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Die nicht enden wollende Geschichte…

Eine Linie geht kreuz und quer über das Papier, wie Irrgarten
Langer Weg zum Menschenrecht
Foto: Julia Lippert

Berlin (kobinet) Der Versuch die Zulässigkeit von ärztlichen Zwangsmaßnahmen zu verwässern bzw. auszuweiten, lässt sich leider immer wieder beobachten. Eine Tagung des ZfP Südwürttemberg versucht es jetzt über die ambulanten Zwangsmaßnahmen, die seit 2017 auch gesetzlich untersagt sind. Laut des Flyers der Tagung wird ihnen sogar das Potential zugesprochen, sogenannte Drehtür-Phänomene (Patient*innen kommen immer wieder auf Station) zu verhindern. Es ist zum Heulen.

Anlass für die wieder aufkeimende Debatte um ambulante ärztliche Zwangsmaßnahmen, ist unter anderem eine Verfassungsbeschwerde einer Betreuerin. Diese beklagte, dass eine Verlegung in ein Krankenhaus, um eine ärztliche Zwangsmaßnahme durchzuführen, eine unnötige Belastung des Betroffenen darstellt (1 BvR 1575/18). Dieser Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, der die Verbringung in ein Krankenhaus ausgesetzt hätte, wurde vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt.

Denn seit 2017 ist ein Gesetz in Kraft getreten, das vorsieht, dass ärztliche Zwangsmaßnahmen nur innerhalb eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus zulässig sind (nach Betreuungsrechtsreform 2023: §1832 Abs. 4 BGB). Somit sind ambulante ärztliche Zwangsmaßnahmen nach dem Gesetz ausgeschlossen. Im Regierungsentwurf heißt es dazu: „Denn sie sind mit dem Grundsatz unvereinbar, dass ärztliche Zwangsmaßnahmen wegen des mit ihnen verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit und die freie Selbstbestimmung der Betroffenen nur als letztes Mittel in Betracht kommen und auf ein unvermeidbares Mindestmaß zu reduzieren sind.“ (Drucksache 18/11240, S.15)

Der Gesetzgeber hält zwar, entgegen der Forderungen des UN-Fachausschuss, des Europarats und verschiedener UN-Sonderberichterstatter*innen [1], am Ultima Ratio Prinzip (Zwang als letztes Mittel) fest und legt die UN-BRK so aus, dass ihr nach Zwang nur auf ein Mindestmaß zu reduzieren sei und vor Missbrauch geschützt werden müsse. Unabhängig davon macht der Gesetzgeber allerdings klar, dass der Schutz des persönlichen Umfeldes ein hohes Gut ist und Menschen mit psychischen Erkrankungen, statt staatlich genehmigten Zwangs, „vertrauensvolle Unterstützung und Hilfe … benötigen.“ (Drucksache 18/11240, S.15) Auch macht der Regierungsentwurf deutlich, dass der Verzicht auf ambulanten psychiatrischen Zwang ein „ein wesentliches Element“ einer zwangsvermeidenden psychiatrischen Praxis ist. Mit dieser Regelung soll vermieden werden, dass z.B. medikamentöse Zwangsmaßnahmen missbraucht werden, um Patient*innen ruhigzustellen (BTDrucks 18/11617, S. 3, 5 f.).

Ganz entgegen dieser Fassung des Gesetzgebers steht eine geplante Tagung des ZfP Südwürttemberg, der die Vermeidung von Zwang aus gerade dem gesetzlichen Zulassen eben jener ambulanten Zwangsmaßnahmen herleitet. Indem angeblich ambulante Zwangsmaßnahmen häufige Wiederaufnahmen in ein Krankenhaus verhindern (Dreh-Tür-Phänomen). So beginnt der Flyer der Tagung auch ganz lapidar, in dem der Zweck von ambulanten Zwangsmaßnahmen „schnell erklärt“ ist. Auch die Frage wie eine stationäre Behandlung laut eigener Aussage als „erfolgreich“ erklärt werden kann, auch wenn es nach der Entlassung zu einer „erneuten Zuspitzung der Situation“ und einer damit einhergehenden erneuten stationären Behandlung kommt, bleibt im Flyer zur Tagung völlig unbeantwortet.

