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Berlin (kobinet) Als kleines Mädchen stellte ich mir manchmal vor, wie es wäre, eine Fernsehmoderatorin zu sein. Ich bestaunte die Frauen auf dem Bildschirm, die so versiert auf ihr Blatt und mir dann wieder direkt ins Gesicht blickten. Die Erwachsenen sagten zu mir, dass man für einen solchen Beruf „gute“ Augen bräuchte. Ich war bereits hochgradig sehbehindert und würde zukünftig erblinden. So vergaß ich diesen Kindheitswunsch für eine sehr lange Zeit. Heute bereitet es mir großes Vergnügen, dem kleinen Mädchen von damals „High Five“ zu geben, denn viele Jahre später moderierte ich als blinde TV-Frau meine eigenen Fernsehformate.
Was ich vermisste: Ein Rollenmodell „Blinde Fernsehmoderatorin“
Was ich vermisste, als ich begann vor der Kamera zu arbeiten, war eine blinde Kollegin im deutschen Fernsehen, ein weibliches Rollenmodell, von dem ich lernen konnte. Ich hätte sie gern gefragt: „Wie machst du das mit deiner Garderobe, deinen Maskenbildnerinnen und Dreh-Teams, mit der Recherche optischer Inhalte und deinen Moderationskarten? Kurz vor meiner Erblindung hatte ich in einem Dokumentarfilm eine charismatische blinde Nachrichtensprecherin gesehen, die fürs spanische Fernsehen arbeitete, ein Bild, was sich in meine Netzhäute brannte. Warum fand ich das nicht in Deutschland? Obwohl ich gerade mein Augenlicht verlor, blieb ich in engem Dialog mit dem Sehen und der Sichtbarkeit. Bilderwelten faszinierten und schmerzten mich zugleich. Ich entwickelte eigene Tricks und Kniffe, um mich darin zu orientieren und um damit arbeiten zu können. Für blinde Fernsehjournalistinnen gab es kein Studienmaterial und keine adäquaten Hilfsmittel, weil man natürlich davon ausging, dass Fernsehen nur Sehende machen. Aber mein Credo war stets: Fernsehen und Nichtsehen widersprechen sich nicht!
In meinem Talk-Format „SonntagsFragen“, welches ich insgesamt 10 Jahre für MDR-„Selbstbestimmt!“ moderieren durfte, interviewte ich über 90 prominente Gesprächsgäste aus Film und Fernsehen, Sport und Politik, Kultur und Musik. Ich bekam neben der Magazinfassung sogar einen Sendeplatz für ein eigenständiges Format. Später sprach ich dann in meiner MDR-Kolumne innerhalb unserer Sendung „Mit anderen Augen“ über Themen, die mich rund um Inklusion und Teilhabe, Barrierefreiheit und Selbstbestimmung bewegten. Meine Talk- und Kolumnenformate wurden insgesamt 14 Jahre auch auf vielen anderen Programmen der ARD-Senderfamilie übertragen. Ich dachte damals, dass wir es geschafft hätten und blinde Menschen nun viel häufiger als Moderator*innen oder Schauspieler*innen im Fernsehen zu sehen sein würden. Ich ahnte nicht, wie ich mich geirrt hatte.
Mehr Blinde beruflich beim Fernsehen, wie ich mich geirrt hatte!
Anfangs sah ich mich nicht als Journalistin, denn ich hatte mich für das Studium der Sozialpädagogik entschieden und bereits prägende Jahre in diesem Beruf gearbeitet. Ich hatte ein überwiegend komisches Bild von Journalist*innen, da sie ein überwiegend komisches Bild von mir hatten. Im Rahmen meiner Moderatorinnenrolle beim Fernsehen wurde es mir jedoch immer wichtiger, etwas gegen Ableismus in der Medienlandschaft zu tun. Ich qualifizierte mich stetig journalistisch weiter und fragte mich zunehmend, warum es so wenige von uns nicht nur vor der Kamera, sondern auch hinter den Kulissen gab. Auch wir wollten uns zu gesellschaftspolitischen Belangen äußern und zu unseren Themen sollte schon gar nicht ohne uns über uns gesprochen werden. Aber wie kam ich nun von der Sozialpädagogik zum Fernsehen?
