mit monotonem Summton ihre Kreise um den Lampenschirm zieht. Manchmal streckt sie ihre dünnen Ärmchen nach dem fetten Brummer aus, als wolle sie ihn zu sich heranziehen. Nein, nein, sagt Thekla, das ist kein Spielzeug, nichts für Kinder, nuckel du mal schön an deinem Schnuller und lass Mama das machen. Gerade ist die Drohne exakt vor ihr auf dem Tisch gelandet, da klopft es an die Tür. Herein, Tom steckt den Kopf zur Tür herein, kann ich reinkommen, ist die Luft rein? Klar, sagt Thekla, Testflug soeben erfolgreich beendet, rein mit dir. Tom hat einen Pizzakarton in der Hand, wollen wir mal was essen? Du magerst mir sonst noch vor lauter Arbeit zu einem Gerippe ab.

Tom arbeitet als Fahrradkurier, viel kommt dabei nicht rum. Deshalb ist er froh gewesen, als Thekla den lukrativen Heimarbeitsjob gekriegt hat. Und ihren miesen Job an der Kaufhallenkasse hat aufgeben können, bei dem es ihr ständig ins Kreuz gezogen hat und sie nie ohne Schnupfen nachhause kam. An der Kasse eine schlechtgelaunte Kundin nach der andern abfertigen, gar kein Vergleich die jetzige Bequemlichkeit am warmen Küchentisch, eine handzahme Drohne nach der andern. – Mieczyslaw hat angerufen, sagt Tom, ich soll ihm wieder welche anliefern. Thekla deutet mit einer Kopf- und Kinnbewegung in die Ecke hinter der Tür. Kein Problem, die Vorräte stapeln sich. Aber du hast recht, ich bin hungrig, lass uns erst mal die Pizza essen, ehe sie kalt ist.

Mieczyslaw ist einer von mehreren Drohnenabnehmern an der polnischen Grenze. Außer Kurierdiensten für Arzt- und Anwaltspraxen hat Tom auch früher schon, ganz schön stressig, Pizza und Döner ausgefahren, jetzt halt Drohnen stattdessen. Eine auf dem Rücken im Rucksack, zwei auf dem Gepäckträger. Von der deutsch-polnischen Grenze werden die Drohnen an die polnisch-russische Grenze zu den Drohnenleitstellen des polnischen Militärs gebracht. Dort herrsche regelrecht Playstation-Mentalität und die Männer fieberten geradezu danach, die gehorteten Bestände abzubauen.

Tom angelt mit dem Fuß nach einem Stuhl und zieht ihn zu sich heran, setzt sich und balanciert den Pizzakarton auf den Knien, auf dem Tisch ist kein Platz. Er klappt den Deckel zur Seite, schon in Stücke geschnitten, sagt er, essen wir sie doch einfach aus der Hand. Ach ja wie geht es denn der Kleinen, vergnügt wie immer? Nicht so laut, sagt Thekla, sie ist eben erst eingeschlafen. Ach schade, wollt dich gerade bitten, noch einmal die CD zu spielen, die von der Leipziger Oma, du weißt schon die mit den Liedern von Bettina Wegner. Gefallen mir richtig gut, vor allem das von den kleinen Händen. Sind so kleine Hände, das meinst du, sagt Thekla und singt leise, um Luisa in der Wiege nicht zu wecken. „Sind so kleine Hände, winzige Finger dran, darf man nie drauf schlagen, die zerbrechen dann…“

Worüber der für Kriegsertüchtigung aufgeschlossene Lesende unterrichtet sein sollte

Momentan, wo die Zeit knapp ist und es brennt, locken Unternehmen der Rüstungsbranche zusätzliche Mitarbeiter mit unkonventionellen Beschäftigungs- und Vergütungsmodellen. Der Görlitzer Ableger des Rüstungs- und Raumfahrtunternehmens „Peace and Freedom Systems“ hat die beiden letzten Fertigungsschritte seiner Drohnenproduktion (Batterie einlegen und Testflug) outgesourct, um speziell jungen Müttern in der Babyphase die Teilnahme an Landesverteidigung und Friedenssicherung zu ermöglichen. So ist Thekla zu ihrem Heimarbeitsjob gekommen. Ein Youtube-Turtorial in Drohnenbau und ein unternehmensinternes Anleitungswochenende war alles an Qualifikationsvoraussetzung. – Stürzt einmal eine Drohne beim häuslichen Testflug ab, soll man das Häuflein Schrott einfach bei Gelegenheit beim örtlichen Altstoffhof- oder Händler entsorgen. Eine gewisse Stückzahl Drohnen überlässt die Firma ihren Mitarbeiterinnen großzügig für die eigene profitable Vermarktung. Wie sie in Toms und Theklas Fall durch die polnische Nachfrage gewährleistet ist. Die augenblicklich rasant steigt, nachdem der polnische Regierungschef Tusk angeordnet hat, dass künftig nicht nur jeder polnische Mann an der Waffe ausgebildet, sondern auch in der Handhabe bewaffneter Drohnen geschult wird.

Die Erfahrungswerte aus der ukrainischen Drohnenkriegsführung sind außerordentlich ermutigend, auch hinsichtlich eines profitablen Marketings für Unternehmen wie „Peace and Freedom Systems“. Die ihr Modell „Smart Killer“ derzeit überaus erfolgreich mit dem alten Ökoslogan „small is beautiful“ vermarket. Dieses Modell (das auch Thekla in ihrer Heimarbeit fertigt) ist die bislang kleinste und handlichste Angriffsdrohne auf dem europäischen Verteidigungsgütermarkt. Doch letztlich sind alle Drohnentypen lebensrettend, „weil sie“, so ein ukrainischer Spezialist, „auch humanitäre Zwecke erfüllen, sie transportieren Medikamente, Lebensmittel und Wasser an Orte, an die man nicht mit dem Auto fahren kann, weil der Feind einen dann umbringt.“ (O-Ton aus einem Deutschlandfunk-Feature)

P.S. In der nächsten Folge der Reihe „Wehrtauglich von der Wiege bis zur Bahre“ – Peter und der Panzer- geht es um ein aufregendes Erlebnis eines sechsjährigen Jungen, der Glasknochenkrankheit hat und im Rollstuhl sitzt. Ort des Geschehens ist eine süddeutsche Kleinstadt, in einer ihrer malerischen, aber für ein resilientes Verteidigungswesen viel zu engen Altstadtgassen hat sich ein Leopardpanzer auf der Durchfahrt verkeilt. Ob er noch rechtzeitig an seinen litauischen Einsatzort gelangt? Spannend bis zur letzten Zeile!

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Martin
30.05.2025 18:30

Ich freue mich über diese und weitere Kolumbien! Herzliche Grüße aus Berlin ein kritischer Fan..