Wie kann eine Ausweitung der Zulässigkeit von ärztlichen Zwangsmaßnahmen in den ambulanten Bereich in irgendeiner Form als milderes Mittel verstanden werden. Oder wie ich es mal in einem Beirat hören musste, als „milderer Zwang“ bezeichnet werden? Den Ursprung findet diese heillose Debatte vermutlich im Bereich der Pflege. Wenn z.B. eine ältere Dame die in Betreuung ist, aus irgendeinem Anlass ihre Diabetesmedikamente nicht mehr nehmen möchte, und dass ein Verlegen eben jener Dame in ein Krankenhaus eine Belastung darstellt. Die Tagung des ZfP Südwürttemberg geht aber noch einen Schritt weiter und hält ambulante Zwangsmaßnahmen im betreffenden Fall bei jeglichen Personen mit psychischen Erkrankungen für diskutabel. Zwar ist nach eigener Aussage nur ein kleiner Teil von Patient*innen potentiell betroffen, aber ein Gesetz in diese Richtung kann diese feinen, aber grundrechtlich höchstrelevanten, Unterscheidungen gar nicht festhalten. Es müsste also bei der Entscheidung auf die Einschätzung des/der Ärzt*in zurückgegriffen werden. Was das mit Stärkung des Selbstbestimmungsrechts zu tun haben soll, bleibt klärungsbedürftig.

Mir ist schleierhaft wie verschnörkelt man noch ein Gesetz basteln will, um jeglichen Missbrauch zu verhindern und gleichzeitig aber Zwangsmaßnahmen weiter als probates Mittel einer ärztlichen Behandlung aufrecht zu erhalten – es sei hier auch angemerkt, dass die Zwangsmaßnahme selbst offensichtlich keinen Missbrauch darstellt – .

In dem Flyer der Tagung wird in keiner Weise angedeutet, wie auf herausfordernde Situationen ohne Zwang (und schon gar nicht in den eigenen vier Wänden) reagiert werden könnte. Diese Rückwärtsgewandtheit ist schmerzhaft und missachtet die Forderungen unterschiedlichster Menschenrechts-Gremien. Auch umschreibt die Veranstaltung die ärztliche ambulante Zwangsmaßnahme verharmlosend als „richterlich verfügte, ambulante Behandlungsweisung, also die verpflichtende Duldung einer notwendigen Behandlung“. Schmerzhaft ist außerdem, dass bei so wichtigen Themen immer noch kaum Betroffene als Referierende geladen sind, am Nachmittag ein 20-minütiger Slot: bitte schön, danke schön. Es wird eben über uns geredet…

Dass der Gesetzgeber hier progressiver ist als eine Gruppe von professionell Tätigen die Zwangsmaßnahmen ausweiten wollen, tut dann noch mehr weh. Bereits letztes Jahr hatte eine Initiative des CDU geführten NRW-Justizministeriums die „verdeckte Medikamentengabe“ diskutiert und vor eine Gesetzesvorlage zu entwerfen, die die verdeckte Medikamentengabe zulässt. Glücklicherweise konnte dieser Versuch einer Gesetzesinitiative abgewandt werden.

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[1] Parlamentary Assembly, Ending coercion in mental health: the need for a human rights-based approach: http://assembly.coe.int/nw/xml/XRef/Xref-XML2HTML-EN.asp?fileid=28038&lang=en

Commissioner of human rights, It is time to end coercion in mental health: https://rm.coe.int/parliamentary-assembly-of-the-council-of-europe-debate-on-ending-coerc/168095114a

Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, siehe 7. und 42.: https://www.gemeinsam-einfach-machen.de/SharedDocs/Downloads/DE/AS/UN_BRK/AllgBemerkNr1.pdf?__blob=publica-tionFile&v=4