Fladungen (kobinet) In der jüngsten Diskussion um die Ausstellung „Drei, Zwei, Eins“ im Schloss Charlottenburg, die in Kooperation mit den Special Olympics durchgeführt wurde, wurde mir erneut bewusst, wie komplex und widersprüchlich der Begriff „Inklusion“ in der Kunst und der Gesellschaft gehandhabt wird. Die Ausstellung stellt Athlet:innen mit Trisomie 21 in den Mittelpunkt und betont, dass ihre Arbeit einen Beitrag zur Aufklärung und zum Abbau von Berührungsängsten leisten soll. Doch wie immer wieder betont, liegt für mich der Haken in der Präsentation: Was hier als Inklusion bezeichnet wird, hat nichts mit echter Teilhabe zu tun.
„Die Gesellschaft ist noch nicht so weit“
Es wird argumentiert, dass Barrieren durch das Zeigen von Menschen mit Trisomie 21 in einem separaten Format abgebaut werden könnten. Doch wie soll das gelingen, wenn Menschen mit Behinderungen ständig in einem isolierten Rahmen gezeigt werden? Das Format dieser Ausstellung verstärkt genau das, was Inklusion ausmacht: die gleichwertige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Das Festhalten an dieser Trennung, die stolz als Kooperation mit den Special Olympics verkauft wird, verdeutlicht das Dilemma. Inklusion kann nicht durch die Schaffung separater Räume für Menschen mit Behinderungen erreicht werden – sie muss in der Gesellschaft selbst stattfinden.
Die Problematik der „symbolischen Inklusion“
Diese Art von Inklusion ist symbolisch und verstärkt eher die Andersartigkeit, anstatt die Menschen als gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft zu präsentieren. Menschen mit Behinderungen werden gezeigt, aber nicht als Teil der Vielfalt der Gesellschaft. Wahre Inklusion bedeutet, sie in einem gemeinsamen Kontext zu zeigen, der ihre Individualität und nicht ihre Behinderung betont.
„Nicht ohne Grund sind wir stolz, dass wir für das Projekt mit den Special Olympics kooperieren durften, einer der größten inklusiven Organisationen überhaupt.“ – Wer diese Meinung unreflektiert vertritt, dem muss man es nachsehen, dass er das eigene Projekt nicht in Frage stellt.
Die Special Olympics, trotz ihres sozialen Beitrags, bleiben eine Veranstaltung, die die Trennung von Menschen mit Behinderungen vom Rest der Gesellschaft aufrechterhält. Sie bieten eine Bühne für Menschen mit Behinderungen, aber sie fördern keine Integration.
Denn genau hier liegt das Dilemma: Inklusion wird oft als etwas betrachtet, das durch die Schaffung separater Formate und Veranstaltungen für Menschen mit Behinderungen erreicht werden kann. Doch diese Annahme verfehlt den eigentlichen Kern der Inklusion, die in der tatsächlichen gleichwertigen Teilhabe aller Menschen an der Gesellschaft besteht – nicht in ihrer Isolierung.
Zustimmung aus der „Inklusionsblase“
Ein weiteres Problem ist die Zustimmung innerhalb der „Inklusionsblase“. Es wird oft auf positive Rückmeldungen von bereits „aufgeklärten“ Kreisen verwiesen – Menschen, die sich intensiv mit dem Thema Inklusion befassen. Doch Zustimmung innerhalb dieser Kreise ist kein Maßstab für den Erfolg eines Projekts, das die breitere Gesellschaft erreichen soll. Es ist entscheidend, dass auch Menschen, die bisher wenig Berührungspunkte mit dem Thema hatten, in den Dialog einbezogen werden.
Es wurde betont, dass es bei der Ausstellung auch darum gehe, Fragen zu stellen und unterschiedliche Reaktionen zu provozieren – was grundsätzlich positiv ist. Doch die Frage bleibt: Warum müssen diese Menschen als separate Gruppe gezeigt werden, um gehört und gesehen zu werden? Die künstlerische Auseinandersetzung mit Inklusion sollte darauf abzielen, diese Trennung zu überwinden, nicht sie zu zementieren.
