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Staufen (kobinet) "Im Märzen der Bauer ..." Die Zeiten, da man den Frühling politisch unbeschwert mit einem Lied begrüßen konnte, sind vorüber. Das auch unserem behindertenpolitischen Selbstverständnis zugrunde liegende Weltmodell ist entzwei, zerschlagen. Es ist "die Welt von gestern". Das heulende Elend beobachte ich in der Reaktion einiger Politiker. Das stumme Elend in unserer Community. Um nicht zu platzen, schreibe ich über beides ein paar Worte in dieser alles andere als frühlingsgefühligen Kolumne.
Heulendes Elend, der „moralisch-militärische Komplex“ ratlos
Regime Change! In Amerika, in Washington. – „Mr. Trumps faschist regime and his weired american dream“ came true. Und Europa packt politisch das heulende Elend. Zerrissen der dünne Firnis zivilisierten politischen Umgangs. Mythisches Getümmel. Stärke vor Recht. Die Mächtigsten zuerst. Ob Helden oder Schurken, brutale Interessenpolitik.
Heulendes Elend bei denen, die so schnell gar nicht reagieren können. Sich umstellen, neu aufstellen und auf welcher Grundlage überhaupt. Trauert die sentimentale Heulsuse Heusgen (Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz) mehr ihrem verlorenen Posten nach oder dem Schiffbruch der politischen Doppelmoral, die unter dem Etikett „universalistische Menschenrechtspolitik“ viel zu oft „Stammespolitik“ westlicher Staats- und Wirtschaftsinteressen betrieben hat. Und der in ihrer Ratlosigkeit angesichts der offen egoistischen Machtpolitik von Oligarchen, Plutokraten und Plattform-Milliardären nichts einfällt als ihre Floskeln zu wiederholen und nach mehr Rüstung und Waffen zu rufen, um ihre moralischen Politikzwecke dennoch durchzusetzen oder davon zu retten, was noch zu retten ist. „Geld haben wir Europäer genug, um damit überall in der Welt Waffen und Munition einzukaufen“ (Grünen-Politiker Toni Hofreiter).
So machen unsere Politikerinnen und Politiker Politik. Und wir baden es aus, wir „Menschen von der Straße“, die Bevölkerung, die Wähler. – Vom Wetterbericht wissen wir, stoßen wärmere und kältere Luftschichten aufeinander, folgt Blitz und Donner. Übertragen auf die politische Wettervorhersage: Durch das Zusammentreffen von Kältepolitik und Klimakatastrophe, politischer Eiszeit und Erderwärmung, kommt eine gewaltige Gewitterfront auf die Menschheit zu. Schlechte Aussichten. Vor allem für Marginalisierte und besonders Vulnerable. Wer sich gegen Panik wappnen möchte, lese noch einmal meine beiden Kolumnen über „mentalen Immunschutz“
https://kobinet-nachrichten.org/2025/02/06/intellektuelle-redlichkeit-festigt-mentale-resilienz
https://kobinet-nachrichten.org/2025/02/01/mentaler-immunschutz-durch-spiritualitaet-und-intellektuelle-redlichkeit/
Das stumme Elend, wie lange noch schweigt der Behindertenaktivismus
Im letzten Wahlduell zwischen Scholz und Merz hat es gewaltig gemenschelt. Der Ruderer Scholz (außer seinem Ruderboot habe er auch „Glück in der Liebe gehabt“) und der Privatflugzeug-Flieger Merz arbeiteten sich einfühlend an „arbeitsunwilligen Bürgergeldempfängern“ ab, ein Skandal, sind sie sich einig, die Schmarotzer gehören sanktioniert, auf der Stelle. Ihr Politik-Kollege Trump hat bereits „das Sicherheitsrisiko Behinderte“ aufgedeckt, perverse Diverse, die, als Fluglotsen in den ersten Arbeitsmarkt eingeschleust, die Flugsicherheit bedrohen. Nur zwei Beispiele dafür, wie sich die „behindertenpolitische Baseline“ Richtung abschüssig verschoben hat. Der Behinderten-Aktivismus aber wiederholt gebetsmühlenhaft seinen „Zehn-Gebote-Inklusionskatalog“, versucht vergeblich die UN-BRK aus dem symbolpolitischen Dornröschenschlaf zum Leben zu erwecken und bleibt ansonsten politisch stumm.
Stumm insbesondere, was in dieser mehrfachen Zeitenwende-Zeit das politische Skandalon schlechthin anlangt, das Thema Kriegsertüchtigung, Waffen und Rüstung. Dem sich bei der politischen Neuformierung nach der Bundestagswahl alles andere unterzuordnen habe. Eine verteidigungspolitische Vorbereitung auf „Krieg in ganz Europa“ – zwischen der EU und Russland –, die sich auf den Zivilisationsbruch „Krieg“ seitens eines Angreifers so einlässt, dass sie von Seiten des Verteidigers gleichfalls Zivilisationsbruch begeht. Ein Verbrechen mit einem Verbrechen beantwortet. – Mit diesem Vokabular drehe auch ich rhetorisch bewusst auf volle Lautstärke, politmoralisch. Meine Position entspringt einerseits einem radikalen Pazifismus (der sich aus den auf „Nicht-Einhegbarkeit“und Massenvernichtung hinauslaufenden Implikationen heutiger Kriegführung herleitet und rechtfertigt) und andererseits historisch der Entmenschlichungserfahrung behinderter Menschen und chronisch Kranker während des Nationalsozialismus.
Vor diesem, ja, dramatischen Hintergrund behindertenaktivistisch über Krieg und Kriegsvorbereitung zu schweigen und in der aktuellen politischen Unwetterlage das Anliegen von Barriereabbau und Teilhabe halbwegs unbeschadet über die Runden zu retten, grenzt für mich an gruppenegoistische Klientelpolitik. Eine Behindertenpolitik, wie ich sie unter politischen Moralgesichtspunkten nicht vertreten oder unterstützen möchte. – Wer von euch erinnert sich an oder hat schon einmal gehört von Berthold Brechts Diktum, in Zeiten zu leben, in denen ein Gespräch über Bäume einem Verbrechen gleichkomme, weil es gleichzeitig ein komplizenhaftes Schweigen über so viele Untaten in der Welt bedeute?
Im Gegensatz zu ihren politischen Sprechern nimmt die Basis der Behinderten-Community die „shifting-baselines“ der Behindertenpolitik deutlich wahr, 67 Prozent gehen laut einer Umfrage der Aktion Mensch davon aus, dass „Inklusion“ nach der Bundestagswahl politisch und gesellschaftlich kein Thema mehr ist (vgl. IGEL-podcast über Teilhabe-Community). Die Welt, wie wir sie noch bis gestern kannten ist entzwei. Und mit ihr der bisherige behindertenpolitische Aktivismus. Wie lange will er diesbezüglich noch Ignoranz an den Tag legen und das „stumme Elend“ geben.
P.S. In seinem Aufzugs-Plausch mit Ampel-Ministerin Paus dachte Raul Krauthausen kürzlich über die Regierungsbildung nach der Wahl laut nach: Die Schuldenbremse etwas lockern gehe nur mit Merz und der CDU und um das Geld für die Verteidigung aufzubringen, brauche es SPD und Grüne dazu. Nur so wird in der Sozialkasse noch etwas übrig bleiben für Behinderte und andere Marginalisierte, darf die Zuhörerschaft seinen Gedanken behindertenpolitisch vervollständigen.