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Interview mit der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik BFIT-Bund

Text Bericht der Bundesrepublik Deutschland an die Europäische Kommission
Titelseite des Berichtes der BRD an die EU Überwachung der Barrierefreiheit vom 23.12.2021
Foto: Screenshot der Titelseite des EU-Berichtes

Berlin (kobinet) Ende Dezember 2021 gab die Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik BFIT-Bund den Deutschlandbericht über die Barrierefreiheit öffentlicher Webseiten bei der europäischen Union ab. EU-Gesetze fordern solche Berichte von allen EU-Ländern. Die eingegangenen Berichte sind auf der Webseite Web Accessibility Directive - Monitoring reports gelistet.

Das Interview soll die Herangehensweise der deutschen Überwachungsstelle darstellen. Das Interview wurde mit dem Leiter der Überwachungsstelle Michael Wahl geführt.

Die Aufgaben der BITV-Bund „ergeben sich aus dem Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes (BGG) § 13 Absatz 3 sowie der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung des Bundes (BITV 2.0)“.
Dazu gehören die Überwachungsstellen der Bundesländer, die manchmal landeseigene Regeln haben. Seit über 20 Jahren gibt es die BITV zur barrierefreien Gestaltung von Webseiten öffentlicher Stellen. Öffentliche Stellen sind nach dieser langen Übergangszeit gesetzlich verpflichtet für alle Menschen barrierefreie Webseiten anzubieten.
BFIT-Bund trägt die Überwachungsergebnisse alle 3 Jahre (EU-Bestimmung) von den Landesüberwachungsstellen und die eigenen zusammen und veröffentlicht diese und schickt den Bericht an die EU: Den ersten Bericht der BFIT-Bund finden Sie zum Download hier als PDF.

In einem Interview sollen die Methodik, Umsetzung und Einbeziehung der Selbstvertreter dargestellt werden. Der Leiter der Überwachungsstelle, Michael Wahl, beantwortet die Fragen für die BFIT-Bund.

kobinet: Wie haben Sie die Form der Berichterstattung und die Prüfmethodik entwickelt? Waren das einheitliche Vorgaben durch die EU?

M. Wahl: Die EU gibt im Durchführungsbeschluss EU 2018/1524 die Inhalte des Berichtes sowie die Darstellungsform der Ergebnisse vor. Diese gesetzlichen Vorgaben haben wir, wie gefordert umgesetzt, sind aber an vielen Stellen noch über diesen Mindeststandard hinaus gegangen – auf freiwilliger Basis (Erklärungen hierzu finden sich im Bericht auf den Seiten 40 und 41 ). Besonderen Wert legt die EU-Kommission auf die strikte Trennung der Prüfungen, die den Prüfungsumfang des Mindeststandards der Richtlinie (EU) 2016/2102 abbilden, von den Prüfungen , die über diesen Mindeststandard hinausgehen. Da sich Bund und die Bundesländer freiwillig zu Prüfungen über den Mindeststandard hinaus abgestimmt haben, gibt der Bericht sowohl in der Zusammenfassung der Ergebnisse als auch in der Darstellung der Ergebnisse stets diese beiden Darstellungen wider. Somit ist sehr klar ersichtlich, an welchen Stellen die deutschen Überwachungen die des Mindeststandards übertreffen. Dies ist im Falle der Vereinfachten Überwachung sehr deutlich: Hier werden mindestens 20, aber faktisch alle 50 EN Anforderungen aus dem Abschnitt 9 beziehungsweise dem Anhang A Tabelle A 1 der EN 301 549 geprüft. Der Mindeststandard, so wie diesen die allermeisten EU-Mitgliedsstaaten in ihren Berichten umgesetzt haben, prüft lediglich max. 9 EN-Anforderungen. Weiterhin sind die Prüfungen zur Leichten Sprache und zur Deutschen Gebärdensprache eine Prüfmethodik, mit der wir in Deutschland über den EU-Standard hinausgehen (im Bericht ist dies ausführlich auf den Seiten 35 und 36 dargestellt).

kobinet: Erwartet die EU eine Bewertung von Ihnen?

M. Wahl: Nein, dies wird nicht erwartet. Aber die EU-Kommission steht mit uns und den anderen europäischen Monitoringstellen in einem dauerhaften Austausch, bei dem alle Seiten an der gewonnenen Expertise partizipieren, um so das Monitoring weiterhin zu optimieren. Hierzu gibt es eine europaweite Evaluation der EU-Webseitenrichtlinie, an der wir umfassend und ausführlich als Mitgliedsstaat Deutschland teilgenommen haben (sowohl auf Bundes- wie auch partiell auf Landesebene).

kobinet: Hat die Überwachungsstelle des Bundes BFIT-Bund externe Berater ständig als Partner?
Oder haben Sie für die Erhebung und Berichterstellung Experten und Berater nur einmalig heran gezogen

