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Habemus Satzung

Bild von Andreas Vega mit großem buntem Schirm im E-Rolli und mit seinem Hund
Bild von Andreas Vega mit großem buntem Schirm im E-Rolli und mit seinem Hund
Foto: privat

Villmar-Weyer (kobinet) Was klingt, wie ein Zauberspruch aus der Harry Potter Reihe, ist der Titel der neuesten Kolumne von Stephan Laux, die er Andreas Vega widmet. Wissen Sie, was ich am europäischen Protesttag für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen gemacht habe? Während andere Aktivist*innen die Lady Liberty im Rollstuhl aufgeblasen, Schilder hochgehalten und lautstark für unsere Sache protestiert haben, habe ich E-Mails geschrieben. An eine Bürgermeisterin und an Mitglieder eines Beirates für behinderte Menschen. Und wissen Sie, worum es darin ging? Um eine Satzung bzw. eine Geschäftsordnung.

Andi Vega hatte mich gewarnt! Als ich ihn fragte, ob er es für sinnvoll halte, sich in einem Beirat für behinderte Menschen zu engagieren. „Lass die Finger davon! Solche Beiräte ersticken in Bürokratie. Dafür bist Du zu spontan!“, war damals seine Antwort.

Aber nein! Ich wollte mir selbst ein Bild machen. Den Weg durch die Institutionen gehen. Politik von der Basis aus machen. Kommunalpolitik.

Was mir als Erstes auffiel, war die Tatsache, dass die Mitwirkenden eines solchen Beirates ernannt und nicht gewählt werden. Also so ähnlich wie die Kardinäle im Vatikan und nicht wie in einer anständigen Demokratie. Obwohl da auch schon mal ein Kanzlerkandidat im ersten Durchgang durchfallen kann.

Hoffentlich sperrt man den Beirat nicht tagelang in eine Kapelle ein, um den Chef zu wählen, war meine erste Befürchtung. Aber bei meinem Einstieg gab es schon einen Vorsitzenden und auch seinen Stellvertreter.

Ich kenne Behindertenvertreter*innen aus meiner beruflichen Vergangenheit. In meinem Betrieb wurden die richtig gewählt. Und zwar von denen, die sie vertreten sollten. Das Betriebsverfassungsgesetz wollte es so. Das kannte ich zwar kaum, aber ich empfand die Regelung als demokratisch.

Als Mitwirkender in einem hessischen Beirat für Menschen mit Behinderung muss man die hessische Gemeindeordnung (HGO) auswendig können. Das wusste ich zum Zeitpunkt meines Einstiegs noch nicht. Wohl auch deswegen entwickelte ich die Vision, die Wahl eines Beirates für Menschen mit Behinderung basisdemokratisch zu reformieren.

Meine Idee war, bei Kreistags- und Gemeindevertreterwahlen Kandidatinnen aufzustellen und sie von Wahlberechtigten mit einem Schwerbehindertenausweis wählen zu lassen.

Die Adressat*innen meines Reformvorschlags schauten mich damals an wie einen Außerirdischen. Dabei wollte ich nur meine demokratischen Ambitionen zum Ausdruck bringen. Die ja auch irgendwie für Menschen mit Behinderung gelten sollten. Datenschutz und HGO, so lauteten ihre Gegenargumente.

Ich dummer Mensch, war davon ausgegangen, dass das Bundesteilhabegesetz (BTHG) und die  UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK)  die Grundlage für die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen an allen gesellschaftlichen und politischen Prozessen sind. In Hessen ist es anscheinend die HGO (die im Gegensatz zum BTHG übrigens konsequent umgesetzt wird). Und die schreibt vor, dass ein Beirat für Menschen mit Behinderung eine Satzung oder eine Geschäftsordnung oder am besten beides braucht.

Im Gegensatz zum BTHG oder der UN BRK bekomme ich so gar keinen Zugang zur HGO. Fast wie in meiner Schulzeit zu Französisch-Vokabeln. Ich hörte weder französische Chansons, noch hatte ich vor, dem Land einen Besuch abzustatten. Ich hörte Frank Zappa und wollte in den USA Basketball spielen. Deshalb lernte ich englische Vokabeln und lehnte die französischen ab.

Aber es kann ja nicht schaden, sich so eine Satzung einmal anzuschauen.

Kann es doch! Ja, es kann schaden, sich solch eine Satzung anzuschauen! Es verursacht mir Schmerzen zwischen den Ohren!

