
Foto: Montage HT
Staufen (kobinet) Des „Gößten Leaders aller Zeiten“. GröLaZ ist eine Analogiebildung zu GröFaZ, „Größter Feldherr aller Zeiten“. Titel eines anderen Führers, der um die Mitte des 20. Jahrhunderts sich an der Weltherrschaft versuchte. – Wie huldigt ein Kolumnist, intellektueller Schreiberling und Textemacher, dem neuen Führer des freien Westens? Indem er rühmende Verse über ihn verfasst. So hat es Brecht mit Stalin gehalten und haben es vor und nach ihm zahlreiche andere große und kleine „Tuis“, intellektuelle Lobhudler gehandhabt. Auf geht es kolumnistischer Tui, ans Werk mit dir.
Lobpreis des GröLaZ anlässlich seiner Inthronisierung
- God bless this whired americam dream and Mr Trumps fascist regime! (frei nach Johnny Rotten von den Sex Pistols)
(Gott segne diesen gepeitschten amerikanischen Traum und Herrn Trumps faschistisches Regime!) - Oh my God, he is the american dream! His brain is filled with oil and gazoline. (frei nach Frank Zappa „Bobby Brown“)
(Oh mein Gott, er ist der amerikanische Traum! Sein Gehirn ist mit Öl und Gasolin gefüllt.) - Drill baby drill! You must pay your bill! Mister Trumps first and final will!
(Bohren, bohren, bohren! Du musst deine Rechnung bezahlen! Mister Trumps erster und letzter Wille!) - Years and years will pass my friend, before this nightmare comes to an end. (frei nach Robert Frost „miles and miles to go before I sleep“)
(Jahre und Jahre werden vergehen, mein Freund, bevor dieser Albtraum ein Ende hat.) - No more thrill from bill from the hill! Chill baby chill (Kein Nervenkitzel mehr durch Bill vom Berg! Chill Baby chill) und ein Veggieburger vom Grill! Das ist, after all, alles was der Kolumnist noch will.
(Übersetzungen mit https://www.deepl.com/de/translator rein mechanisch)
Hillbilly-Mythologie zur Kenntlichkeit entstellt
Zur Kenntlichkeit ihrer faschistoiden ultima ratio, präziser ihrer finalen Irrationalität. Wen habe ich hier im Auge, an wen denke ich? J.D. Vance natürlich, des GröLaZ Vice. Zum einen. Zum anderen aber auch Trump selber, ich betrachte ihn ebenfalls als einen Hinterwäldler oder Hillbilly. Einen mentalen Hinterwäldler im Unterschied zu Vance als ein Hinterwäldler seinem Geburtsort oder der Herkunft nach. Kurz, die aufgrund dieses Zusammenhangs sich aufdrängende Frage lautet: Worin besteht das verbindende Charakteristikum dieser Art von Hinterwäldlertum oder was macht den Kern der von Vance und Trump so erfolgreich, so massenwirksam ausgebeuteten Hillbilly-Mythologie aus?
Um die Antwort vorwegzunehmen: Der sich für Mythologisierungszwecke anbietende Typus von Hillbilly ist der hinterwälderisch hemdsärmelige Outcast und Outlaw, ein zivilisatorisch zurückgebliebener Lonely Wolf, der sich auf sich allein gestellt durchschlägt und wo erforderlich das Gesetz selber in die Hand nimmt. Alles in allem einer, bei dem das Schießeisen locker sitzt und der dennoch zugleich das Herz am rechte Fleck hat. Es gibt ihn nicht nur in männlicher, sondern auch in weiblicher Ausführung. Worüber uns insbesondere J.D. Vance mit seinem autobiographischen Bericht „Hillbilly Elegie“ ins Bild setzt. Der Oberhillbilly, die charismatische Hinterwälderfigur dieser seiner Lebensgeschichte ist nämlich niemand anderes als seine Großmutter mütterlicherseits. Sie ist die unangefochtene Hillbilly-Superheldin, die alle, die ihr irgendwie dumm kommen oder mit denen sie anders nicht fertig wird, mit der Knarre aus dem Weg räumt. Um anschließend ihre Liebsten und am liebsten die übrige Welt gleich mit in die Arme zu schließen. Dieser so rabiat resoluten wie gefühlt herzensguten Übermutter verdankt J.D. Vance, dass er nicht im rustbeltigen Hinterwäldlersumpf von Kenntucky steckengeblieben und untergegangen ist und schlussendlich den grandiosen Aufstiegs zum zweiten Mann im Staat. Trumps Hinterwäldler- oder Hillbillystaat, in den die USA umzumodeln die beiden soeben im Begriff sind.
