Staufen (kobinet) Freut euch! Heut ist D-Day! Disability-Day, auf deutsch B-Tag, Internationaler Tag der Behinderten. Einmal mehr nehmen wir uns an diesem 3. Dezember die Freiheit zu einem befreienden Lachen. Wenn sich sonst schon nichts bewegt in Sachen Behindertenbefreiung, soll sich wenigstens das Zwerchfell bewegen.
Katzentisch oder Küchentisch, das ist hier die Frage
Gesellschaftlich sitzen wir Behinderte am Katzentisch und eben dort hat uns die aktuelle Regierungspolitik gerade wieder einmal sitzen lassen. Darum haben führende
BehindetenvertreterInnen den diesjährigen D-Day oder B-Tag in einen behindertenpolitischen Buß-und Bet-Tag umgewidmet. Inständig, auf Knien gleichsam, beten und bitten sie, die Politik möge die Behinderten endlich anhören. Buße tun und zu ihnen an den Katzentisch kommen, welcher der Barrierefreiheit halber umbenannt wird in Küchentisch. Hört sich gleich freundlicher an, auch wenn das für den ernsten behindertenpolitischen Zweck dieser Buß-und Bet-Tagseinladung ganz unwesentlich wird.
Wäre dies hier kein Kabarett, sondern ein Spielfilm, zeigte die Kamera jetzt in Großaufnahme einen von Inkludierten einer Behindertenwerkstatt zum Frühstückstisch hübsch umdrapierten Katzentisch (in der Regieanweisung findet sich der wichtige Hinweis, achtgeben, dass die Blümchen in der Vase nicht bereits vor Abschluss der Dreharbeiten die Köpfe hängen lassen). Dann ginge der Film folgendermaßen weiter: Schnitt-und Kameraschwenk zu Habecks nachhause. Robert allein am Habeckschen Küchentisch. Im Keller der Habecks brummt die Wärmepumpe und sorgt für eine angenehme Küchen-und Körpertemperatur. Der fortschrittsträumerische Blick des Ministers und aktuellen Kanzlerkandidaten verliert sich über alle Barrieren hinweg in der Transformationsvision einer dank grünem Wasserstoff dekarbonisierten Zukunft. An Roberts Handgelenk baumelt lässig unaufdringlich ein Tayler-Swift-Bändchen, doch schaut das nicht schon ein wenig abgetragen aus? Sollte Kamela Harris ihm das ihrige vermacht haben, diese Spitzenpolitiker stecken doch alle unter einer Decke. Das Wichtigste jedoch: Diese lebensechte Kameraeinstellung mit ihm am heimischen Frühstückstisch, der für einen hungrigen Magen verdächtig leer aussieht, hat Robert, den Wahlkämpfer überhaupt erst auf die Idee gebracht, sich von anderen einladen, vom Wahlvolk durchfüttern zu lassen. Der hungrige Wahlkämpfer schreckt nicht davor zurück, potentielle Wählerstimmen an deren Küchentisch heimzusuchen. Und wie ich ausgerechnet an unserem Festtag, dem D-Day, feststellen muss, unter denen, die sich ihm für sein Wahlkampfspektakel zur Verfügung stellen, sind leider auch Behinderte.
Eine offene Feldschlacht am Küchentisch, das wärs doch!
Echt Leute, Kriecherei ist mir ein Gräuel. Dieses scheinintime Küchentischgedruckse, dieses menschelnde Tete-a-Tete mit einem Politiker „zum Anfassen“, der euch mal kurz durch den Wahlkampfwolf dreht. Und das wars dann, wo bleibt die Selbstachtung! Wenn die Politik uns Behinderte, pardon, verarscht, so liegt das doch nicht an einem mangelhaften kognitiven Fassungsvermögen ihrer Protagonisten. So dass man ihnen unsere behindertenpolitischen Anliegen noch einmal haarklein am trauten Küchentisch verklickern müsste, womöglich noch in einfacher oder leichter Sprache. Es sei denn, ihr wollt das totale Politkabarett. Doch dann bitte richtig! Mein Vorschlag dazu: Ladet ein zur offenen Feldschlacht am Küchenbuffet, dem zur Zeit lebhaft diskutierten Format.
