
Foto: Ralph Milewski
Villmar - Weyer (Kobinet) Der Bürokratieabbau darf in keinem Wahlprogramm, egal welcher Couleur, fehlen. Sicher wird er auch Bestandteil der meisten Wahlprogramme bei der anstehenden Landtagswahl in Thüringen sein.
Ottmar Miles Paul Bericht: Selbstbestimmtes Leben in Gefahr https://kbnt.org/spv3789, veranlasst Stephan Laux in seiner Kolumne, sich über die Entstehung von Bürokratie Gedanken zu machen und darüber, welchem Zweck sie zuweilen dient.
Heute hat meine Frau den Entschluss gefasst, unserem Haushalt ein weiteres Gerät hinzuzufügen. Unser imaginärer Ehevertrag sieht u.a. vor, dass wir uns bei unseren Wocheneinkäufen abwechseln. Da sie heute an der Reihe war, erbeutete sie einen Kontaktgrill, der uns unseren Alltag sicher erleichtern wird. Nachdem ich die neue Errungenschaft ausgiebig bewundert hatte, fiel mir die Bedienungsanleitung des Gerätes in die Hände.
Der Kontaktgrill ist eigentlich selbsterklärend: Aufklappen, mit etwas Speiseöl einschmieren, Grillgut rein, anschalten, warten, bis es appetitlich riecht, essen. Aber weil ich gerade keine andere Lektüre zur Hand hatte, widmete ich mich dem 18-seitigen Werk etwas ausgiebiger. Auch deswegen, weil dies schon in der Einführung ausdrücklich eingefordert wird.
Mit der eigentlichen Bestimmung dieses Wunderwerks der Technik befasst sich die Bedienungsanleitung lediglich auf 2 Seiten. U.a. mit so nützlichen Tipps, wie dem, dass man zu Vürderst den Stecker des Teils in eine dafür vorgesehen, freie, (DIN – genormte) Steckdose stecken sollte.
Ansonsten deckte sich dieser Teil der Anleitungen ebenfalls mit meinen Vermutungen. Die restlichen 16 Seiten dieser Prosa beschäftigen sich allerdings ausschließlich mit Warnhinweisen. Einer dieser Hinweise warnt einen z.B. tatsächlich davor, das Gerät in der Badewanne zu benutzen. Gott sei Dank! Hatte ich doch gerade mit dem Gedanken gespielt, meine Badekappe anzulegen und meine gelbe Quietsche Ente während eines wohligen Bades in unserer Neuanschaffung garzugrillen!
So oder so ähnlich müssen solche Warnhinweise und Bürokratiemonster wohl entstehen. Irgendwo im Lande (vielleicht in Thüringen) setzt sich ein Verbraucher oder eine Verbraucherin mit seinem Kontaktgrill in eine volle Badewanne und sein hinterbliebener Ehepartner verklagt dann die Kontaktgrillherstellerfirma, weil sie in der betreffenden Bedienungsanleitung nicht davor gewarnt hat.
Unserer Bedienungsanleitung widmet übrigens ein ganzes Kapitel den, Zitat: „Gefahren für Kinder und Personen mit verringerten physischen, sensorischen oder mentalen Fähigkeiten (beispielsweise teilweise Behinderte…)“ Quelle Aldi Süd. Ihnen ist es nicht erlaubt, das Gerät ohne Aufsicht zu benutzen!
Und hier schließt sich der Kreis zum Bericht des Falles Philipp Cierpka. Der also dieses Gerät nur innerhalb der 8 Stunden Assistenz benutzen dürfte, die ihm sein Kostenträger, der Wartburgkreis, bereit ist, zu genehmigen. Weil er auf einem Instagram-Kanal zu oft lächelt!
Bedarfsermittlungsinstrumente sind die einzige, aus dem Bundesteilhabegesetz abgeleitete Maßnahme, die die Kostenträger der Behindertenhilfe tatsächlich konsequent durchgezogen haben. Ob das Bedarfsermittlungsinstrument des Landkreises Wartburg im Ansatz gut gedacht war, vermag ich nicht zu beurteilen. Der PIT (Personenzentrierte integrierter Teilhabeplan) in meinem Bundesland Hessen war es meiner Meinung nach nicht. Er ist ein klassisches Bürokratiemonster! Darauf bin ich in meinen Kolumnen schon des Öfteren eingegangen.
