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Den Masters of War widersprochen. Special Number Habermas

alte Schreibfeder liegt auf einem Brief
Worte statt Waffen
Foto: Momentmal In neuem Fenster öffnen via Pixabay In neuem Fenster öffnen

Staufen (kobinet) Der Philosoph Jürgen Habermas ist der wohl bekannteste und mit seinen bald 96 Jahren sozusagen dienstälteste "öffentliche Intellektuelle" der Bundesrepublik. Im Unterschied zu beinahe allen anderen linksliberalen Intellektuellen hat er sich dem "moralisch-militärischen Komplex", den Baerbock, Habeck, Hofreiter und deren Sirenengesängen nicht angeschlossen. Und jüngst in der SZ (Süddeutsche Zeitung) den Masters of War widersprochen. Mit einer "Warnung vor der Rhetorik der Verfeindung" und einem "Plädoyer für die Freundschaft mit unseren Nachbarn", wie es in der Überschrift seines Beitrags heißt. Ungewohnte Töne in einem publizistischen Leitmedium, das sich in der Dämonisierung des Feindbilds Putin und der Projektion alles Bösen auf unseren europäischen Nachbarn Russland vom Tenor der veröffentlichten Meinung hierzulande sonst kaum unterscheidet. – Die wichtigsten Punkte dieser Gegenrede hier anschließend.

Habermas über „unverzeihliche politische Fehler“

Punkt Eins
Unehrlichkeit über das eigene westliche Verstricktsein in die Verursachung des Ukraine-Kriegs. Habermas: „Nachdem die amerikanische Regierung keinen Versuch unternommen hatte, dem mit aufmarschierenden Truppen angedrohten Angriff der Russen durch Verhandlungen zuvorzukommen, war ein militärischer Beistand zur Aufrechterhaltung der staatlichen Existenz der Ukraine gewiss geboten. Aber unverständlich war es, wie sich die Europäer in der trügerischen Annahme eines intakten Bündnisses mit den USA ganz in die Hand der ukrainischen Regierung begeben, nämlich ohne eigene Zielsetzung und ohne eigene Orientierung auf eine unbedingte Unterstützung der ukrainischen Kriegsführung eingelassen haben.“ Als Resultat dieser falschen Politik sei daher „heute die beschränkte Perspektive bedrückend, aus der bei uns die ganz ungewöhnliche Anstrengung zu einer Aufrüstung der Bundeswehr im Klima einer gegen Russland aufgeheizten Stimmung diskutiert wird. Das schürt alte Vorurteile … statt des fahnenschwenkenden Kriegsgeschreis und lauthals angestrebten Sieges über eine Atommacht wie Russland, wäre damals ein realistisches Nachdenken über die Risiken eines längeren Krieges am Platz gewesen.“

Punkt Zwei
Kriegsrhetorische Mobilmachung. Habermas: „Für einen halbwegs aufgeklärten Zeitgenossen meiner Generation war der selbstzufriedene Triumph über die Einheit des Westens und dann wieder auch neben der schon totgesagten Handlungsfähigkeit der NATO gespenstisch. Ebenso irritierend war überhaupt die öffentliche Unempfindlichkeit für den Ausbruch militärischer Gewalt in Europa. Verschwunden schien jedes Gefühl für die abschreckende Gewalt von Kriegen, wie auch für die Tatsache, dass Kriege leicht entstehen, aber schwer zu beenden sind.“ Dem gegenüber locke „die aktuelle Aufrüstungswelle ganz andere Töne hervor. Und zwar stoßen in dieses Horn nicht nur die üblichen Verdächtigen, die den historisch längst überwundenen Nationalismus als eine zeitlose Tugend feiern, sondern auch die Politiker, die eine aus guten Gründen postheroische Jugend mit der Wiederbelebung der Wehrpflicht aufmöbeln wollen. Und das inmitten von Staaten, die aus guten Gründen fast alle die Wehrpflicht längst abgeschafft oder ausgesetzt haben. In dieser Abschaffung der Wehrpflicht spiegelt sich ein weltgeschichtlicher Lernprozess, nämlich die auf den Schlachtfeldern und in den Kellern des Zweiten Weltkriegs gewachsene Einsicht, dass diese mörderische Form der Gewaltausübung menschenunwürdig ist. Mich erschreckt von welchen Seiten die deutsche Regierung, die sich nun zu einer beispiellosen Aufrüstung des Landes anschickt, gedankenlos oder gar ausdrücklich mit dem Ziel der Wiederbelebung einer zurecht überwunden geglaubten militärischen Mentalität unterstützt wird.“