In manchen Satzungen stehen Dinge wie:

„Der Gemeindevorstand unterrichtet den Beirat über wesentliche Angelegenheiten, deren Kenntnis zur Erledigung seiner Aufgaben erforderlich ist, und hört den Beirat zu Themen, die die Belange der Menschen mit Behinderungen in besonderem Maße betreffen.“

Das ist bestimmt genau das, was Menschen mit Behinderungen, insbesondere Aktivist*innen wollen: Dass andere Menschen und Gremien entscheiden, welche Themen die Belange von Menschen mit Behinderungen betreffen. Und das auch noch im besonderen Maße!

Ableistischer geht’s wohl kaum. Abgesehen davon, dass in dieser Beispielsatzung dem Beirat weder eine Teilnahme an Sitzungen anderer Gremien, geschweige denn ein Stimmrecht eingeräumt wird, geht sie davon aus, dass es in Politik und Gesellschaft die behinderte-spezifischen und die wirklich wichtigen Themen gibt.

„Wenn Du Deine Zeit mit Begehungen von Friedhöfen, der Besichtigung von Behindertentoiletten und dem Zählen von abgesenkten Bordsteinen verbringen willst, dann bist Du in einem solchen Beirat gut aufgehoben.“, sagte mir Andi Vega damals wohl aus eigener, bitterer Erfahrung.

Menschen mit Behinderungen sollen sich also gefälligst um ihre Angelegenheiten kümmern. Um behinderte-spezifische Themen. Je länger ich darüber nachdenke, desto größer werden die Schmerzen zwischen meinen Ohren.

„So viel kann ich gar nicht essen, wie ich da kotzen möchte!“, könnte auch von Andi Vega sein. Ist aber ein Zitat des Malers Max Liebermann, zur Machtübernahme Hitlers.

Als gäbe es politische und gesellschaftliche Themen, die Menschen mit Behinderungen nicht betreffen!?

Welche Farbe hat eigentlich der Rauch von verbrannten Satzungen?

Stephan Laux am 80. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus

Lesermeinungen

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Martin
08.05.2025 19:11

Ja ein wirklich toller Text. Und dann erst noch zur Papstwahl was für ein Timing ich hoffe wir sehen uns in Kassel liebe Grüße Martin Theben aus Berlin

Ralph Milewski
08.05.2025 16:57

Mein lieber Stephan,

deine Kolumne Habemus Satzung hat mich auf mehreren Ebenen getroffen – erst amüsiert, dann ernüchtert, am Ende fast erschöpft. Du beschreibst mit einer Präzision, wie ich sie mir oft im institutionellen Alltag wünsche, was passiert, wenn Partizipation zur Formalie wird. Dein Blick auf die Beiratsarbeit ist nicht nur entlarvend, sondern symptomatisch – und das ist der eigentliche Skandal.

Je länger ich mich mit Strukturen beschäftige, die sich Beteiligung auf die Fahnen schreiben, desto klarer wird mir: Es sind nicht einzelne Fehlentscheidungen, sondern systemische Muster. Egal ob Gremienarbeit, Großveranstaltung oder Verwaltung – überall begegnet uns dieselbe Haltung: Man darf mitreden, wenn andere es für nötig halten. Man darf sich äußern, solange es in den Rahmen passt. Und man darf Vorschläge machen, die nie dort ankommen, wo Entscheidungen wirklich getroffen werden.

Dein Zitat aus einer dieser Satzungen – dass ein Beirat dann beteiligt wird, „wenn es jemand für erforderlich hält“ – ist eine Blaupause für zu viele dieser sogenannten Teilhabeprozesse. Was nach Mitsprache klingt, ist in Wahrheit ein Filter, durch den nur Unverbindliches hindurchkommt.

Was du da mit klarem Kopf und scharfem Stift offenlegst, ist für mich kein Nebenschauplatz, sondern Kern der Sache: Teilhabe wird verwaltet, nicht gelebt. Und solange Satzungen, Formulierungen und Abläufe nicht auf Augenhöhe ausgerichtet sind, bleibt alles beim Alten – egal, wie bunt der Schirm ist.

Danke für deinen Text. Und danke, dass du dich nicht einwickeln lässt – weder in Regularien noch in Resignation.

Stephan Laux
Antwort auf  Ralph Milewski
12.05.2025 12:07

Lieber Ralph,
was denkst Du wohl, von wem meine Texte u.a. stark inspiriert sind 😉

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