Die Einladung – klotzen statt kleckern – geht gleich an drei Minister der verkorksten Ampel. An Christian, Marco und Robert. Oder, frei nach Puccini, an Ping, Pang und Pong, also Chris, Marco und Robi. – Robi bzw. Minister Pong möge eine große Tüte Croissants vom Bäcker mitbringen und den gesamten Vorrat an grünen Wasserstoffflaschen aus seinem Keller, um die Behindertenbude mit dem Büffett-Tisch ordentlich einzuheizen. Niemand von uns Behinderten soll sich während der offenen Feldschlacht am Küchentisch aus Sparzwang auf seinem Stuhl oder im Rollstuhl den Hintern abfrieren. Ping alias Chris schleppt die schwere Schuldenbremse an, um auf der Stelle sämtliche Schulden auf Behindertenkonten und deren weitere Verschuldung nicht nur zu bremsen, sie ihnen vielmehr zu erlassen. Ein kompletter Schuldenerlass, finanziert aus der Portokasse einer
Reichensteuer. Der dritte Minister, Pang oder Marco, soll – Behindertenvertreter vermuten seit langem, dass bei ihm was im Busch ist – seine ministerielle Scheibtischschublade mitbringen, um das Geheimnis ihres Inhalts vor aller Augen auf dem Küchentisch zu lüften. Versichern uns doch unsere standespolitisch Aktiven, die sozusagen selber mit einem Bein im professionellen Politiksumpf stecken, glaubwürdig, in jener Schublade halte Marco Pang die ganze Zeit über eine Gesetzesvorlage unter Verschluss, bei deren parlamentarischer Verabschiedung zahlreiche Barrieren für uns Behinderte fallen würden, mindestens auf dem Papier.
Außer den Ministern Ping, Pang und Pong sollten wir noch den Behindertenrätsel-Beauftragten Dusel einladen bzw. zu Tisch bitten. Er kann so schön reden, vor allem seine Grußworte haben es mir angetan. Und er ist schließlich Teil der Regierungsbagage. – Soviel zur eingeladenen Politprominenz und ihren Mitbringseln. Auch wir selber sollten möglichst zahlreich erscheinen. Die in der engen Wohnküche ums Büffet bei der offenen Feldschlacht am Küchentisch keinen Platz mehr finden, nehmen draußen mit ihren Bettelschalen und Trillerpfeifen Aufstellung. Und bitte auch die fünf Meter hohe aufgeblasene Plastikfigur der Freiheitsstatue im Rollstuhl mitbringen. Stephan und ich, zwei Graswurzelakteure von der Basis, planen just in dem Augenblick, da Minister Ping, also Christian Lindner, die Schuldenbremse anzieht und uns Behinderte auf einen Schlag von allen Altlasten befreit, ein Attentat auf die Plastikpuppe. Stephan und ich werden ihr, jeder mit einer langen Stricknadel bewaffnet, der eine in die linke, der andere in die rechte Wade stechen, damit ihr von unten her die Luft entweicht. Machen wir uns nicht länger zum Affen, indem wir dieses folkloristische Riesenbambi auf Demos mit uns herumschleppen, von uns Behinderten trägt jede und jeder schwer genug am eigenen Päckchen.
