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Die Problematik des Missbrauchs des Begriffs „Inklusion“ durch Sonderprojekte

Ralph Milewski
Ralph Milewski
Foto: Ralph Milewski

Berlin (kobinet) Die inflationäre Verwendung des Begriffs "Inklusion“ für Sonderprojekte führt nach Ansicht von Ralph Milewski dazu, dass die eigentliche Vision von Inklusion verloren geht. "Solange Menschen mit Behinderungen nur in speziellen Programmen zusammen mit anderen agieren können, bleibt der Weg zur echten Gleichberechtigung unerfüllt. Es ist wichtig, diese Differenzierung klar zu benennen und nicht jedes Sonderprojekt als inklusiv zu bezeichnen." Dies schreibt Ralph Milewski u.a. in einem Gastbeitrag für die kobinet-nachrichten als Reaktion auf den kobinet-Bericht vom 7. Oktober 2024 mit dem Titel "Vorhang auf für Inklusion".

Die Problematik des Missbrauchs des Begriffs „Inklusion“ durch Sonderprojekte

Gastbeitrag von Ralph Milewski

Der Begriff „Inklusion“ wird in vielen Bereichen der Gesellschaft als Ideal gefeiert. Er steht für die Vision, dass alle Menschen – unabhängig von körperlichen, geistigen oder sozialen Unterschieden – gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Doch in der Praxis wird der Begriff oft missverständlich oder irreführend verwendet, besonders in sogenannten „Sonderprojekten“, die gezielt Menschen mit und ohne Behinderungen zusammenführen sollen. Ein Beispiel dafür ist die Aktion Mensch, die sich intensiv für die Förderung von Menschen mit Behinderungen einsetzt, den Begriff „Inklusion“ jedoch häufig für Projekte verwendet, die in Wirklichkeit nur eine temporäre Integration oder Begegnung ermöglichen.

Inklusion versus Integration

Der zentrale Unterschied zwischen echter Inklusion und Integration liegt darin, dass Inklusion die vollständige Gleichberechtigung und Selbstverständlichkeit der Teilhabe aller Menschen betont. Es geht darum, Barrieren abzubauen und eine Umgebung zu schaffen, in der niemand ausgegrenzt wird – weder strukturell noch sozial. Integration hingegen bedeutet, dass Menschen mit besonderen Bedürfnissen in vorgegebene Strukturen eingefügt werden, die oft noch nicht vollständig barrierefrei sind. Sie bleiben sozusagen „zu Gast“ in einer bestehenden Ordnung, anstatt sie gleichberechtigt mitzugestalten.

Sonderprojekte, die gezielt Menschen mit und ohne Behinderung zusammenbringen, können zwar nützliche Zwischenschritte sein, um Barrieren und Vorurteile abzubauen, doch sie sind letztlich Formen der Integration, nicht der Inklusion. Denn sie schaffen spezielle Rahmen, in denen Begegnungen stattfinden, aber verändern die alltäglichen Strukturen nicht. Dies führt dazu, dass Menschen mit Behinderungen zwar in bestimmten Momenten sichtbar werden, aber nicht dauerhaft als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft wahrgenommen werden.

Der Missbrauch des Begriffs „Inklusion“

Organisationen wie Aktion Mensch nutzen den Begriff „Inklusion“ häufig, um Projekte zu beschreiben, die Menschen mit und ohne Behinderung zusammenführen. Obwohl die Intentionen dahinter oft gut gemeint sind, führt dies dazu, dass der Begriff „Inklusion“ verwässert wird. Wenn ein Theaterprojekt, in dem Schüler mit und ohne Behinderung zusammen auf der Bühne stehen, als „inklusiv“ bezeichnet wird, dann verschleiert dies die Tatsache, dass diese Begegnungen nur in einem speziellen Rahmen stattfinden. Im Alltag, in Schulen, am Arbeitsplatz oder im öffentlichen Raum ist die vollwertige Teilhabe dieser Menschen weiterhin nicht die Norm.

Der Begriff wird hier als Etikett benutzt, um eine positive Veränderung zu suggerieren, obwohl die gesellschaftliche Struktur weitgehend unverändert bleibt. Dies führt dazu, dass der wahre Anspruch von Inklusion nicht erfüllt wird und lediglich eine symbolische Form von „Inklusion“ entsteht. Menschen mit Behinderungen werden immer noch in separate Projekte und Programme verwiesen, anstatt vollständig in die bestehenden gesellschaftlichen Strukturen integriert zu werden.

Solange Menschen mit Behinderungen separiert werden, bleibt wahre Inklusion unerreichbar

Solange Menschen mit Behinderungen weiterhin separiert werden, wird die Gesellschaft kaum bereit sein, sie als gleichwertige Mitglieder anzuerkennen. Separation verstärkt die Wahrnehmung, dass Menschen mit Behinderungen „anders“ sind und besondere Räume oder Programme benötigen, anstatt als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft betrachtet zu werden. Diese Trennung verhindert, dass Menschen mit Behinderungen in alltäglichen Situationen wahrgenommen und akzeptiert werden.

Echte Inklusion erfordert, dass Menschen mit Behinderungen nicht in speziellen Kategorien oder Projekten gesehen werden, sondern in den allgemeinen Strukturen des täglichen Lebens. Solange jedoch solche Projekte als „inklusiv“ bezeichnet werden, bleibt die wahre Barriere bestehen: die Kluft zwischen „uns“ und „denen“. Solange diese Trennung aufrechterhalten wird, bleibt die Akzeptanz von Menschen mit Behinderungen als gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft unerreichbar.

