
Foto: mittendrin e.V.
Berlin / Genf (kobinet) Am 29./30. August 2023 hat in Genf der Konstruktive Dialog zur Staatenprüfung Deutschlands zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zwischen dem UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, der deutschen Staatendelegation und Vertreter*innen der Monitoring-Stelle Un-Behindertenrechtskonvention stattgefunden. Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat nun den Wortlaut dieses Austauschs als Transkript, basierend auf den Videos des Dialogs, zum Download veröffentlicht. In dem umfangreichen, aber sehr spannenden, Dokument hat kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul sich die Äußerungen von Professor Markus Schefer aus der Schweiz genauer angeschaut, der in Sachen Exklusion in Deutschland klare Worte fand.
Prof. Markus Schefer ist Mitglied des Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen und war Länderberichterstatter zu Deutschland. Er ist als Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Basel tätig. In seinen einführenden Worten zum konstruktiven Dialog führte er u.a. aus:
„Deutschland spielt eine wichtige Rolle in wirtschaftlicher Hinsicht, und es ist auch politisch dominant. Und es hat auch einen großen Einfluss auf die Kultur Europas, auch die Rechtskultur. Was in Deutschland passiert, ist nicht nur in Deutschland wichtig, sondern für uns alle. Deswegen geht es hier nicht nur um eine nationale Angelegenheit, die wir diskutieren.“
Und weiter betonte Professor Markus Schefer zur Situation in Deutschland:
„Wir haben verstanden, dass manche Punkte im Übereinkommen vielleicht nicht richtig verstanden werden. Wir stellen fest, dass es auch ein Leben der Absonderung gibt für Menschen mit Behinderungen im Bereich des Wohnumfelds, aber auch der Bildung. Es gibt Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, für Erwachsene. Es gibt Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, für die von anderen Entscheidungen getroffen werden. Und das scheint doch sehr fest verankert zu sein in den Gesetzen des Landes. Was Absonderung angeht, so wird das doch betrachtet als eine anerkannte gesellschaftliche Übung, um Menschen mit Behinderungen zu unterstützen und ihr Leben zu gestalten. Diese Auffassung ist fehlerhaft, und zwar sehr fehlerhaft. Und ist im vollen Widerspruch zu den Zielen des Übereinkommens. Um diesen Punkt noch zu betonen möchte ich zurückgehen auf das Jahr 1896. In einer Entscheidung, die die nächsten Jahrzehnte bestimmte, sah die USA keinen Fehler darin, Menschen mit anderer Hautfarbe anders zu behandeln. Getrennt, aber gleich, das ist erkannt worden als Ungerechtigkeit einer menschengerechten Gesellschaft. Dasselbe Gericht wie in den USA hat die ‚Rassentrennung‘ beendet und hat gesagt: ‚Gute Kinder von anderen zu trennen mit ähnlicher Begabung bloß aufgrund ihrer ‚Rasse‘, führt zu einem Gefühl von Minderwertigkeit, stellt die Gesellschaft in Frage für sie und wird ihre Herzen und ihre Köpfe wahrscheinlich für immer verändern.‘ Diese Einsicht dringt durch alle Bereiche in der Gesellschaft. Und unser Übereinkommen bezieht sich auf Behinderungen. Kinder und Erwachsene mit Behinderungen abzusondern, um ihnen zu helfen, das mag auf den ersten Blick hilfreich sein, aber auf der grundlegendsten Ebene ist es gegen ihre Menschenwürde. Und hier geht es um die Unverletzlichkeit der Würde jedes Einzelnen. Das steht ja in Artikel 1 des Grundgesetzes. Und das ist sicher die beste Formulierung, die es in der modernen westlichen Welt gibt. Eine Teilung einer Gesellschaft, wo nichts besonderes ist an Menschen mit Behinderungen, wo sie einfach ein Teil der menschlichen Diversität sind, wo dieses Etikett von Behinderung gar nicht mehr existiert, eine Gesellschaft, die so organisiert ist und so strukturiert, das die ganze Weite und Breite der menschlichen Phänomenologie umfasst. Darum geht es im Übereinkommen. Und so wurde es ratifiziert von den Vertragsstaaten. Natürlich, es ist ein ehrgeiziges Ziel. Und daher muss es mit Macht verteidigt werden und schnell umgesetzt werden.“