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Die Notwendigkeit, unbequem zu bleiben

Ausschnitt einer Hausfassade mit bröckelndem Putz und Rissen, Schwarz-Weiß-Aufnahme.
Inklusion - Hinter der Fassade
Foto: Ralph Milewski

Fladungen (kobinet) Inklusion – ein Begriff, der Fortschritt, Gerechtigkeit und Menschlichkeit verspricht. Er steht für eine Gesellschaft, in der niemand ausgeschlossen wird, in der Barrieren abgebaut und Gleichberechtigung geschaffen werden. Doch für diejenigen, die echte Inklusion einfordern, ist die Realität oft ernüchternd. Statt als Verbündete wahrgenommen zu werden, gelten sie häufig als Unruhestifter – Kritiker, die vermeintlich das Engagement anderer torpedieren. Dabei ist Kritik an unzureichenden Maßnahmen keine Ablehnung von Fortschritt, sondern ein entscheidender Schritt, um Inklusion aus der Sackgasse symbolischer Politik zu befreien.

Die Rolle der Kritiker*innen

Die Forderung nach echter Inklusion bedeutet, unbequem zu bleiben. Kritiker wie wir weisen auf Missstände hin, decken Schwächen auf und stellen scheinbar harmlose Praktiken infrage. Das ist nicht destruktiv, sondern dringend notwendig, um zu verhindern, dass Inklusion zu einem leeren Schlagwort verkommt.

  • Hinter die Kulissen blicken: Ein „inklusives“ Theaterprojekt oder eine „inklusive“ Ballschule mögen Fortschritte markieren. Doch wenn gleichzeitig reguläre Angebote weiterhin unzugänglich bleiben, zeigen sie, dass wir noch weit vom Ziel entfernt sind.
  • Nicht auf halbem Weg stehenbleiben: Übergangslösungen wie Sonderprojekte sind oft ein Anfang. Doch wenn sie zur Dauerlösung werden, zementieren sie Barrieren, anstatt sie abzubauen. Wir fordern, dass solche Maßnahmen tatsächlich den Übergang zu echter Inklusion ebnen.
  • Den Finger in die Wunde legen: Symbolische Aktionen reichen nicht aus. Es braucht den Mut, die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität aufzuzeigen. Nur so können wir echten Wandel bewirken.

Warum Kritik unbequem ist – und sein muss

Unsere Kritik wird oft als störend empfunden. Wir stoßen auf Widerstand und hören Sätze wie:

  • „Seid doch zufrieden, dass überhaupt etwas passiert.“ Doch Engagement allein reicht nicht. Es zählt, ob Maßnahmen nachhaltig und wirklich inklusiv sind oder lediglich den Anschein erwecken.
  • „Ihr macht alles schlecht.“ Unser Ziel ist es nicht, bestehende Ansätze zu zerstören, sondern sie zu verbessern. Gute Ansätze verdienen es, weiterentwickelt zu werden – nicht als Endpunkt, sondern als Startpunkt.
  • „Man kann es euch nie recht machen.“ Inklusion ist ein fortlaufender Prozess, keine abgeschlossene Aufgabe. Offenheit für Kritik und Bereitschaft zur Verbesserung sind essenziell.

Gefahr des Selbstbetrugs: Sonderprojekte als Scheinlösung

Sonderprojekte und separierende Maßnahmen schaffen oft eine Illusion von Inklusion, die tatsächliche Fortschritte verhindert:

  • Sichtbarkeit ohne Teilhabe: Menschen mit Behinderungen werden gezeigt, aber nicht einbezogen. Sie bleiben in separaten Räumen statt in die Mitte der Gesellschaft eingebunden.
  • Symbolik ohne Substanz: Ein einzelnes „inklusives“ Event löst keine strukturellen Barrieren in Bildung, Arbeitswelt oder Kultur.
  • Selbstzufriedenheit statt Wandel: Die Illusion, genug getan zu haben, ist der größte Feind echter Inklusion. Sonderprojekte dürfen nicht als Endziel akzeptiert werden.

Unbequem bleiben: Warum Tacheles nötig ist

Die Verteidigung von Sonderlösungen und separierenden Ansätzen mag bequem erscheinen, aber sie führt nicht zu echter Inklusion. Tacheles zu reden ist unbequem – für andere und für uns selbst. Doch es ist notwendig, um:

  • Verwässerte Begriffe zu entlarven: Inklusion bedeutet Barrierenabbau und Teilhabe, nicht die Schaffung neuer separater Strukturen. Sonderprojekte dürfen nicht zur Normalität werden.
  • Systeme zu hinterfragen: Anstatt sich mit kleinen Fortschritten zufriedenzugeben, müssen wir die grundlegenden Strukturen analysieren, die Ausgrenzung ermöglichen.
  • Klarheit zu schaffen: Vielfalt in Meinungen und Ansätzen darf kein Selbstzweck sein. Vielfalt, die den Stillstand zementiert, ist nicht die Lösung, sondern das Problem.

Die Stärke der Kritik: Fortschritt statt Harmonie

Inklusion erfordert klare Ziele und entschlossenes Handeln. Unsere Kritik ist nicht dogmatisch, sondern radikal ehrlich. Sie stellt unbequeme Fragen, weil sie weiß, dass wir mehr erreichen können – und müssen.

Diejenigen, die Tacheles reden, sind nicht gegen Fortschritt, sondern dessen treibende Kraft. Ohne sie würde die Illusion von Inklusion weiterbestehen, während grundlegende Barrieren bestehen bleiben. Kritik ist unbequem, ja – aber sie ist der einzige Weg, um echte Veränderung zu bewirken.

Fazit:

Mit Kuscheln kommt man nicht weiter. Die Herausforderung besteht darin, mutig zu sein und sich klar zu positionieren, wenn es um Inklusionsmaßnahmen geht. Wir sind den Menschen, für die wir schreiben und handeln, verpflichtet, über symbolische Akte hinauszugehen und zu hinterfragen, ob diese Maßnahmen tatsächlich zu einer inklusiveren Gesellschaft führen. Nur so können wir unseren Beitrag dazu leisten, dass Inklusion kein leeres Versprechen bleibt, sondern zu einer echten Veränderung wird.

Sonderprojekte und Sondereinrichtungen können wichtige erste Schritte sein, um Teilhabe zu ermöglichen, doch sie dürfen niemals zur Normalität oder zum Endziel werden. Wenn wir echte Inklusion wollen, müssen wir Strukturen schaffen, die Barrieren abbauen und Menschen in die Mitte der Gesellschaft bringen – nicht sie in separaten Räumen festhalten. Symbolische Maßnahmen, die als „Inklusion“ verkauft werden, laufen Gefahr, die grundlegenden Probleme zu verschleiern und die Dringlichkeit echter Veränderungen zu mindern.

Der Weg zur inklusiven Gesellschaft erfordert Mut, Klarheit und den Willen, sich mit unbequemen Wahrheiten auseinanderzusetzen. Sonderlösungen dürfen nur Übergangslösungen sein – der Fokus muss auf nachhaltigen und strukturellen Veränderungen liegen, die allen Menschen die gleichen Chancen und die volle Teilhabe ermöglichen. Es ist Zeit, von Sonderwegen abzurücken und den gemeinsamen Weg in die Mitte der Gesellschaft konsequent zu verfolgen.