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„Angst essen Seele auf“ – eine persönliche Nachbemerkung zu meinem offenen Brief

Abbild des Behindertenausweises vom Autor von 1988
Der auf seiner Besorgnis und Kriegsangst sitzengebliebene Verfasser des "Offenen Briefs" erlaubt sich eine seelsorgerische Nachbetrachtung.
Foto: Hans-Willi Weis

Staufen (kobinet) Gab es da nicht kürzlich einen "offenen Brief"? Der Versuch eines Kolumnisten die communityinterne "Schweigespirale" in Sachen "Verteidigung und Kriegsvorbereitung" zu durchbrechen. Der Kolumnist hat dazu schon die ganze Zeit über nicht geschwiegen, doch eine einsame Kolumnistenstimme macht noch keinen Diskurs, ist weder Dialog noch Debatte. – Zum gescheiterten Versuch seines "offenen Briefs" hier das Abschlusswort des Verfassers.

„Angst essen Seele auf“ – die Besorgnis, die mich zum Schreiben bewogen hat

Während Politik und Medien im verteidigungspolitischen Fieberwahn seit Monaten in der Öffentlichkeit eine kollektive Kriegshysterie schüren, werden die dadurch bei den Menschen erzeugten Ängste individualisiert. Mit ihren in die Privatheit abgedrängten Ängsten lässt man sie allein. Mehr noch, abseits der medienoffiziellen Sprachschablonen, die das Bedrohungsszenario Putin beschwören und einen demnächst durch ihn vom Zaun gebrochenen Angriffskrieg gegen das übrige Europa an die Wand malen, gibt es für die dadurch geschürte Angst nicht einmal eine Sprache. Die privatisierte Angst ist der Stummheit und Ausdruckslosigkeit anheimgegeben. Diesen Eindruck teilt die Philosophin Olivia Mitscherlich-Schönherr. Während unablässig „in Aufrüstungsspiralen gedacht wird“, sagt sie, „scheint diese andere Seite rhetorisch stumm, es wird eigentlich kaum darüber geredet, es wird kaum über die Angst geredet, was wir da eigentlich machen mit diesen massiven Aufrüstungen, ob es nicht sein kann, dass wir uns in Gewaltspiralen verstricken, die auf einmal in einen Krieg führen, den eigentlich niemand gewollt hat.“ – Es ist die von ihr in einem Feuilletonbeitrag (siehe Deutschlandfunk-Wochenrückblick auf die Feuilletons letzte März-Woche) ausgedrückte Besorgnis, die auch mich zu meinem „offenen Brief“ in den kobinet-nachrichten veranlasst hat.
https://kobinet-nachrichten.org/2025/03/19/offener-brief-an-drei-fuehrende-persoenlichkeiten-der-behindertenbewegung-bitte-um-stellungnahme-in-sachen-verteidigung-und-kriegsbereitschaft/

Und der leider ohne Resonanz geblieben ist. Das bedrückende Schweigen zu dieser wahrlich existenziellen Bedrohung, die über unser aller Köpfen schwebt, lastet also weiter auch auf der Behinderten-Community (und es liegt kein Trost darin, dass sie sich in dieser Hinsicht für „gesellschaftlich inkludiert“ betrachten darf). Dem Schweigen und der Stummheit überantwortet scheint auch die Frage: Was richten die individualisierten bzw. privatisierten Ängste in der Psyche der mit ihnen alleingelassenen Einzelnen an? „Angst essen Seele auf“, dieses Bild ist mir dieser Tage wieder eingefallen, der Titel eines Films von Rainer-Werner Fassbinder aus den 1970er Jahren. Er versinnbildlicht nach wie vor auf unübertreffliche Weise, was privatisierte öffentlich unartikulierte und zum Verstummen gebrachte Ängste mit uns machen. – Weil ich meine Seele nicht von einer solchen Angst auffressen lassen möchte (und es schwer erträglich finde, dass womöglich anderen dies geschieht), habe ich meinen „offenen Brief“ geschrieben. Und ihn an drei aus dem behindertenpolitischen Aktivismus adressiert, die sozusagen Rang und Namen in der Community haben. Nicht eines behindertenpolitisch repräsentativen Statements halber (das sie zweifellos nicht geben können), sondern weil ich mir wünschte, etwas über ihre eigenen Gedanken und Gefühle zu erfahren. Darüber, wie es ihnen geht bzw. was in ihnen vorgeht bei der öffentlichen Dauerbeschallung zum Thema „Verteidigung und Kriegsvorbereitung“.

Ein möglicherweise etwas unglücklich geratener Versuch, selber nicht länger allein zu sein mit jenen Gedanken und Gefühlen. Wie ich sie immerhin in zahlreichen „offenen Briefen“ – denn was sind Kolumnen anderes als öffentliche Diskursangebote und Dialoganfragen – artikuliert, formuliert und zum Ausdruck gebracht habe. Dies mag meine Seele vor dem „Aufgefressenwerden“ schützen, doch an meinem Beunruhigtsein über das Schicksal eurer Seelen (eures seelischen Wohlbefinden, weniger pathetisch ausgedrückt) ändert es nichts. Ein für mich trauriger und für die communityinterne Diskurskultur unbefriedigender Zustand.

P.S. Niemand fragt mich danach, aber falls es doch jemanden interessieren sollte, was mit meiner eigenen Angst, Kriegsangst ist: Ein Text, der mir in der Einsamkeit meiner Angst (und der mit ihr einhergehenden Gefühle von Rat- und Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und Trauer) geholfen hat, ist ein Essay der Leipziger Lyrikerin und Übersetzerin (Slavistin) Anja Utler für ihre aus der eigenen emotionalen Not entstandene und auf den Ukraine-Krieg reagierende Haiku-Sammlung „Es beginnt, ein Trauerrefrain“ erhielt sie 2024 den Peter-Huchel-Preis für deutschsprachige Lyrik. Der sich an ihren Trauerrefrain anschließenden Essay trägt den programmatischen Titel, „Ein Plädoyer, auch die haarigen Gefühle zu denken“. – Auf einen Text angewiesen sein, um sich emotional nicht gänzlich verlassen zu fühlen, ist ein trauriger Zustand, macht aber für mich die Situation überhaupt aushaltbar.

Lesermeinungen

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Martin
26.04.2025 13:52

Ich denke ein Problem liegt auch daran, dass viele der politisch handelnden einer Generation angehören , die selbst keinen Krieg mehr erlebt hat. Andererseits frage ich mich eben auch wie aktive friedensarbeit aussehen kann wenn beispielsweise ein Aggressor jetzt im Rahmen von sogenannten Fredensplänen mit seiner aggressiven Landnahme durchkommen soll ….Frieden um jeden Preis vs. Weiterdrehen an der Eskalationsspirale . Jeder der darauf einfach Antworten weiß ist ein Heuchler. Willi Weiss ist es nicht…seine Weisheiten benötigen wir mehr denjenigen

In diesem Sinne wünsche ich ein schönen Wochenende

Martin Theben