Die wahre Herausforderung der Inklusion
Es ist die Kunst, die gesellschaftliche Veränderung anstoßen kann – aber diese Veränderung muss von innen heraus geschehen. Solange Menschen mit Behinderungen in Sonderformate gepackt werden, bleibt wahre Inklusion ein ferner Traum. Es reicht nicht, mit dem Finger auf die bestehende Gesellschaft zu zeigen, die angeblich „noch nicht so weit ist“. Wir müssen uns in der Kunst und in der Gesellschaft fragen, wie wir Barrieren aktiv abbauen und Räume für echte Teilhabe schaffen können – und zwar nicht für die „Gesellschaft“, sondern innerhalb der Gesellschaft, als integralen Bestandteil davon.
Fazit: Eine Gesellschaft für alle
Es ist an der Zeit, dass Menschen mit Behinderungen nicht nur in speziellen Formaten sichtbar werden, sondern als Teil der gesellschaftlichen Realität. Wahre Inklusion bedeutet, Menschen gleichwertig zu behandeln und ihre Teilhabe im allgemeinen gesellschaftlichen Raum zu fördern. In einer idealen Welt wären solche Ausstellungen nicht nötig, da Menschen mit Behinderungen selbstverständlich als gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft betrachtet werden. Doch bis dahin bleibt es unsere Aufgabe, in der Kunst und darüber hinaus diese Grenzen zu hinterfragen.
Ein weiterer Punkt ist der Name ‚Special Olympics‘ selbst. Das Wort ‚special‘ ist in diesem Kontext besonders aufschlussreich, da es ähnliche Konnotationen wie ‚besonders‘, ‚anders‘, ‚nicht die Norm‘ oder ‚exklusiv‘, ‚ungewöhnlich‘, ‚nicht gewöhnlich‘ trägt.
Wie kann eine Organisation, die diesen Begriff in ihrem Namen trägt, eine der größten und inklusivsten (Synonyme für inklusiv: einbeziehend, vereinigend, zusammenführend, aufnehmend, offen, gleichwertig, zugänglich, beteiligend, integrativ, allumfassend, umfassend, vielseitig, vollständig, partizipativ, gegenseitig anerkennend) Organisationen überhaupt sein?
Wenn eine Organisation sich als „inklusive“ bezeichnet, sollte sie nicht gleichzeitig mit einem Begriff wie „special“ operieren, der in vielerlei Hinsicht „ausgrenzend“ oder „besonders“ im Vergleich zu einer breiten Norm oder Gesellschaft ist. Der Begriff „special“ weist auf eine Trennung hin, was mit der Idee von echter Inklusion im Widerspruch steht. Inklusion bedeutet, Unterschiede zu akzeptieren, aber nicht zu betonen oder zu isolieren. Ein „special“ Event oder eine „special“ Organisation könnte daher die eigentliche Idee von Inklusion, die eine gleichwertige Teilnahme und Anerkennung aller Menschen beinhaltet, untergraben.
Die Diskrepanz zwischen den Begriffen „special“ und „inklusive“ führt zu einer paradoxen Situation, in der eine Organisation, die sich als „inklusive“ bezeichnet, mit einem „special“-Begriff einen ausschließenden Eindruck erweckt. Es wird also die Frage aufgeworfen, wie authentisch diese Inklusion sein kann, wenn die Trennung durch Begriffe wie „special“ weiterhin betont wird.
Ich mein ja nur, aber ich bin da kein Experte…
Hier wird der Nagel haargenau auf den Kopf getroffen und deckt sich mit eigenen Erfahrungen.
Die UN-Behindertenrechtskonvention ist den gesellschaftlichen Entwicklungen vieler Länder weiter voraus und kann somit als Husarenstück der internationalen Behindertenbewegung bezeichnet werden.
Ratifiziert – und doch ignoriert: so lässt sich Déutschlands Ende August 2023 stattgefundene Staatenprüfung zur Umsetzung des UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung zutreffend zusammenfassen – ja, so geht unser Staat mit besagtem Personenkreis um!