Was echte Inklusion bedeuten würde

Wahre Inklusion bedeutet, dass Menschen mit Behinderungen selbstverständlich und ohne spezielle Programme am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Sie sollten nicht auf Sonderveranstaltungen oder Sonderprojekte angewiesen sein, um Begegnungen zu ermöglichen. Schulen, Arbeitsplätze und öffentliche Räume müssten so gestaltet sein, dass sie für alle Menschen zugänglich und nutzbar sind – ohne die Notwendigkeit zusätzlicher Förderungen oder Maßnahmen.

Projekte zur „Förderung der Inklusion“ können wichtige Schritte sein, um Barrieren abzubauen und Vorurteile zu überwinden, aber sie sollten als genau das bezeichnet werden: Förderung zur Inklusion, nicht Inklusion selbst. Echte Inklusion erfordert, dass diese Strukturen nicht mehr notwendig sind, weil die Gesellschaft selbst barrierefrei und inklusiv gestaltet ist.

Fazit

Die inflationäre Verwendung des Begriffs „Inklusion“ für Sonderprojekte führt dazu, dass die eigentliche Vision von Inklusion verloren geht. Solange Menschen mit Behinderungen nur in speziellen Programmen zusammen mit anderen agieren können, bleibt der Weg zur echten Gleichberechtigung unerfüllt. Es ist wichtig, diese Differenzierung klar zu benennen und nicht jedes Sonderprojekt als inklusiv zu bezeichnen. Nur so können wir sicherstellen, dass der Begriff seine wahre Bedeutung behält und das Ziel einer wirklich inklusiven Gesellschaft nicht aus den Augen verloren wird.

Lesermeinungen

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Uwe N.
18.10.2024 08:09

Es wäre natürlich schön, alle würden INKLUSION im Sinne des Wortes umsetzen….. Jedoch glaube ich, das es auch hier, eine frage der Auslegung ist.
Ganz Plakativ gesprochen:
Menschen ohne Einschränkung werden INKLUSION immer anders wahrnehmen und demnach auch anders Kommunizieren als Menschen MIT Einschränkung!!

Schön wäre, an würde den Menschen mit Einschränkung klar machen (nicht Diskriminierend gemeint) das auch für sie alle gesetze gelten. und auch: Wenn im Gesetz nicht explizit drinsteht, das dieses Gesetz, dieser Paragraph NICHT für Menschen mit Beeinträchtigung ist, er für sie auch geltend ist!

Ralph Milewski
16.10.2024 14:29

An anderer Stelle wurde ich bereits darauf hingeweisen und möchte auch mich auch hier für die Verwendung des Begriffs „besondere Bedürfnisse“ in meinem Artikel entschuldigen. Es war nicht meine Absicht, Missverständnisse zu verursachen oder den Eindruck zu erwecken, dass Menschen mit Behinderungen andere Bedürfnisse haben als nicht-behinderte Menschen. Ich danke euch für die kritischen Rückmeldungen und werde in Zukunft sorgfältiger mit meiner Wortwahl umgehen.

Marion
Antwort auf  Ralph Milewski
17.10.2024 12:11

Im Wortlaut „besondere Bedürfnisse“ ist aber auch versteckt, dass eben nicht jeder Mensch die gleichen Bedürfnisse hat und Einschränkungen, egal ob körperlich oder gesitig, dann doch dazu führen, dass ein anderer Bedarf da ist, wie bei Menschen ohne Einschränkung. Sei es die Assistenz, die Rampe oder vielleicht auch den Assistenzhund.

Vielleicht muss der Begriff einfach nur besser erklärt werden um nicht missverstanden zu werden.

Ralph Milewski
Antwort auf  Marion
17.10.2024 15:42

Ein Bedarf und ein Bedürfnis sind nicht dasselbe. Bedarf bezieht sich auf objektive, spezifische Anforderungen, die erfüllt werden müssen (z.B. barrierefreier Zugang). Bedürfnis ist ein subjektives Gefühl oder Verlangen nach etwas, das als notwendig empfunden wird (z.B. soziale Interaktion).

Uwe N.
Antwort auf  Ralph Milewski
18.10.2024 08:12

Da ein Bedürfnis ja nichts anderes als ein „Gefühl“ ist, entsteht doch aus jedem BEDARF auch ein BEDÜRFNIS, oder?? 😉

Uwe N.
Antwort auf  Ralph Milewski
18.10.2024 08:05

Hallo Herr Milewski.
Ich finde nicht das der Begriff „Besondere bedürfnisse“ missverständlich ist., denn:
Menschen mit Behinderung haben nun mal Besomdere bedürfnisse!! Nicht alle vielleiocht, jedoch schon viele. Nehmen wir beispielsweise menschen mit „Mehrfach Schwerstbehinderung“. Kan ich meine Arme nicht Bewegen und kann mich nicht Selbstständig in meinem Rollstuhl bequem hinsetzen, habe ich das Bedürfnis, das dies ein anderer Mensch für mich tut. Das IST ein Besonderes Bedürfnis, oder? Der Blinde dem Orientierung nicht gegeben ist, hat das besondere Bedürfnis, das andere Menschen ihm helfen von „A“ nach“B“ zu kommen, oder????

Alles eine frage der Auslegung! 😉

Dennoch verstehe ich ihre Aussage natürlich. Nix für ungut!!

Uwe Heineker
14.10.2024 22:30

volle Zustimmung! Das selbe gilt für alle sogenannte Tage für …