Menu Close

Warum Multiple Chemikalien Sensitivität (MCS) exkludiert

Frau mit Atemschutzmaske
Die Autorin Britta Wilkens mit Atemschutzmaske
Foto: Britta Wilkens

Berlin (kobinet) Erinnern Sie sich (vielleicht mit Grauen) noch an den Lockdown während der Pandemie? Können Sie sich vorstellen, den Rest Ihres Lebens im Lockdown zu verbringen? Für diejenigen, die von der Multiplen Chemikalien Sensitivität (kurz MCS) betroffen sind, ist das Realität.

Was genau ist MCS?

MCS beruht auf einer genetisch bedingten, schweren Entgiftungseinschränkung. Die Entgiftungskapazität ist nahezu nicht vorhanden. Betroffene können Schadstoffe nur sehr
langsam abbauen. Dadurch reichern diese sich im Körper an und verursachen häufig schwere Symptome, die tage-, wochen-, oder gar monatelang anhalten können. Ebenso sind körperliche Zusammenbrüche keine Seltenheit.
MCS kann auch (berufsbedingt) erworben sein, wenn Betroffene dauerhaft Chemikalien und anderen Schadstoffen ausgesetzt sind (z.B. Maler, Friseure, Reinigungskräfte).

Wie sieht ein Leben mit MCS aus?

Vorweg: die genetisch bedingte Entgiftungseinschränkung ist weder heil- noch behandelbar.
Betroffene müssen alles meiden, was Symptome auslösen kann. Und das ist im Alltag gar nicht so einfach. Chemikalien und andere, toxische Stoffe umgeben uns überall. Sei es durch Wohnraumgifte (z.B. aus Möbeln), Zahnmaterialien, Rauch (der gemütliche Kamin im Winter oder das Osterfeuer), Feinstaub durch Böller an Silvester, Zusatzstoffe in industriell hergestellten Lebensmitteln und allem voran Duftstoffe.
Das bedeutet, dass Betroffene meist nur noch eine Handvoll Lebensmittel vertragen und sich nicht mehr unter Menschen begeben können.

Warum sind gerade Duftstoffe ein Problem?

Sowohl das Umweltbundesamt als auch der Deutsche Allergie- und Asthmabund (DAAB) weisen schon seit Jahren auf die Risiken von Duftstoffen hin. Nicht nur Allergien und Asthma sind damit verbunden. Der DAAB beschreibt, dass Duftstoffe durch die Atmung in den Körper gelangen. Über gesundheitsschädigende Effekte dieser leichtflüchtigen Chemikalien (nichts anderes sind Duftstoffe) ist insgesamt wenig bekannt, dennoch werden sie sorglos überall eingesetzt (1). Und das nicht nur in Waschmitteln, Kosmetika und Parfums. Ebenso erfreut sich das Duftmarketing einer immer größeren Beliebtheit. Zudem werden Duftstoffe vor allem dort, wo unangenehme Gerüche (durch Hygienemangel) überdeckt werden sollen (in Hotels, Einkaufszentren, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen) eingesetzt.

Genau diese Chemikalien führen bei Betroffenen zu teils schwersten körperlichen Reaktionen. Dazu sind bereits geringste Dosen, die von Nicht-Betroffenen nicht einmal wahrgenommen werden, problematisch. Jede Person, die nicht strikt duftfrei lebt, ist -wenn auch unbewusst- in eine Wolke von Duftstoffen gehüllt. Und genau das führt dazu, dass Betroffene nicht gefahrlos unter Menschen gehen können.

Somit sind sie zu 100% von jeglicher gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen. Betroffene können nicht ins Theater, Kino, in die Sauna oder ins Schwimmbad gehen.
Restaurantbesuche sind ebenso wenig möglich wie Familienbesuche zu Weihnachten. Kurze Besorgungen oder Arztbesuche sind mithilfe von speziellen Atemschutzmasken
grundsätzlich möglich. Diese Masken können jedoch nicht dauerhaft getragen werden. Zudem berichten Betroffene, dass es Duftstoffe gibt, sie sogar eine solche Maske durchdringen können. Und bei weitem nicht alle Betroffenen können solche Masken überhaupt tragen.
Kurzum: ein Leben mit MCS bedeutet: Lüften, Maske tragen, zu Hause bleiben, soziale Kontakte meiden – ein lebenslanger Lockdown.

Und was ist mit ätherischen Ölen? Die sind doch natürlich!

Wie schon das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) 2002 schrieb, sind viele ätherische Öle ebenfalls toxisch (2). Wer kaum entgiften kann, kann auch durch ätherische Öle schwere Symptome entwickeln.

Wird MCS als Behinderung mit einem GdB anerkannt?

MCS ist als Krankheitsbild vielen Medizinern noch unbekannt, einige streiten die Existenz gar komplett ab. Betroffene werden psychiatrisiert und nicht ernstgenommen. Dadurch besteht eine hohe Dunkelziffer von MCS-Kranken, da sie schlichtweg keine Diagnose bekommen. Seriöse Umweltmediziner, die sich mit diesem Krankheitsbild auskennen, sind „Mangelware“. Ebenso ist es ein kräftezehrender und häufig auch entwürdigender Prozess für Betroffene, überhaupt einen GdB zu erlangen, da ein derart unbekanntes Krankheitsbild häufig nicht anerkannt wird – sogar trotz Beschreibung der Einschränkungen im Alltag.

Wie kann Inklusion funktionieren?

  • Verbot von Raumbeduftung in Krankenhäusern, Arztpraxen, Schulen, Kindergärten, Pflege- und Senioreneinrichtungen (gemäß der Forderung des DAAB). Dies kommt auch anderen Menschen mit chronischen Atemwegserkrankungen und Allergikern zugute.
  • Entstigmatisierung: Betroffene sind nicht psychisch krank, keine Simulanten, Hypochonder oder „empfindliche Mimosen“, sondern leiden unter schweren Symptomen und den
    Einschränkungen. Dies muss ernstgenommen werden.
  • stärkere Rücksichtnahme auf sensibilisierte Personen wie Chroniken, Asthmatiker, COPDKranke und Menschen mit hyperreagiblen Atemwegen, Kinder und Senioren.
  • Aufklärung über die Schattenseiten von Beduftung, nicht nur im Interesse der MCSBetroffenen.
  • weitreichende Aufklärung über MCS und Anerkennung von MCS als Krankheit mit einem ICDCode.

Mehr Informationen zu diesem Thema finden Sie auch in dem IGEL-Podcast, Folge 219:
https://igel-inklusion-ganz-einfach-leben.letscast.fm/episode/wusstest-du-dass-multiplechemikalien-sensitivitaet-mcs-exkludieren-kann

Quellen:

1: h t t p s : / / w w w . b f r . b u n d . d e / d e / p r e s s e i n f o r m a t i o n / 2 0 0 2 / 0 7 /
die_dosis_macht_das_gift___auch_pflanzliche_duftstoffe_sind_nicht_immer_harmlos-338.
html#:~:text=Hinsichtlich%20ihrer%20Wirkungsst%C3%A4rke%20auf%20den,%2D%2C
%20Teebaum%2D%20und%20Nelken%C3%B6l.

2: https://www.daab.de/fileadmin/images/Duftstoffe/DAAB-Flyer-Duftstoffe_am_Arbeitplatz.pdf