Das Fernsehen war zu Gast in der Einrichtung, für die ich damals als Sozialpädagogin im Bereich der Öffentlichkeits- und Rehabilitationsarbeit tätig war. Ursprünglich sollte eine Langzeitdoku zur Rehabilitation blinder Menschen entstehen. Dann kam aber alles anders. Das Team wurde auch in mein Büro geschickt. Ich hatte als erblindete junge Frau wohl einen für den Zeitgeist relevanten Blick auf die Dinge und durch meinen Gothic-Style einen selbstbestimmten Look. Außerdem hatte ich bereits meine ersten beiden Bücher veröffentlicht: eines über die Straßenpunk- und Drogenszene meiner Heimatstadt und eines über mein Erblinden als junge Frau. Das veranlasste die Fernsehmenschen spontan dazu, die Kamera anzuschmeißen und einen Probedreh mit mir zu machen. Kurz darauf begleitete mich die Sendung „Selbstbestimmt!“ dann für ein erstes Portrait in Beruf und Alltag und kam sogar mit aufs Wave-Gotik-Treffen. Danach erhielt ich die Anfrage der Redaktion, ob ich Lust hätte, prominenten Menschen aus meiner Sicht als junge Autorin unkonventionelle Fragen zu stellen.
„Mit Menschen arbeiten kann ich und Promis sind auch nur Menschen“
Mein erster Gedanke war: „Mit Menschen arbeiten kann ich, das ist ja mein Beruf. Promis sind auch nur Menschen“. Dann ging es zum Casting ins damalige „Hier ab 4“-Studio nach Leipzig. Das war aufregend, denn das Studio kannte ich selbst nur als Zuschauerin aus dem Nachmittagsfernsehen. Ich wurde dann tatsächlich für das geplante Format genommen, die „SonntagsFragen“ standen und wir drehten die ersten beiden Piloten mit Enie van de Meiklokjes in Berlin und Reinhold Messner in Süd Tirol.
Es gehörte zum Konzept der Sendung, dass ich für meine Looks selbst verantwortlich war und eben gerade als blinde Frau zeigte, dass ich einen selbstbestimmten Stil lebte. Das bedeutete, dass ich mich, ohne prüfend in den Spiegel schauen zu können, immer wieder eigenen Kleiderschrankfragen stellte. Ich kam fernsehfertig angezogen zum Drehort und wenn wir mehrere Themen produzierten, hatte ich zwei oder drei Outfits dabei, die auf den Punkt sein mussten. Das war aufwändig für mich, denn ich plante das alles eigenständig und stellte mir im Kopf vor, was wie vor der Kamera wirken könnte. Ein Fauxpas passierte mir nur einmal, als ich in der Eile zwei verschiedenfarbige High Heels einpackte, die sich auf den ersten Griff relativ gleich anfühlten. Ein kleiner Schmerz ist, dass mich das Publikum im Laufe der Jahre erwachsener werden sah, während ich meine Beiträge ja selbst nie anschauen konnte. Das bedeutete auch Kontrollverlust. Sollte ich irgendwann wieder sehen können, wäre ich sicher schwer überrascht, wie sich meine Arbeit visuell darstellte. Schade fand ich auch, dass viele davon ausgingen, dass das Fernsehen mich einkleidete und mir dieses Thema vollkommen abgenommen wurde. Aber das ging mir auch bei inhaltlichen Aspekten so und ich musste manchmal erklären, dass ich die Interviews selbstständig ausarbeitete und dann der Redaktion schickte, nicht umgekehrt.
Berührungsängste und Vorurteile gegenüber behinderten TV-Professionals
Es gibt noch reichlich Berührungsängste und Vorurteile, auch im Fernsehbetrieb selbst. Manche Kolleg*innen fremdelten auch bis zum Schluss mit meiner Behinderung. Das liegt auch daran, dass in Fernsehredaktionen zu wenige Menschen mit Behinderungen arbeiten und noch viel Bewusstseinsbildung nötig ist.
