Berlin (kobinet) Die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, begrüßt den Gesetzentwurf zur so genannten Triage, spricht sich aber an einigen Punkten für Ergänzungen aus. Der Bundestag berät derzeit Änderungen im Infektionsschutzgesetz, um Menschen mit Behinderung im Falle knapper intensivmedizinischer Kapazitäten („Triage-Situation“) vor Benachteiligungen zu bewahren. Heute, am 19. Oktober, findet von 14:30 bis 16:30 Uhr die Anhörung zum Gesetzentwurf im Gesundheitsausschuss des Bundestages statt.
„Ich halte es für gut und richtig, dass der Gesetzentwurf ein Diskriminierungsverbot festschreibt, wenn es zu intensivmedizinischen Zuteilungsentscheidungen kommt“, sagte Ferda Ataman heute am 19. Oktober in Berlin. „Es ist aber fraglich, ob der Gesetzentwurf in dieser Form ausreicht, um dem Diskriminierungsrisiko betroffener Gruppen effektiv entgegenzuwirken“, ergänzte Ataman. So müsse beispielsweise das intensivmedizinische Personal bei der Ausbildung und Sensibilisierung zu behinderungsspezifischen Besonderheiten besser unterstützt werden, so Ataman. Der Regelungsentwurf trage diesem Aspekt zu wenig Rechnung.
Die Unabhängige Bundesbeauftragte fordert in ihrer Stellungnahme deshalb, das Gesetzesvorhaben mit Vorschlägen zu flankieren, wie die Ausbildungsordnungen der medizinischen Studiengänge sowie Fort- und Weiterbildungen in Medizin und Pflege um behinderungs- bzw. altersspezifische Besonderheiten ergänzt werden können. Nur dadurch könne langfristig sichergestellt werden, dass Ärzt*innen lebenswichtige Entscheidungen frei von Stigmatisierungen treffen.
Zudem macht sich Ataman für die Einrichtung einer externen und unabhängigen Prüfstelle stark, um gesetzliche Vorgaben und deren sachgerechte und transparente Umsetzung zu überprüfen. Bei dieser Stelle könnten die Dokumentationen etwaiger Triage-Situationen in Krankenhäusern ebenso wie die im Entwurf vorgesehenen Verfahrensanweisungen der Krankenhäuser evaluiert werden.
Auch solle der Begriff der „kurzfristigen“ Überlebenswahrscheinlichkeit konkret definiert werden, um auszuschließen, dass entgegen des Gesetzeszwecks auf die mittel- bzw. langfristige Lebenserwartung Betroffener aufgrund von Behinderung bzw. Vorerkrankung abgestellt werde.
Die Bundesregierung hat mit dem vorliegenden Gesetzentwurf auf die „Triage-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts reagiert. Das Gericht hatte Ende 2021 vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie entschieden, dass sich aus Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 des Grundgesetzes für den Staat ein Auftrag ergibt, Menschen wirksam vor einer Benachteiligung wegen ihrer Behinderung durch Dritte zu schützen. Bestehe das Risiko, dass Menschen bei der Zuteilung knapper, überlebenswichtiger intensivmedizinischer Ressourcen wegen einer Behinderung benachteiligt werden, verdichte sich der Schutzauftrag zu einer konkreten Schutzpflicht. Eine gesetzliche Regelung müsse deshalb hinreichend wirksamen Schutz vor einer Benachteiligung wegen der Behinderung bewirken.
Die Stellungnahme der Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung gibt’s hier.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) ist 2006 mit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) gegründet worden. Ziel des Gesetzes ist es, Diskriminierung aus rassistischen oder antisemitischen Gründen, wegen des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Die ADS berät rechtlich, kann Stellungnahmen einholen und gütliche Einigungen vermitteln. Sie betreibt Forschung und Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Diskriminierung. Seit 2022 wird die Leitung der Stelle als Unabhängige Bundesbeauftrage für Antidiskriminierung vom Deutschen Bundestag gewählt.