Kassel (kobinet) Als das Benachteiligungsverbot für behinderte Menschen im Grundgesetz am 15. November 1994 - also heute vor 30 Jahren - mit der Aufnahme des Satzes "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden" in Kraft trat, gab es zwar keine großen Jubelfeiern, dafür aber große Freude bei all denjenigen, die über drei Jahre lang intensiv dafür gekämpft haben. Gefeiert wurde schon am 30. Juni 1994 als der Bundestag der Aufnahme des Benachteiligungsverbots zustimmte. Hunderte Menschen mit ganz unterschiedlichen Behinderungen verfolgten damals die Debatte im und um den Reichstag herum, anschließend wurde im nahegelegenen Haus der Kulturen der Welt angestoßen und mit Verbündeten gefeiert. Als am 15. November 1994 die Grundgesetzergänzung nach der Zustimmung der Länder in Kraft trat, war klar, dass dieser Erfolg nun eine große Verpflichtung ist, das Benachteiligungsverbot im Grundgesetz auch in die Praxis umzusetzen. Dies weiß kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul zu berichten, der damals mit vielen anderen im "Zentrum des Sturms" für das Benachteiligungsverbot mitgekämpft hat.
Kommentar von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul
Auch wenn es am Ende noch einmal einiger Anstrengungen bedurfte, dass die verschiedenen Bundesländer der Ergänzung des Grundgesetzes durch den Satz „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ zustimmen, war der zentrale Tag der Behindertenbewegung der 30. Juni 1994. Damals stimmte der Bundestag in einer Sitzung im Reichstag über das nach der Wiedervereinigung reformierte Grundgesetz ab. Und entgegen aller vorigen Diskussionen war es in der Zielgerade gelungen, dass dieser Satz die Zustimmung der Bundestagsabgeordneten fand. Das war lange nicht gesetzt. Unterschriften mussten gesammelt werden, der Europäische Protesttag zur Gleichstellung behinderter Menschen wurde 1992 ins Leben gerufen und unsägliche Diskussionen mussten vor allem mit Abgeordneten der CDU/CSU und FDP geführt werden. Diese stellten damals die Bundesregierung und Helmut Kohl war anfangs ganz und gar nicht von der Idee eines Benachteiligungsverbots für behinderte Menschen angetan. Als klar wurde, dass die im Herbst 1994 anstehende Bundestagswahl eng werden könnte, schwang der damalige Bundeskanzler im Mai 1994 um und sagte die Unterstützung für das Benachteiligungsverbot bei einer VdK-Verbandsversammlung zu. Wenn wir heute zum Teil selbstverständlich darauf blicken, dass wir das Benachteiligungsverbot im Grundgesetz haben, dann ist das keine Selbstverständlichkeit, wie Beispiele anderer benachteiligter Gruppen zeigen, denen dieser Erfolg bis heute nicht gelungen ist.
Das Benachteiligungsverbot für behinderte Menschen im Grundgesetz ist daher nicht nur als Erfolg, sondern vor allem auch als Verpflichtung zu betrachten. Als Verpflichtung für die Verantwortlichen, dieses Benachteiligungsverbot umzusetzen und als Verpflichtung für behinderte Menschen und ihre Verbündeten für den Erhalt und den Ausbau der Rechte behinderter Menschen zu streiten. Dies ist heute wohl wichtiger denn je, wo rechtsextreme Kräfte immer lauter werden und sich in den Parlamenten bereits breit gemacht haben. Vor allem aber im Lichte der UN-Behindertenrechtskonvention, die Deutschland 2009 ratifiziert hat, ist konsequentes Handeln nötiger denn je. Der Bruch der Ampelkoalition und die damit verbundene Nichtumsetzung vieler behindertenpolitischen Maßnahmen ist daher ein heftiger Schlag für die Rechte behinderter Menschen. Umso mehr gilt leider: Dranbleiben! Denn wenn wir uns wegducken, können wir erahnen, was passieren kann.
H.-Günter Heiden erläutert heute am 15. November von 12:00 bis 13:00 Uhr im Rahmen eines Vortrags beim Deutschen Institut für Menschenrechte wie es damals zur Aufnahme des Benachteiligungsverbots für behinderte Menschen kam. Der Vortrag wird mit Deutscher Gebärdensprache, Schriftmittlung und Übersetzung in Leichte Sprache begleitet und online übertragen. H.-Günter Heiden hat entscheidend an der Kampagne für die Aufnahme des Benachteiligungsverbot für behinderte Menschen ins Grundgesetz mitgewirkt und zum 30jährigen Jubiläum dieses Erfolgs ein Buch mit dem Titel „Behindertenrechte in die Verfassung! Der Kampf um die Grundgesetzergänzung 1990-1994“ im Verlag Beltz Juventa veröffentlicht.
Link zu weiteren Infos zum Buch von H.-Günter Heiden über den Kampf für die Grundgesetzergänzung
Die Teilnahme an der Veranstaltung über den kostenfreien Livestream des Vortrags, der im Rahmen eines Besuchs von Studierenden der Alice Salomon Hochschule Berlin mit Prof. Dr. Sigrid Arnade bei der Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention im Deutschen Institut für Menschenrechte stattfindet, ist möglich unter dem folgenden Link:
Beitreten zum Zoom Meeting
https://institut-fuer-menschenrechte-de.zoom.us/j/94689582401?pwd=jVHvukrcoAac29XaHNtFnoGJbpyMiU.1
Meeting-ID: 946 8958 2401
Kenncode: 798654
Die Teilnahme per Telefon ist möglich unter folgender Telefonnummer: Tel. 069 3807 9884
Meeting-ID: 946 8958 2401 – Kenncode: 798654
Interessant ist heute am 15. November ab 13:30 Uhr auch die Hybrid-Präsentation der Ergebnisse des Treffens der Behindertenbeauftragten der Länder und des Bundes. Die Beauftragten beschäftigen sich intensiv mit der Bedeutung der Grundgesetzergänzung vor 30 Jahren. Die Präsentation ihrer Ergebnisse kann man im Livestream verfolgen.