Zu meinen Visagistinnen hatte ich einen engen Dialog. Make-up und Haare stimmten wir passend zu meinen Looks ab. Manchmal hatte ich Freude an diesem optischen Aufwand, hielt er mich doch in Verbindung mit der sehenden Welt, manchmal wurde er mir zur Last, ging es mir doch um den Inhalt. Und warum mussten Moderatorinnen sich überhaupt so viele Gedanken um Ihre Optik machen, sogar oder gerade ich als Blinde? Eine intensive Zeit in meinem Leben ging es mir extrem darum zu zeigen, dass mir meine Optik nicht egal ist, nur weil ich nicht sehen kann. Diese Hintergrundprogramme liefen bei mir immer mit. Und natürlich kann es dir in dieser Branche passieren, dass du mit Anfang 40 von einer Kollegin ersetzt wirst, die Anfang 20 ist, egal wieviel Mühe du dir gibst. Vielleicht sind solche Mechanismen beim Thema Behinderung sogar noch drastischer, denn die Frauenbewegung hat den Aspekt Behinderung lange nicht mitgedacht.
Ich wehrte mich anfangs dagegen, mich mit Blindenklischees wie einer dunklen Sonnenbrille im Fernsehen zu zeigen, besonders, wenn es andere von mir erwarteten. Die Idee, eine „Blindenbrille“ aufzusetzen, wurde immer mal wieder an mich herangetragen, um dem Publikum besser vermitteln zu können, dass ich nicht sehen kann. Manche Zuschauer*innen verstanden nicht, dass ich eine blinde Moderatorin bin und wir überlegten immer wieder, wie wir es kenntlich machen könnten, um Irritationen zu vermeiden. Inzwischen trage ich die Brille aus eigener Entscheidung öffentlich sehr selbstbestimmt, da sie meine Augen entspannt. Das war jedoch ein Prozess und ich würde sie für andere weder auf- noch absetzen, denn entscheidend ist, womit ich mich aktuell sicher und wohlfühle. Übergriffig fand ich den Anruf einer Zuschauerin beim Publikumsservice. Sie bat um einen Rückruf, weil sie sich an meinen Augen störte. Sie trug mir spezielle Übungen auf, die meine Blindheit reduzieren und meinen Blick wieder in Ordnung bringen sollten.
Vertrautwerden mit dem beruflichen Kamera-Alltag und seinen Herausforderungen
Herausfordernd waren für mich zu optisch gedachte Ideen, die ich zwar immer gern ausprobierte, die aber oft blind nicht funktionierten. Hier mussten meine Teams und ich experimentieren, um herauszufinden, was für eine blinde Moderatorin authentisch ist. Für unser erstes Intro sollte ich z.B. die große Freitreppe auf dem Uniplatz in Halle quer entlang balancieren und dabei lächelnd moderieren. Das sah imposant aus, ich fühlte mich aber unsicher wie auf einem Schwebebalken. Einmal sollte ich mit meinen Moderationskarten aus dem gläsernen Fahrstuhl des MDR-Hochhauses herauskommen und auf die Kamera zulaufen. Der Fahrstuhl hielt aber in allen möglichen Etagen ohne akustische Ansage, sodass ich moderierend auf kein Kamera-Team, aber auf verschiedene verstörte Menschengruppen zulief. In einem Möbelhaus suchte sich das Team die Glasabteilung mit vielen zerbrechlichen Deko-Objekten als Drehort aus. Mit dem Stock durch Glasdeko pendeln, dabei moderieren und lächeln und den „Blickkontakt“ zum Kameramann nicht verlieren. Was wird wohl schiefgegangen sein? Inzwischen bin ich etwa genauso lange blind, wie ich sehen konnte. Damals war ich frisch erblindet und entsprach innerlich oft eher der Sehenden in mir, als der Blinden. Jetzt ist es umgekehrt. Sehendes Verhalten künstlich zu imitieren ist mir fremd geworden. Das Fixieren der Kamera ist z.B. ohne Sehrest auf Dauer extrem mühsam, weil es unnatürlich für blinde Augen ist. Mir wurde von dieser Konzentration regelrecht übel. Wir lernten, dass die Kameras meinen Blick einfangen müssen, nicht mein Blick die Kameras. Mein Team gewöhnte sich ab, mir gegenüber mit Handzeichen zu kommunizieren und verbalisierte für mich relevante Abläufe.
