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Von der Paralympics-Studie zur echten Inklusion – ein Anfang ist gemacht

roter Schriftzug
Ein Los für das gute Gewissen
Foto: Ralph Milewski

Fladungen (kobinet)

Es ist eine Premiere – und sie ist bemerkenswert: Die neue Studie von Aktion Mensch zur gesellschaftlichen Wirkung der Paralympischen Spiele benennt erstmals offen, dass diese Spiele nicht per se inklusiv sind. Stattdessen spricht sie von einem "separierenden Ereignis", das zwar Sichtbarkeit schafft, aber keine strukturelle Gleichstellung. Eine solche differenzierte Einschätzung war überfällig – und verdient Anerkennung.

Doch wer nur lobt, bleibt an der Oberfläche. Wer ernst meint, was die Studie offenlegt, muss weiterdenken.



Die Paralympics – sichtbar, aber nicht gleichgestellt

Die Ergebnisse sind eindeutig: Weniger als ein Drittel der befragten Para-Athletinnen sehen gleichberechtigte Teilhabechancen im Breitensport. Nur 11 Prozent erleben einen fairen Zugang zu Sponsoren, und niemand sieht Gleichwertigkeit im Vergleich zu olympischen Athletinnen. Die Zahlen belegen, was längst bekannt ist: Die Paralympics schaffen mediale Aufmerksamkeit – aber keine strukturelle Inklusion.

Diese Diskrepanz zwischen Außen- und Innensicht, zwischen medialem Glanz und Alltagsrealität, benennt die Studie erstmals klar. Das ist nicht wenig. Es zeigt: Aktion Mensch ist bereit, eigene Narrative zu hinterfragen. Doch dabei darf es nicht bleiben.

Sonderprojekte sind keine Inklusion

Wenn Aktion Mensch aus dieser Studie die richtigen Schlüsse zieht, dann kann und muss das auch Auswirkungen auf andere Arbeitsbereiche haben. Denn was für die Paralympics gilt, gilt ebenso für viele sogenannte „Inklusionsprojekte“: Sie schaffen Sichtbarkeit, nicht Gleichstellung. Sie vermitteln Engagement, ohne Macht zu verschieben. Und sie geben der Gesellschaft das wohlige Gefühl, Inklusion sei auf einem guten Weg – während die Betroffenen selbst häufig nicht mitgestalten dürfen, sondern präsentiert werden.

Sonderprojekte erzeugen das Bild von Inklusion, nicht ihre Realität. Sie richten sich meist an Menschen mit Behinderung – aber selten an die Gesellschaft als Ganzes. Statt Teilhabe zu verwirklichen, organisieren sie getrennte Räume, oft mit wohlgemeintem Etikett. Doch auch gut gemeinte Trennung ist Trennung.

Inklusion heißt: Weg mit den Sonderwegen

Der nächste logische Schritt für Aktion Mensch wäre deshalb ein ehrlicher Blick auf die eigene Förderpraxis:

  • Wie viele der geförderten Projekte schaffen dauerhafte, gleichberechtigte Teilhabe – nicht nur symbolische Teilnahme?

  • In wie vielen Projekten sind Menschen mit Behinderung nicht nur Zielgruppe, sondern Initiatorinnen, Gestalterinnen und Entscheider*innen?

  • Und wie oft wird Inklusion noch mit Barrierefreiheit verwechselt – anstatt als strukturelle Veränderung der Gesellschaft gedacht?

Symbolpolitik oder Systemkritik?

Wenn Parasportlerinnen sich selbst als „Leistungssportlerinnen zweiter Klasse“ empfinden, dann ist das kein Wahrnehmungsproblem – es ist ein Systemfehler. Wenn die mediale Aufmerksamkeit nach dem Event wieder verschwindet, wie es die Studie belegt, dann reicht es nicht, einfach „mehr Berichterstattung“ zu fordern. Was fehlt, ist eine systematische Integration von Menschen mit Beeinträchtigung in den gesamtgesellschaftlichen Sportbetrieb – im Breitensport, in der Medienlandschaft, in der Infrastrukturpolitik.

Inklusion beginnt nicht mit dem Scheinwerferlicht, sondern mit gleichberechtigtem Zugang – und mit der Anerkennung, dass Sichtbarkeit nicht mit Teilhabe gleichzusetzen ist.

Fazit: Studie als Chance – wenn sie ernst genommen wird

Aktion Mensch hat mit dieser Studie ein starkes Fundament geschaffen. Doch sie muss sich nun selbst fragen, ob sie bereit ist, über punktuelle Fördermaßnahmen hinauszugehen und sich als aktiver Mitgestalter eines inklusiven Gesellschaftssystems zu positionieren – jenseits von Sonderprojekten, jenseits von Imagepflege.

Inklusion heißt nicht, Exklusion zu inszenieren. Inklusion heißt, sie zu beenden.

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Uwe Heineker
10.04.2025 16:02

Nun ist AKTION MENSCH selbst gefragt: wohin gehst du?