Beziehungsweise den Beweis anzutreten, dass eine folkloristisch noch relativ harmlose (und reichlich Stoff für vergnügliche Film- und Literaturadaption liefernde) Hillbilly-Legendenbildung das Zeug hat, einer plutokratish (d.h. von „big money“) gelenkten autoritären oder „charismatischen Herrschaft“ (Max Weber) eine populäre, in manchen Zügen popkulturell anmutende Legitimationsbasis zu verschaffen. Man vergegenwärtige sich noch einmal Trumps prahlerischen Ausspruch, auf der Fifth Avenue jemanden erschießen zu können, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden und desgleichen seinem Aufruf an die eigene Anhängerschaft im Januar 2021, sich Bidens Amtseinführung zu widersetzen, mit der Folge, dass ein randalierender Mob das Kapitol stürmt. Populistisch lassen sich Trumps Prahlereien und sein Aufruf zum Widerstand, sprich zum Gesetzesbruch ohne weiteres so verstehen bzw. rechtfertigen: Politisch verkörpert Trump den Erlöser oder Heldenarchetyp. Mit ihm hat J.D.Vance idealisierte Großmutter, eine mythisch überhöhte Retterfigur, die nationale politische Bühne betreten, um den Washingtoner Augiasstall auszumisten, den „deep state“.
Mit diesem für viele, die sich nunmehr die Augen reiben, überraschenden Resultat wurden wir alle oder jedenfalls diejenigen von uns, die es überhaupt wissen wollen, in Kenntnis gesetzt von dem ungeahnten politisch reaktionären Potential einer zunächst nicht explizit politisch daherkommenden persönlichen Hillbilly-Mythologie. Vorgetragen von J.D. Vance in seiner 2016 (in deutscher Übersetzung 2017) veröffentlichten Autobiographie. Deren seinerzeit noch private und scheinbar harmlose Hillbilly-Mythologie hat wenige Jahre später die aktuelle politische Entwicklung in den USA mit dem triumphalen Wahlsieg von Donald Trump auf erschreckende Weise zur Kenntlichkeit entstellt. Zur Kenntlichkeit ihrer politisch monströsen Instrumentalisierbarkeit.
Eine Lektüre, die den Scholzomat zu Tränen gerührt hat
Welche Stelle hat seinerzeit Scholz beim Lesen des Buches von J.D. Vance (der „Hillbilly-Elegie“) so sentimental gestimmt und Anfälligkeit für kleinbürgerliche Rührseligkeit offenbaren lassen, wovon gerade bei ihm die gefrorene Politikermaske sonst nie etwas verrät? Als das Buch 2017 auf deutsch erschien – ein Jahr zuvor hatte es in den USA große Beachtung gefunden, Obama hat es gelobt und zur Lektüre empfohlen – habe ich lediglich die auch hierzulande positiven und teils hymnischen Rezensionen verfolgt. Gelesen habe ich es es erst jetzt und die Stelle, die Scholz zu Tränen gerührt habe könnte, nicht mit Sicherheit ausmachen können. Was vermutlich daran liegt, dass mich die reaktionäre Quintessenz des Autors bestürzt, die einer kritischen Lektüre schon damals nicht entgehen konnte. Vollkommen abwegig, die autobiographische Selbststilisierung dieses gerade einmal dreißigjährigen Hillbilly-Emporkömmlings mit der politisch reflektierten und biographisch sensiblen „Rückkehr nach Reims“ von Didier Eribon gleichzusetzen, wie es der taz-Rezensent 2017 tat. Der Literaturkritiker Jürg Magenau war die einzig rühmliche Ausnahme, ihm entging nicht die frappierende Übereinstimmung zwischen der gesellschaftspolitischen Botschaft, die Vance mit seinem Buch aussandte und der politisch-ideologischen Agenda der bereits von Trump gekaperten republikanischen Rechten (nur dass Vance zu dieser Zeit Trump persönlich noch nicht gemocht hat).
