Berlin (kobinet) Bei einer Aktion des Bündnis Barrierefreiheit jetzt! in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Behindertenrat (DBR) gab es heute am 3. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen, Pfiffe vor den Tafeln mit den Grundgesetzartikeln in der Version von 1949 am Reichstagsufer in der Nähe des Reichstags. Die Pfiffe galten dabei nicht dem Grundgesetz, sondern dem Stillstand in der bundesdeutschen Behindertenpolitik und der konsequenten Verweigerung zum Beispiel noch für Barrierefreiheit und einen echten Gewaltschutz aktiv zu werden. Mit Hubert Hüppe von der CDU, Stephanie Aeffner von Bündnis 90/Die Grünen, Jens Beeck von der FDP und Sören Pellmann von den LINKEN waren vier Bundestagsabgeordnete gekommen, die sich der Diskussion mit den Vertreter*innen verschiedener Verbände stellten. Kritik gab es vor allem an den vertanen Chancen in dieser Legislaturperiode in Sachen Behindertenpolitik, aber auch an der aktuellen Blockadehaltung der CDU/CSU Fraktion um noch nötige Reformen fraktionsübergreifend zu beschließen.
Die scheidende Sprecherin des Deutschen Behindertenrat, Verena Bentele, die heute den Staffelstab an Hannelore Loskill weitergibt, brachte ihren Unmut und vor allem die Forderungen für eine an Barrierefreiheit und Inklusion orientierte Behindertenpolitik in ihrem Redebeitrag bei der Kundgebung zum Ausdruck. „75 Jahre Grundgesetz und 30 Jahre Grundgesetzergänzung um den Satz ‚Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden‘ haben auch unter der Ampel-Regierung kaum Fortschritte für behinderte Menschen gebracht“, kritisierte der Publizist und Aktivist H.-Günter Heiden. Im Koalitionsvertrag von 2021 sei versprochen worden, private Anbieter*innen von Waren und Dienstleistungen zur Barrierefreiheit und zu angemessenen Vorkehrungen zu verpflichten. Auch die Deutsche Bahn sollte barrierefrei werden. „Aus diesen Vorhaben ist nichts geworden“, bemängelt Behindertenaktivist Heiden. „Seit mindestens 30 Jahren werden wir vertröstet, während gleichzeitig unsere Menschenrechte durch fehlende Barrierefreiheit und damit fehlende Teilhabe tagtäglich verletzt werden.“
Prof. Dr. Sigrid legte den Schwerpunkt ihres Redebeitrags auf das Gewalthilfegesetz. Dieses könne noch von den Bundestagsabgeordneten genauso verabschiedet werden, wie die Regelungen für mehr Barrierefreiheit. „Die Abgeordneten sollen einfach nur ihren Job machen, denn dafür wurden sie gewählt und werden sie von den Steuerzahler*innen bezahlt. Die derzeitige konsequente Verweigerungshaltung vor allem vonseiten der CDU/CSU Gespräche für mögliche gemeinsame Aktivitäten zu führen und entsprechende fraktionsübergreifende Beschlüsse auf den Weg zu bringen, ist unverantwortlich und nicht nachvollziehbar“, betonte Sigrid Arnade.
Die Aktion wurde bewusst vor den Tafeln mit Texten aus dem Grundgesetz am Reichstagsufer gewählt. Denn in der Fassung der Grundgesetzartikel von 1949 ist das 1994 ins Grundgesetz mit aufgenommene Benachteiligungsverbot für behinderte Menschen in Artikel 3 mit dem Satz „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ nicht enthalten. Die Aktiven fordern, dass dieser Zusatz im Grundgesetz entsprechend sichtbar gemacht wird, denn so entstehe für die vielen Besucher*innen um den Reichstag herum der Eindruck, dass es das Benachteiligungsverbot für behinderte Menschen gar nicht im Grundgesetz gibt.