Punkt Drei
Hinweis auf eine objektive Komplizenschaft wechselseitiger Feindbilder. Habermas: „Aus meiner Sicht hat sich die Stimmung in unserem Land, auch forciert von einer einseitigen politischen Meinungsbildung, in den Sog einer gegenseitigen Verfeindung mit dem Aggressor hineinziehen lassen.“ Die hier auch von Habermas angedeuteten Gedanken eines fatalen Zusammenspiels von Feind-Narrativen habe ich selber ausführlich dargelegt in meiner Kolumne „Sich beiderseitig in die Katastrophe erzählen“.
https://kobinet-nachrichten.org/2024/04/15/sich-beiderseitig-in-die-katastrophe-erzaehlen-eine-kunst-die-nichts-mit-behinderung-zu-tun-hat/

P.S. Für diejenigen, die den verteidigungspolitisch moderaten Überlegungen von Jürgen Habermas in Gänze folgen möchten und sich auch für seine Ausführungen über Trumps Amerika und den von dort ausgehenden Epochenbruch interessieren, hier der Titel seines Essays in der SZ am 22.03. 2025 erschienen: „Für Europa – zu Donald Trump, dem geopolitischen Umbruch und der Übertölpelung unseres Kontinents. Zugleich eine Warnung vor der Rhetorik der Verfeindung und ein Plädoyer für die Freundschaft mit unseren Nachbarn“.  https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/kultur/juergen-habermas-gastbeitrag-europa-e943825/

Oder auch https://www.perlentaucher.de/9punkt/2025-03-22.html

Lesermeinungen

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2 Lesermeinungen
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Silvia Hauser
01.04.2025 10:51

Zur Klarstellung: Habermas ist weder gegen moderate Verteidigungsausgaben noch gegen eine angemessene militärische Abschreckung. Ist also nicht so naiv zu glauben, einen Aggressor allein mit Worten stoppen zu können. Im Unterschied zu Habermas stelle ich selber militärische Verteidigung unter heutigen Bedingungen (Angreifer und Verteidiger gehen mit einem ungeheuren und letztlich unkalkulierbaren Zerstörungspotential aufeinander und auf ihr Bevölkerungen los) ganz grundsätzlich infrage. Und bin stattdessen für zivile Verteidigung und militärisch gewaltfreie Widerstandsformen, deren Kosten, Opfer und Leiden mir schlussendlich geringer erscheinen.
Wie ich dies näher begründe und welche durch Krieg und militärische Verteidigung heraufbeschworenen Schrecken mich zu meiner antimilitaristischen Haltung bewegen, darüber mehr in den übrigen Folgen der 9-teiligen Reihe „Den Masters of War widersprochen“.
i.A. Hans-Willi Weis

Klaus K
31.03.2025 10:50

Wenn wir uns darauf einlassen nur denen zu folgen die meinen, dass sich Aggressoren mit Worten beschwichtigen lassen, dann kann nur das passieren, was passiert ist. Der Aggressor hat die Gunst einer nicht wehrhaften Gemeinde genutzt und mit Landraub die Lebenssituationen betroffener, einfach geändert. Wenn der Aggressor dann noch jemand ist, der sich den selben hingibt, was in vielen Autokratien zu beobachten ist, dann ist das nicht nur eine Gefahr für Grundrechte, wie Meinungs- und Pressefreiheit, sondern kann auch das gefährdet werden, was viele Menschen Jahrzehnte erkämpft haben, so auch im Bereich der Rechte von Menschen mit Behinderungen.