M. Wahl: Wir haben den zielführenden Beschluss des Gesetzgebers aus der BITV 2.0 aus § 5 umgesetzt und den Ausschuss für barrierefreie Informationstechnik etabliert. In diesem sind die Verbände von Menschen mit Behinderungen strukturell an der Dokumentation und Fortentwicklung des technischen Standes zur digitalen Barrierefreiheit beteiligt. Im Gremium wird auch der EU-Bericht und dessen Fortentwicklung behandelt. Auch einzelne Personen mit besonderer Expertise in digitaler Barrierefreiheit, mit und ohne Beeinträchtigung, sind Mitglied des Ausschusses. Darüber hinaus gibt es regelmäßige Abstimmungen mit allen Überwachungsstellen der Länder, um unter anderem auch das Vorgehen in der Berichtserstellung abzuklären.

kobinet: Wie ist es Ihnen gelungen, Betroffene in eigener Sache einzubeziehen? Wie sind die Experten in eigener Sache beratend und methodisch wirksam geworden?
Inwiefern wurden die großen Interessenvertreterverbände und die kleinen Selbstvertretergruppen involviert?

M. Wahl: Die Verbände von Menschen mit Behinderungen sind im Ausschuss für barrierefreie Informationstechnik ein wichtiger und wesentlicher Teil und beraten hier unter anderem auch zum EU-Bericht. Zusätzlich hierzu haben wir den Wunsch der Verbände berücksichtigt, womit die Verbände von Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit hatten, sich im Wege einer Stellungnahme direkt im EU-Bericht zu äußern. Unseres Wissens ist dies in Europa neben einigen skandinavischen Ländern so nur in Deutschland erfolgt.

kobinet: Inwieweit können sich die Überwachungsstellen der Länder Deutschland- Österreich-Schweiz (also auch ein D_A_CH, wie bei IAAP) abstimmen, um für die EU einen möglichst einheitlich gestalteten Bericht darzulegen, der dann wiederum der EU vergleichbare Werte gibt?

M. Wahl: Auf unsere Initiative hin stimmen sich die Monitoringstellen der Schweiz, Österreichs und Deutschlands in regelmäßigen Treffen zum EU-Bericht und zu allen anderen Themen der digitalen Barrierefreiheit ab bzw. sind hierzu im Austausch.

kobinet: Nach welchen Kriterien entscheiden Sie die Prüftiefe? Welches Ziel verfolgen Sie mit der Darstellung vieler Zahlen? Steht das nicht im Widerspruch zu den Erwartungen der Politik, positive erscheinende Angaben zu haben, denn viele Zahlen zeigen auch weniger erfolgreiche Webseiten?

M. Wahl: Die Methodiken, welche Zahlen veröffentlicht werden müssen und wie diese im Bericht präsentiert werden müssen, sind eindeutig durch die Gesetzgebung der EU festgelegt (siehe hierzu Antwort zu Frage 1). Es existiert folglich kein Entscheidungsspielraum: Der Mindeststandard ist umzusetzen. Dies haben wir mit unserem Ersten Bericht getreu der Vorgaben umgesetzt. Darüber hinaus sind wir im Umfang der zu prüfenden Kriterien wie auch in der Art und Weise, wie tiefgehend wir prüfen, weit über diesen Mindeststandard hinausgegangen. Dies wird im Bericht auf den Seiten 35 und 36 sowie für die vereinfachte Überwachung auf den Seiten 78 bis 80 umfangreich dargelegt. Uns ist in Europa kein anderer Mitgliedsstaat bekannt, der vergleichbar umfassend und detailliert prüft.

kobinet: Sie haben sich entschieden, keine Version Ihres Berichtes in Leichter Sprache zu veröffentlicht. Warum wollen Sie verschiedenen Personengruppen von der Teilhabe an Ihren Ergebnissen ausschließen?

M. Wahl: Wir sind uns der Herausforderung bewusst, dass es gewünscht ist, eine Berichtsversion in Leichter Sprache zu publizieren. Dies wissen wir aus den Beratungen mit den Verbänden von Menschen mit Lernschwierigkeiten. Da unser Bericht mit über 200 Seiten sehr umfangreich und aufgrund der Detailtiefe auch sehr komplex ist, ist eine Übersetzung in Leichte Sprache ein langwieriger Prozess, wenn man eine gewisse Qualität der Übersetzung erreichen möchte. Wir werden uns aber mit professionellen Übersetzern und Fachleuten hierzu weiter beraten und streben eine Übersetzung an.

kobinet: Vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen.

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Bisher bei kobinet erschienene Artikel zur EU-Berichterstattung Barrierefreie Webseiten öffentlicher Stellen:

Gelungener EU-Bericht Österreichs über Barrierefreiheit öffentlicher Webseiten (Interview)

Wenn es nicht so traurig wär mit der BFIT-Bund, ich könnte nur noch lachen

Cringe: Die „hohe“ Mathematik der Überwachungsstelle BFIT-Bund

Andere Artikel im Internet, die die EU-Berichterstattung betreffen:

Erster Monitoring-Bericht Umsetzung der EU-Richtlinie 2102 in Deutschland (Barrierekompass, anatom5)