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„Mehr Anarchie wagen!?“

nuremberg, politics, spd
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Foto: patricksommer In neuem Fenster öffnen via Pixabay In neuem Fenster öffnen

Villmar - Weyer (kobinet) Leerer Gabentisch, unerfüllter Wunschzettel. Stephan Laux kommentiert in seiner Kolumne die ernüchternden Resümees des vergangenen Jahres in den kobinet Nachrichten. Wer hat eigentlich diesen Wunschzettel verfasst? Und welches Christkind hat ihn entgegengenommen? Was stand da drauf? Liebes Christkind, wir wünschen uns zu Weihnachten:
  • Barrierefreiheit
  • Inklusion
  • Frieden auf Erden
  • Und den Menschen ein Wohlgefallen
Liebe Grüße Deine behindertenpolitischen Aktivist*innen. PS, wir wollen auch im nächsten Jahr immer recht artig sein und uns in unserer eigenen Blase aufhalten, um uns gegenseitig zu überzeugen.

Braucht es in Zukunft vielleicht ein behindertenpolitisches Manifest?

„Mehr Anarchie wagen!?“ in Anlehnung an Willy Brandts Regierungserklärung von 1969, wäre wahrscheinlich kein Erfolg versprechender Wahlslogan für die kommende Bundestagswahl.

Für die Aktivist*innen – Szene der behindertenpolitischen Community vielleicht aber schon?

Zu dieser Aktivistenszene zähle ich auch die in der Behindertenhilfe aktiv mitarbeitenden Menschen. Sie sind es, die es braucht, um die verkrusteten und sich verfestigende Ordnung in den Parallelwelten der Sondereinrichtungen aufzubrechen.

Die Betroffenen selbst in den Sondereinrichtungen haben das Ihrige dazu getan. Ihren Anarchismus nennt man im sonderpädagogischen Fachjargon „Verhaltensauffälligkeit“. Ihre Bewegung, die der „Systemsprenger“. Manchen von ihnen ist es nicht einmal erlaubt, in Werkstätten für beeinträchtigte Menschen zu arbeiten (nicht werkstattfähig), geschweige denn auf dem 1. Arbeitsmarkt. Im schlimmsten Fall werden sie mit Medikamenten ruhig gestellt.

Die Mitarbeitenden der Behindertenhilfe sind es auch, die sich gezwungen sehen, ein System aufrechtzuerhalten, das in sich so widersprüchlich ist wie kaum ein anderes in Deutschland. So machen sie sich, hoffentlich ungewollt und –bewusst, zu Erfüllungsgehilf*innen einer Politik, die eine völkerrechtsbindende Konvention versucht umzukehren.

Selbst die kobinet Nachrichten versäumen es mitunter, den Personenkreis der in der Behindertenhilfe Tätigen mit ins Boot zu holen. Sie sind die Werktätigen im Kern der Inklusionsindustrie und gleichzeitig die Schnittstelle zur Außenwelt. Der Gang durch die Institutionen bleibt ihnen quasi erspart, weil sie Teil der Institutionen sind. Eigentlich sollten sie von Berufs wegen solidarisch mit der Behindertenbewegung sein.

Es braucht Verbündete im Kampf gegen Besitzstandwahrer und Bedenkenträger*innen. Verbündete außerhalb der Blase.

Diese Verbündeten könnten wir in Heilerziehungspflegeschulen und unter den Beschäftigten von Sondereinrichtungen finden. Zusammen mit ihnen könnten wir unser behindertenpolitisches Manifest verfassen. Alleine an der Bereitschaft der Verantwortlichen zum kritischen Diskurs scheint es noch zu fehlen. Denen müsste man sich aufdrängen. Noch erschrecken sie, wenn ihnen unsere Forderungen zu Ohren kommen und sie trauen sich nicht, uns als Experten zu akzeptieren.

Und überhaupt! Den Lehrern in den inklusiven und exklusiven Schulen, den Behörden und den Gremien in der Politik müsste man auf die Pelle rücken. Mit Verlaub. Ich befürchte, dass die wenigsten von ihnen die kobinet Nachrichten lesen. Und wenn doch, dann heimlich. Aber wenn der Berg nicht zum Propheten kommt…

Sonst schauen wir in den nächsten Jahren um diese Zeit wieder enttäuscht auf den leeren behindertenpolitischen Gabentisch und wundern uns, dass unser Inklusions-Wunschzettel so wenig Beachtung gefunden hat.

Stephan Laux, zwischen den Jahren 2024 – 2025