Zuletzt ein dringender Rat an die Verfasser des Einladungsschreibens. Darin bloß keine Andeutung dahingehend, man wolle den Ministern Ping, Pang und Pong behindertenpolitisch auf den Zahn fühlen (äußerte doch Frau Prof. Dr. Sigrid Arnade von der Liga der Behindertenverbände im Gespräch mit Ottmar Miles Paul von den kobinet nachrichten, sie wolle Robert Habeck an ihrem Küchentisch „auf den Zahn fühlen“). Ich stelle mir vor, nicht nur Minister finden die Vorstellung nicht gerade einladend oder appetitlich, Fremde pulen ihnen am Küchentisch mit den Fingern im Mund, tasten an Zähnen und Zahnfleisch herum. Und seien es auch Behinderte, die verzweifelt auf
der Suche nach der Wahrheit sind, wo sie behindertenpolitisch mit ihren Politikern dran sind.
P.S. Die Minister Ping, Pang und Pong im Original haben in Puccinis Oper „Turandot“ (eine Geschichte aus einem tatarischen Königreich) ihren Auftritt. Dort spielen die drei Minister weder eine besonders rühmliche, noch eine unrühmliche Rolle. Dem Opernlibretto dienen sie in der Hauptsache als folkloristische Staffage. Das Folkloristische ist möglicherweise auch das Markanteste, was einmal von den drei Ampelministern in Erinnerung bleiben wird.
Zueignen möchte ich diese Kolumne der rührigen Behindertenaktivistin Sigrid Arnade. Unermüdlich setzt sie sich für Behindertenbelange ein, so dass es gewiss nicht an ihr liegt, wenn die Politik diese Belange so wenig ernst nimmt. Ich hoffe, sie verzeiht mir den Scherz mit der Zahnfühlung in Habecks Mundhöhle.
Huhu!
Ich wollte nur mal ganz vorsichtig um die Ecke schauen. Und mich versichern!
Isser vorbei? Also der Tag. Ihr wisst schon welcher. Der Tag der internationalen Behinderung. Oder der internationale Behinderungstag.
Haben alle Ihre Reden gehalten? Protestiert? Gummipuppen hochgehalten?
Tut mir leid, Hans Willi, da bin ich raus, mit dem Anschlag auf die Freiheitsstatue.
Ich versuch’ den 3. Dezember traditionell, mit einer Decke über dem Kopf zu ignorieren. Ich komme nur mal kurz unter meiner Decke hervor, um meinen Schwerbehindertenausweis auf Gültigkeit zu überprüfen.
Ralph. Das würde ich Dir auch empfehlen. Da muss irgendwo „unbefristet“ draufstehen! Sonst war’s das mit Deiner Identität als „Behinderter“! Und Du darfst an keiner Veranstaltung zum Tag der Behinderung mehr teilnehmen. Und zwar weltweit! Ist nämlich international!
Ich muss gleich wieder unter meine Decke. Weil heute ist der Tag des Ehrenamts. Der zukünftige Altkanzler will das Ehrenamt stärken (wahrscheinlich will er so auch die Beamt*innen und Mitarbeiter*innen des öffentlichen Dienstes und der Krankenkassen entlasten).
Und morgen ist der internationale Tag der „Zipfelmützen- und Spitzhutträger*innen“. Den würde ich auch gerne verpassen.
Am besten bleib’ ich bis einschließlich meines Geburtstages am 02. Februar unter meiner Decke. Da ist nämlich der „Welttag der Feuchtgebiete“.
Beste Grüße Stephan Laux, 5. Dezember 2024
PS War der heilige St. Nikolaus eigentlich Ehrenamtler?
Schade und traurig, nun hat Stephan, anstatt mit mir aus Lady Liberty (denn schwingt sie auch mit uns die Freiheitsfackel, es beeindruckt heuer nurmehr Dackel) die Luft zu lassen, die Luft aus seinem behindertenpolitischen Aktivismus gelassen und sich aus der Bewegung verabschiedet, unter die Bettdecke eines Erschöpften. Die Bewegung braucht Kritik, solidarisch unterscheidend und mit Augenmaß, Rundumschläge (und sei es aus Erschöpfung) sind kontraproduktiv und wirken toxisch. Wünschen wir Stephan ein erholsames Bettdecken-Retreat.
I.A.v. Hans-Willi Weis