Nachtrag:
Es ist faszinierend, wie tief verankert die Thematik der „Berührungsängste“ in Diskussionen über Inklusion ist – und wie oft dieser Begriff als eine Art Entschuldigung dient, warum Menschen mit Behinderungen immer noch aus dem gesellschaftlichen Raum ausgeschlossen werden. „Berührungsängste“ suggeriert, dass die Gesellschaft in ihrer Begegnung mit Menschen mit Behinderungen ein ungelöstes, fast schon persönliches Problem hat – als ob es sich um eine psychologische Blockade handelt, die überwunden werden muss. Doch was passiert, wenn diese „Angst“ tatsächlich nicht mehr nur ein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Konstrukt ist, das durch Isolation und das Absehen von echter Inklusion immer weiter verstärkt wird?
Man könnte fast meinen, dass diese „Berührungsängste“ gar nicht so sehr mit den betroffenen Menschen selbst zu tun haben, sondern vielmehr mit den Strukturen, die sie vom Rest der Gesellschaft isolieren. Zunächst werden Menschen mit Behinderungen durch spezielle Veranstaltungen und Programme „abgesondert“, und wenn sich diese isolierte Darstellung als problematisch herausstellt, wird das als Beweis dafür genommen, dass die Gesellschaft „noch nicht so weit“ sei. Eine bequeme Ausrede, um den Status quo aufrechtzuerhalten, anstatt an den Strukturen zu rütteln, die solche Trennungen ermöglichen.
Es ist genau dieser Widerspruch, der mich immer wieder fasziniert: Wir schaffen Räume der „Inklusion“, die eigentlich keine sind, weil sie die Menschen nur als „anders“ und nicht als gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft darstellen. Die Special Olympics mögen aus einem guten Willen heraus organisiert werden, aber sie bleiben ein Symbol für eine getrennte Welt. Ein Angebot für Menschen mit Behinderungen, die in einem eigenen Raum gezeigt werden, aber nicht als integraler Bestandteil des allgemeinen gesellschaftlichen Lebens. In Wirklichkeit ist das ein Schritt zurück, kein Fortschritt.
Warum müssen diese Menschen in einem abgetrennten Raum gezeigt werden, um als „sichtbar“ und „anerkannt“ zu gelten? Warum können sie nicht einfach in einem normalen Kontext präsentiert werden, wo ihre Fähigkeiten, Leistungen und Individualität ohne die „Brille“ der Behinderung wahrgenommen werden? Das ist die wahre Herausforderung der Inklusion: die Vorstellung, dass diese Menschen nicht als eine „Sondergruppe“ behandelt werden, sondern als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft in allen Bereichen.
Indem wir an dieser Abgrenzung festhalten, indem wir Inklusion als etwas definieren, das durch spezielle Veranstaltungen und Projekte erreicht wird, machen wir die Barriere nicht nur sichtbar – wir verfestigen sie. Der wahre Fortschritt muss darin bestehen, diese Trennung zu überwinden und die Menschen in den gemeinsamen Raum zu integrieren, in dem jeder Mensch gleichermaßen eine Rolle spielt.
Es ist ein paradoxer Prozess: Zuerst sperren wir Menschen mit Behinderungen aus, um sie dann wieder als „besondere“ Gruppe zu zeigen und uns darüber zu wundern, dass die Gesellschaft nicht weiß, wie sie mit ihnen umgehen soll.
„Sozialpsychologischen Untersuchungen zufolge wissen 90% der Bundesbürger nicht, wie sie sich gegenüber Behinderten verhalten sollen – also sind demnach 90% der Bundesregierung verhaltensgestört“ – diesen Satz sprach ich Mitte der 1980er in Essen im Rahmen einer vereinsinternen Talkshow – stilecht neben Alfred Biolek auf einem großen Sofa sitzend – tatsächlich so aus und ist auch heute genau passend zur aktuell betriebenen Behindertenpolitik …