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Das Weihnachtsfest gestern – und heute?

Porträt mit Lesebrille
Walter Beutler
Foto: Walter Beutler

Berlin (kobinet) Die berührendsten Erinnerungen an Weihnachten stammen aus meiner Kindheit: Glitzernder Tand am Baum, der Duft nach Kerzenlicht und abgebrannten Streichhölzern im Weihnachtszimmer, nach Nelken und Zimt. Die Geschenke unter dem Baum strahlten einen Zauber aus, der später der Gier zum Opfer fiel. Wir vier Kinder und Papa und Mama waren um das strahlende Tännchen versammelt.

Die Feier folgte einem festen Protokoll, orchestriert von unserer Mutter:

  1. Gesang: Wir Kinder sangen aus voller Kehle und mit falscher Stimme, so dass eine herzerweichende Katzenmusik erklang, von einer Kleinkinderschar mit einigem Enthusiasmus vorgetragen. Später, mit zunehmendem Alter, waren wir von der eigenen Stimme peinlich berührt, so dass wir nur zaghaft mitsangen, wenn unser Vater «Oh du fröhliche» anstimmte. Auch er nicht grad ein Stimmwunder. Eisern hingegen Frau Mama, die auch hier das Heft nicht aus der Hand gab.
  2. Weihnachtsgeschichte: In jungen Jahren empörte uns die Kaltherzigkeit der biblischen Menschen gegenüber der werdenden Mutter, die Jesus zur Welt bringen wollte. Wir begriffen jetzt, dass Menschen herzlos sein können, ja, dass das offenbar ein verbreitetes Phänomen ist. Umso sympathischer die Hirten – und der Esel sowieso. Später, nachdem wir dieselbe Weihnachtsgeschichte immer und immer wieder gehört hatten, mal in dieser, mal in jener Version, langweilten wir uns jeweils zu Tode. Und als wir auf die Pubertät zusteuerten, gähnten wir demonstrativ.
  3. Dann wieder Gesang: Siehe oben.
  4. Schließlich die Bescherung: Zunächst eine Äußerung reinster Liebe und Zuwendung, vermischt vielleicht bei den Eltern mit familiärem Sinn fürs Praktische, wenn sie uns eine neue Hose schenkten oder einen mit Namen versehenen Serviettenring. Später verflog auch hier der Zauber kindlicher Unschuld. Die Bescherung wandelte sich immer mehr in eine Päckchenschlacht, bei der die Geschenkpapierfetzen flogen. Wir Kinder waren bei diesem Programmpunkt einige Jahre lang kaum mehr im Zaum zu halten, bis wir für Geduld und Taktgefühl wieder zugänglich wurden.

Und heute? Abgesehen davon, dass es die Familien zusammenbringt – im sogenannt trauten Kreise – scheint mir das Weihnachtsfest weitgehend sinnentleert, pervertiert sogar, indem das Fest der Liebe in ein Fest des Konsums verwandelt wurde, getrieben von einem freien, aber unersättlichen Markt, der zum Jahresende seine Bilanz aufhübschen will.
Man müsste dem Fest einen neuen Sinn geben. Vielleicht so: In der dunkelsten Zeit des Jahres erscheint ein helles Licht, kein äusserlich gleissendes, sondern ein sanft leuchtendes, innerliches Licht, das man durchaus Liebe nennen darf. Und diese Liebe ist nur echt, wenn es tätige Liebe ist und weit über den trauten Kreis hinausgeht, vielleicht sich explizit dem Fremden zuwendet. Sie ist befreit vom religiösen Firlefanz, wurzelt aber in einer spirituellen Tiefe, die universell ist und aus der letztlich alle Religionen schöpfen. Das wäre ein Licht, das sich weit über die Weihnachtszimmer hinaus ausbreitet, das vor keiner Grenze, weder einer sozialen noch einer politischen Grenze haltmacht. Ein Licht in einer an Dunkelheit nicht armen Zeit.