Höchst beunruhigend, ja erschreckend, worüber die damaligen Rezensenten hinweggesehen oder hinweggelesen haben. Über den sentimentalen Patriotismus des Autors, seine Respektbezeugung für die Menschenschinderei bei den Marines, das unreflektierte Wiederholen der Ideologie des amerikanischen Ellbogenindividualismus. Jeder seines Glückes Schmied, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen, stets bei sich selber statt bei anderen die Schuld suchen, es liegt an mir, nicht an einer Bringschuld des Staates, was aus mir wird, wohin ich es gesellschaftlich bringe. Einer von einem Vergewaltiger bedrohten Frau oder einem räuberisch angegriffenen Landsmann wird die Hillbilly-Edelversion Marke Vance fraglos und unaufgefordert zur Hilfe eilen und den Bösewicht zur Strecke bringen. In allen sonstigen Lebenslagen jedoch die Devise beherzigen bzw. ausgeben: Sieh selber zu, wo du bleibst!
Diese Seligsprechung des radikalen Egoismus entspricht keines Wegs dem tatsächlichen Verhalten der frühen europäischen Siedler, deren kleine Gemeinwesen nur gemeinschaftlich kooperativ überleben konnten. Erst mit der beginnenden Industrialisierung hat der Yankee-Kapitalimus dem egoistischen Durchsetzungsstreben den absoluten Vorrang eingeräumt und als das „amerikanische Credo“ schlechthin gelabelt. Mit weltweiter Ausstrahlung und, nimmt man sein neoliberales Update, einer bis heute anscheinend ungebrochenen Suggestivität. J.D. Vance ist es 2016/17 mit seinem Buch und dessen mythisierender Überhöhung der eigenen Herkunfts- und Lebensgeschichte gelungen, jenes Credo in die durch seine Großmutter verkörperte Figur des „guten Hillbilly“ zu projizieren (die er effektvoll von der trostlosen Masse gesellschaftlich abgehängter, arbeitsunwilliger, drogensüchtiger und die staatlichen Unterstützungsprogramme ausnutzender Hillbillys im industriell darniederliegenden Rustbelt der USA absetzt). – Hieran anschließend harren noch zwei Fragen einer plausiblen Beantwortung. Zum einen: Wie ist es dem Akademiker und Yale-Absolventen Vance gelungen, seine ursprüngliche Trump-Aversion („Amerikas Hitler“) schwuppdiwupp abzulegen und sich in einen vorbehaltlosen und begeisterten Parteigänger zu verwandeln? Zum anderen die Frage: Vom Wiener Journalisten und Intellektuellen Karl Kraus ist der Satz überliefert, zu Hitler falle ihm nichts ein – was bedeutet es, wenn momentan nicht wenigen gebildeten Menschen in Politik, Medien und Wissenschaft durchaus etwas Positives zu Trump einfällt?
„He kissed my ass“, das Phänomen der gebildeten Arschlecker Trumps
Ich beginne mit meinem Antwortversuch auf die erste Frage. „He kissed my ass“, sagte Trump bei der öffentlichen Nominierung von Vance zu seinem Vizepräsidentsschaftskandidaten. Die 180 Gradwendung von Vance durch Hinweis auf den Narzissmus eines eingefleischten Karrieristen zu erklären, reicht nicht aus. Meine weitergehende psychodynamische Erklärungshypothese: Der aufgrund seines sozial depravierten Herkunftsmilieus (Armut, Drogen, Gewalttätigkeit etc.) kindheitstraumatisierte Vance transponiert die ihn aus diesem Sumpf rettende mythische Lichtgestalt seiner Hillbilly-Großmutter auf die staatliche und politische Ebene oder Bühne und identifiziert dort Donald Trump als eine ebensolche heilbringende nationale Lichtgestalt. Individuell eine psychoenergetisch geglückte Traumabewältigung, mit einer geradezu traumhaften Größen-Selbst-Gratifikation. Die Therapiekosten freilich zahlt die Gesellschaft, abzüglich bzw. mit Ausnahme der Eliten und der Milliardäre.
