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Barrierefreier Weihnachtsmarkt – ein Märchen von Glühwein, Würstchen und Hinterteilen

Menschen stehen dicht gedrängt vor einem Weihnachtsmarktstand mit hängenden Lebkuchenherzen, Schwarz-Weiß-Aufnahme.
Alles hat Vor- und Hinterteile
Foto: Ralph Milewski

Fladungen (kobinet) Es ist Weihnachtszeit, und der Duft von Glühwein und gebrannten Mandeln liegt in der Luft. Die Menschen strömen auf die Märkte, schieben sich durch das Gedränge und genießen die festliche Atmosphäre. Doch aus der Perspektive eines Rollstuhlfahrers bietet sich ein ganz anderes Bild: Überall Hinterteile. Ein wahres Panorama der unteren Rückenpartien, die sich mal in Bewegung, mal im Stillstand vor einem aufbauen.

Am Stand für Glühwein gibt es, wie könnte es anders sein, ausschließlich Stehtische. Bratwurst gibt es nur, wenn man mit einer Wolke Rauch zufrieden ist – die eigentliche Wurst bleibt in unerreichbaren Höhen. Und die gebrannten Mandeln? Man kann sie zwar riechen, aber sehen? Fehlanzeige. Die Thekenkanten ragen wie die Gipfel eines Hochgebirges, und wenn man Glück hat, erspäht man vielleicht die Spitze – aber nur, wenn gerade niemand davorsteht. Die Lebkuchenherzen hängen irgendwo an der Decke, als wollten sie mit ihrer Unerreichbarkeit den ultimativen Weihnachtsfrust symbolisieren.

Da kommen Kindheitserinnerungen hoch. Genau diese Perspektive hatte man schon mal – damals, mit 5 Jahren, als man fest an Mamas Hand hing, mit eiskalten Füßen und einer Welt, die scheinbar nur für Große gemacht war. Kaum hielt man damals eine Bratwurst in der Hand, landete sie nach dem ersten Rempler im dreckigen Schneematsch. Heute ist man wieder dort, nur dass Mama nicht mehr da ist, um die nächste Bratwurst zu holen.

Aber es geht noch weiter. Die „barrierefreien“ Kabelbrücken, die die unzähligen Stromleitungen bedecken, sind ein Kapitel für sich. Diese angeblich rollstuhlgerechten Konstruktionen verlangen fast akrobatische Fähigkeiten – ohne fremde Hilfe kaum zu überwinden. Barrierefreiheit? Eher ein Hindernisparcours mit weihnachtlichem Flair.

„It’s a kind of magic“ – Unsichtbar im Gedränge

Als Rollstuhlfahrer hat man auf dem Weihnachtsmarkt zumindest das zweifelhafte Privileg der Unsichtbarkeit.

Während sich andere mit den Ellbogen Platz verschaffen, bleibt man unsichtbar. Wer im Rollstuhl im Gedränge steht, wird schlichtweg übersehen. Während alle anderen sich durch die Reihen schieben, bleibt man selbst wie festgeklebt. Drehen? Unmöglich. Rückwärtsfahren? Keine Chance. Schließlich steht jemand hinter einem, vor einem, neben einem – und alle sind zu beschäftigt, um die eigene Anwesenheit überhaupt wahrzunehmen.

Der Verkäuferin fällt man, wenn überhaupt, erst auf, wenn man laut „Hallo!“ ruft. Wobei einem eher nach „Hilfe!“ zumute ist.

Man könnte fast meinen, die Barrierefreiheit sei hier eine feine Ironie. Während man die Aussicht von unten genießt, stellt sich die Frage: Wer kommt eigentlich auf die Idee, dass ein Weihnachtsmarkt für Rollstuhlfahrer barrierefrei sein könnte?

Frohe Adventszeit allen, die stehen können – und für den Rest: Viel Spaß beim Navigieren durch die Realität. Vielleicht bringt das Christkind ja nächstes Jahr barrierefreie Würstchen. Oder wenigstens einen Glühweinstand in Augenhöhe. Bis dahin bleibt nur die Aussicht auf die Parade der Hinterteile.

PS: Übrigens, Rückenschmerzen sind für Rollstuhlfahrer keine Seltenheit – das ständige Sitzen, falsche Sitzpositionen oder die Belastung beim Antreiben können den Rücken enorm strapazieren.

Lesermeinungen

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Uwe Heineker
15.12.2024 18:36

Genau das habe ich als Rollstuhlfahrer heute auch erlebt – nur noch viel schlimmer: es kamen noch mächtige Kopfsteinpflaster des https://www.weihnachtsmarkt-deutschland.de/weihnachtsmarkt-neu-anspach-hessenpark.html hinzu, die mir mir fast ne Gehirnerschütterung und bei meiner Frau, die mich im Rollstuhl schob, Parkinson verursachte ….

Zuletzt bearbeitet am 1 Monat zuvor von Uwe Heineker