Manchmal nahmen meine prominenten Gäste hilfesuchend Augenkontakt zum Kamera-Team auf, statt zu mir. Sie mussten sich erst daran gewöhnen, mit einer blinden Moderatorin zu sprechen, die ihre Mimik und Gestik nicht sah. Der größte Teil meiner Gesprächspartner*innen konnte sich aber sehr gut in die Interview-Situation fallen lassen. Oft wurde mir sogar rückgemeldet, dass meine Art dazu einlud, sich auch tiefsinnigeren Fragen zu stellen. Unsere Sendung hatte damals noch keine Audiodeskription, also keine Hörbeschreibung für blinde Menschen. Ich bat meine Gäste in meinen „SonntagsFragen“ deshalb darum, sich selbst optisch zu beschreiben. Das fiel sogar Menschen, die sehr visuell arbeiteten, oft nicht leicht. Ich war manchmal ein bisschen traurig, wenn so eine Antwort kam wie: „Ich habe zwei Arme, zwei Beine und einen Kopf“. Ob man einen sehenden Menschen nach seinem Aussehen fragen darf, wird in der Blindenszene kontrovers diskutiert. Ich fand die Frage für meine Medienarbeit wichtig, denn gerade bei Personen des öffentlichen Lebens fühlte ich ein Informationsdefizit mangels optischer Beschreibung. Manchmal kannte ich Prominente auch noch aus meiner sehenden Zeit und sie hatten sich inzwischen visuell extrem verändert. Hier wollte ich nicht auf etwas Bezug nehmen, was gar nicht mehr dem aktuellen Bild entsprach. Ironische Antworten irritierten mich, weil ich sie für bare Münze nahm. Mein verbales Herantasten an meinen Gesprächsgast und meine etwas anderen Fragen waren bewusster Teil des Konzepts. Manchmal boten mir Personen ihr Gesicht zum Ertasten an. Dieses Angebot nehme ich allerdings wenn überhaupt nur in sehr vertrauten Situationen an und nicht in öffentlichen Kontexten. Meine prominenten Gäste besuchte ich an ihren Wohn- oder Wirkstätten, später drehten wir im MDR-Hochhaus in Leipzig. Im Vorfeld hatte ich oft viel Bild- und Videomaterial für meine Interviews zu „sichten“. Die Recherche war gerade in den Anfangsjahren noch wenig barrierefrei. Damals konnte ich mit meiner Hilfsmitteltechnik auf viele Webseiten nur eingeschränkt zugreifen. Filme und Bücher meiner Gäste, die mir zugearbeitet wurden, lagen nicht in blindengerechten Formaten vor. Mit meinen Zuschauer*innen hatte ich stets eine enge Verbindung, ich bekam Mails und Anrufe, die mir viel bedeuteten und ich wurde auch regelmäßig auf der Straße angesprochen, was mich sehr berührte. Gerade mit meiner blinden Community kämpfte ich lange um Audiodeskription, da ich nicht nur Medienschaffende, sondern selbst immer auch Medienschauende war.
Ausblick: „Mich als blinde TV-Frau weniger einsam fühlen“
Menschen mit Behinderungen sind in der Medienlandschaft zwar sichtbarer geworden, besonders in den sozialen Medien, allerdings erlebe ich noch immer zu wenige blinde Personen vor Film- und Fernsehkameras. Blindheit in Serien wird fast ausschließlich von sehenden Darsteller*innen nachgespielt und „echte“ blinde Menschen sieht man allenfalls als Talk-Show-Gäste und nicht als Moderator*innen in eigenen Formaten. Um mich als blinde TV-Frau weniger einsam zu fühlen, begebe ich mich nun außerhalb Deutschlands auf die Suche nach blinden Menschen, die vor der Kamera arbeiten oder gearbeitet haben. Bei meiner Recherche ist mir auch wieder die spanische Nachrichtensprecherin eingefallen, die sich kurz vor meiner Erblindung in meine Netzhäute gebrannt hatte. Ihren Namen habe ich bereits herausgefunden: Nuria del Saz. Ein blinder Freund von mir lernt gerade Spanisch und kann mir bei der Kontaktaufnahme helfen. Mir brennen schon unzählige Fragen an sie unter den Nägeln. Ich kann nur hoffen, dass Frauen wie Nuria und ich in ein paar Jahren keine Aliens mehr sind.