Die Erstellung nur eines dieser Pläne bindet Ressourcen einer in der Behindertenhilfe dringend zur Beziehungsarbeit mit den Betroffenen, benötigten Fachkraft für mindestens einen Arbeitstag. Schulungen verschlingen ebenso personelle Ressourcen. Das Bedarfsinstrument ist defizitorientiert und nicht barrierefrei.
Im Fall Philipp Cierpka zeigt sich eindeutig, wem oder was solche Bürokratiemonster dienen. Der Kostenreduzierung und einer pseudofachlichen Begründung dafür.
Solche Ermittlungsinstrumente, die den Bedarf an Assistenz (und die dadurch entstehenden Kosten)für betroffene Menschen ermitteln sollen, sind immer auch abhängig vom Wohlwollen der sie bearbeitenden Institution und deren Sachbearbeiter*innen. Vielleicht auch von deren politischen Einstellungen?
Das deckt sich jedenfalls auch mit meinen Erfahrungen, z.B. aus der Flüchtlingshilfe. Mir sind Fälle bekannt, bei denen Sachbearbeiter des Jobcenters Leistungsberechtigten über Monate Gelder verweigern, obwohl alle relevanten Unterlagen und Nachweise vorliegen. Betroffene werden so an Ihr Existenzminimum gebracht. Was sie im schlechtesten Falle dazu verleiten sich zu kriminalisieren, was wiederum eine Abschiebung zur Folge haben kann.
Im von Ottmar Miles Paul und dem MDR beschriebenen Fall, könnte der Kostenträger aufgrund seiner Bedarfsermittlung zu dem Schluss kommen, dass Phillip Cierpka wohl am besten in einer stationären Sondereinrichtung aufgehoben wäre, weil sich dort Assistenzkräfte 24 Stunden am Tag um ihnen kümmern könnten.
Eine Vorstellung, die mir den Appetit auf mein kontaktgegrilltes Thüringer Würstchen eindeutig verdirbt. Ebenso wie die Vorstellung, wer die Landtagswahl im Herkunftsbundesland diese Würstchen gewinnen könnte.
Meine Empfehlung ans Wahlvolk: Lesen Sie vorher unbedingt die WARNHINWEISE!
Stephan Laux August 2024
Ich bekam bisher Leistungen unseres Sozialsystem, die das angestrebte Ziel weit verfehlten… und meine Aussagen hierzu hat die Behörden nicht interessiert.
Inklusion SOLLTE bedarfsgerecht erfolgen! Aber nach wie vor werden mir Vorwürfe gemacht, warum ich eine Einrichtung ablehne… da hätte ich ja Unterstützung und würde alles bekommen was ich bräuchte… Das meine konkreten Fragen bei der Einrichtung im Vorfeld gegenteiliges zeigten, wollen die Amtsmitarbeiter nicht hören…
Kurzum: Ich soll in eine Einrichtung und damit sollen dann alle Probleme gelöst sein?
Das scheint vielleicht kurzfristig so zu sein. Langfristig ist jedoch eine bedarfsgerechte Förderung nur aufgeschoben… Außerdem kostet die Maßnahmen oder Einrichtunen ja auch Geld… und ne Betreuung benötige ich ja angeblich auch…
Wie gut, dass jeder Mensch eine andere Meinung haben darf…
Warnhinweise? Für wen? Ich habe seit einiger Zeit Schwierigkeiten Antworten von Politikern sowie deren Parteibüros lokal und überregional für meine Fragen und Antworten zu erreichen.
Und dann wundern sich die Abgeordneten laut Presse darüber, dass das Volk wegläuft?
Vor allem, ich als Bürgerin stelle fest, dass selbst Qualitätsmedien des öffentlich-rechtlichen Angebots eher die Schlagzeilen kopieren, der Hintergrund oder eine Einschätzungsüberprüfung wird mir nicht mehr angeboten!
Ohne Infos, GEspräche und auch Diskussionen mit den Bürgern, kann auch kein Wahlberechtigter diese Inhalte vertreten! Und die Konkurenz lockt und siegt mit oberflächlichen Slogans…
Dem unglücklich leidenden Menschen gibt man eher etwas, wahrscheinlich zur Beruhigung des eigenen Gewissens. Ein fröhlicher, kompetenter „Behinderter“ wirkt anstößig, provozierend. Anstelle von Mitleid tritt Aversion. Geistige Reife und Reflektiertheit ist bei den Entscheidern erforderlich, Fortbildungen helfen da nicht. Die Bürokratie oder das Bedarfsermittlungsinstrument sollen scheinbare Objektivität erschaffen, wo keine ist.