
Foto: Markus Gebhardt
BERLIN (kobinet) Aus Sicht der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) zeigt der Entwurf zum Allgemeinen Eisenbahngesetz (AEG), der sich in der heutigen ersten Lesung im Bundestag befindet, dass die Ampel-Koalition kein Interesse an einer selbstbestimmten und barrierefreien Mobilität von Menschen mit Behinderung hat. Zwar wurde im neuen Gesetz eine einheitliche Ansprechstelle wie die jetzige Mobilitätsservicezentrale (MSZ) festgelegt, die Anmeldezeiten für Reisen in Europa verringert sowie die Digitalisierung der Fahrgastrechtformulare festgeschrieben - allerdings sind dies nur verpflichtende Vorgaben aus der EU-Fahrgastrechte-Verordnung, die ab im Sommer 2023 in Kraft tritt.
Mit diesem Gesetz hat man nach Einschätzung des ISL wieder mal die gute Gelegenheit verpasst, Barrierefreiheit für alle Mobilitätsanbieter auf der Schiene verpflichtend festzulegen. Weiterhin vermisst dieser Verband ein Wort dazu, dass Fahrgäste mit Behinderung zu allen Zeiten, an denen Züge im Fernverkehr angeboten werden, mitfahren dürfen. Im Entwurf wird dafür auf unerträgliche Art und Weise das jetzige bevormundende und fehleranfällige Angebotschaos von Hilfeleistungen mit „vertretbaren Mehraufwand“ und „großzügigen Servicezeiten“ angepriesen. Von Gleichberechtigung, Serviceorientierung und spontanem Reisen bleiben behinderte Menschen weiterhin ausgeschlossen.
Zudem bemängelt ISL, dass stattdessen auch die jetzige Bundesregierung der Deutschen Bahn AG erlaubt, weiterhin ICE-Züge mit Stufen einzukaufen und von Siemens bauen zu lassen, die wissentlich nicht barrierefrei sind. Sie haben Hublifte an Bord, die niemand bedienen kann, sind störanfällig und zu klein. „Damit verstößt die Bundesregierung“, so betont ISL, „erneut gegen geltendes Recht und gegen die UN-Behindertenrechtskonvention“.
Das aktuelle Beispiel in Spanien zeigt, dass dort sowohl Bahnchef als auch Mitglieder des Verkehrsministeriums zurücktreten mussten, weil falsche Züge bestellt worden sind. Warum darf das in Deutschland trotz Protest der Behindertenverbände und ohne Konsequenzen passieren?
Die Bundesrepublik Deutschland ist 100-prozentige Eigentümerin der Deutschen Bahn AG und damit Erziehungsberechtigte mit Entscheidungskompetenz über den größten Mobilitätsanbieter in Deutschland auf der Schiene. „Solange Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesverkehrsminister Volker Wissing beim Bahnvorstand nicht auf den Tisch hauen, wird sich in diesem Konzern mittelfristig nichts ändern. Deshalb strebt die ISL eine weitere Klage an, um den weiteren Bau von nicht barrierefreien Schienenfahrzeugen zu unterbinden“, führt Horst Frehe, Vorstand der ISL, aus.