Trumps „He kissed my ass“ heißt auf gut deutsch „Er hat mir den Arsch geleckt“. Wie erklärt sich das Phänomen der gebildeten Arschlecker? Die derzeit entweder offen devot und liebedienerisch auf Trumps Kurs einschwenken (die Techmilliardäre der Social-Media-Plattformen weisen ihnen den Weg) oder manchmal noch ein wenig verschämt „auch gute Seiten“ an Trumps Politik entdecken. Hier ist die elitesoziologische und interessenpsychologische Erklärung so naheliegend wie stichhaltig. Auch wenn man selber nicht in der allerobersten Liga der Musk, Bezos, Thiel und Zuckerberg mitspielt, so darf man sich doch bei möglichst rascher Anpassung zu den Profiteuren von Trumps Konfrontations- oder Disruptionskurs rechnen, die Zeche wird auf den tieferliegenden gesellschaftlichen Etagen beglichen, mit einer deutlichen Progression nach unten (sozial unten) der zu entrichtenden Zahlungen.
In der Danksagung am Buchende (der Hillbilly-Elegie) sind mir nicht nur erwartbare Namen wie der von Peter Thiel begegnet, sondern beispielsweise auch der Name Charles Taylor (der Teile des Buchmanuskripts wohlwollend begutachtet habe). Ein auch hierzulande bekannter und renommierter kanadischer Sozialwissenschaftler, der zum linksliberalen Flügel der kommunitaristischen Bewegung zählt. Immerhin redet der in New York lebende deutsche Schriftsteller Daniel Kehlmann inzwischen Klartext, wenn er von einer „faschistischen Bewegung“ spricht, die spätestens mit Trumps zweiter Präsidentschaft in den USA Fahrt aufgenommen habe. „Schlafwandelnd auf dem Weg in eine Diktatur“, so hat die Trump abtrünnige republikanische Abgeordnete Liz Cheney (Tochter des Ölmagnaten und ehemaligen Bush-Ministers Dick Cheney) den Zustand ihres Landes beschrieben. – Mir scheint, wir leben in einer Zeit eines sich weltweit abzeichnenden zivilisatorischen Rückfalls auf die Stufe mythischen Denkens und konventioneller Stammesmoral (wiederkehrend in den auch kriegerisch gegeneinander antretenden Nationalismen, ob brutal offen wie in der MAGA–Ideologie oder uneingestanden versteckt wie in der Rede „unser Land voranbringen“). In diesem historischen Moment einer global in Gang gebrachten Entzivilisierung (die mitunter selbst auf Gebildete und Kulturell Kreative eine verführerische Faszination ausübt), sind mehr denn je unbestechlich verantwortungsbewusste, reflektierte und mutige Einzelne gefordert, die sich dem kollektiv betriebenen Wahnwitz widersetzen.
P.S. „This land is my land, this land is your land, from California to the New York Island“, sangen im letzten Jahrhundert die amerikanischen Folksänger Woody Guthrie und Pete Seeger. Gegenwärtig verbreiten die Medien von dort ein anderes, ein garstiges Lied, „this land is Trump land, from Panama to Canada“. Das alte Lied war und ist die Hymne einer universalistischen und egalitären Demokratie von unten, sie steht für ein basisdemokratisches oder bottom up Verständnis von Demokratie; im Unterschied zu einer top down Meritokratie von Eliteangehörigen und Dollar-Oligarchen. – Mit der basisdemokratischen Amerikavision fühle ich mich auch lebensgeschichtlich verbunden, wovon meine vierteilige Erzählkolumne „Liebeserklärung an Amerika“ handelt, geschrieben vor US-Wahl. Der Link zur erstenFolge: https://kobinet-nachrichten.org/2024/08/01/liebeserklaerung-an-amerika/