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Kassel (kobinet) Der Abschluss von Zielvereinbarungen für ein persönliches Budget ist immer wieder Thema in der ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) des Verein Selbstbestimmt leben in Nordhessen (SliN). Nach Berichten über Probleme von Nutzer*innen persönlicher Budgets mit dem Abschluss von fairen Zielvereinbarungen und der Mitteilung des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen (LWV) die Modalitäten der Verwaltungspraxis zu überprüfen und zu vereinheitlichen, haben die kobinet-nachrichten bei Uwe Frevert von der in Kassel ansässigen EUTB von Selbstbestimmt leben in Nordhessen nachgefragt, welche Themen dabei relevant sind.
kobinet-nachrichten: Welche Rolle spielen die Anliegen von Nutzer*innen von persönlichen Budgets bzw. von behinderten Menschen, die ihre Assistenz im Arbeitgeber*innen-Modell selbst organisieren, in der Beratung der ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung bei Ihnen?
Uwe Frevert: Wir haben in den letzten Monaten mit vielen behinderten Arbeitgeber*innen Kontakt bekommen, weil sie Fragen zur Schutzkleidung und ihrer persönlichen Impfung hatten. Zunächst bekamen einige behinderte Arbeitgeber*innen die Information vom Landeswohlfahrtsverband Hessen (LWV), dass für Schutzkleidung wie FFP2 Masken, Einmalhandschuhe und Einmalpapiertücher für Budgetnehmer*innen keine Finanzierung aus dem Persönlichen Budget bestehe. Dieses Problem konnte vom LWV jedoch nach gründlicher Prüfung ausgeräumt werden und nun können die behinderten Arbeitgeber*innen diese Sicherheitsmaßnahmen auch über die Schwankungsreserve über 1,5 Monatsbudgets finanzieren. Während dieser Beratungsgespräche unserer EUTB erfuhren wir aber auch, dass der LWV viele laufende Zielvereinbarungen nun befristet hat. Über die so genannte Eintrittsvereinbarung wurde den behinderten Arbeitgeber*innen mitgeteilt, dass dies zum Fortbestehen des Persönlichen Budgets erforderlich ist. Viele haben dann die Befristung unterschrieben und haben jetzt Angst, dass sie nach Ablauf der Frist eine schlechte Zielvereinbarung vom LWV vorgeschlagen bekommen.
kobinet-nachrichten: Die kobinet-nachrichten haben über Probleme behinderter Menschen mit dem Abschluss von fairen Zielvereinbarungen mit dem Landeswohlfahrtsverband Hessen berichtet. Über welche Erfahrungen aus ihrer Beratungstätigkeit können Sie da berichten?
Uwe Frevert: Konkret sind wir augenblicklich bei der Antragstellung auf ein persönliches Budget bei ein paar Ratsuchenden beschäftigt. In Gesprächen mit dem LWV und entsprechenden Papieren wurde zum Beispiel deutlich, dass es keine automatische Verlängerung mehr geben soll, wenn die Leistungsberechtigen oder der LWV keine Änderungen zum Persönlichen Budget anstreben. Mit den örtlichen Sozialhilfeträgern gab es die Vereinbarung, dass Änderungen nach Antrag möglich sind. Der LWV möchte nun aber, dass die Zielvereinbarung befristet wird und grundsätzlich neue Anträge gestellt werden müssen. Für behinderte Arbeitgeber*innen und ihre 8 bis 10 Beschäftigten ist das natürlich ein enormer Stress, da so immer wieder Arbeitsplätze in Frage gestellt werden. Abhilfe könnte hier aber auch das Urteil des Bundessozialgericht vom 28. Januar 2021 schaffen (AZ: B 8 SO 9/19 R). Leider müssen wir hier auch bestätigen, dass der LWV bei der Einhaltung von Zahlungsfristen und der Beantwortung von Anträgen nicht der zuverlässigste Kostenträger ist. Ohne eine Schwankungsreserve über 1,5 Monatsbudgets könnten behinderte Arbeitgeber*innen bei Zahlungsverzögerungen wegen der fehlenden Bescheide nicht existieren.
kobinet-nachrichten: Sehen Sie bei all den Problemen gute Beispiele, die Hoffnung machen oder Lösungsmöglichkeiten?
Uwe Frevert: Ja, durchaus. Das zeigte schon das Beispiel mit der Schutzkleidung, welches über die Rechtsabteilung des LWV einvernehmlich entschieden werden konnte. Ich gehe davon aus, dass der LWV die arbeitsrechtlichen Bedingungen sehr gut kennt und er auch weiß, dass Arbeitsverträge der persönlichen Assistent*innen nicht immer wiederholend befristet werden dürfen. Auch hoffen wir, dass der LWV bei seiner augenblicklichen Modifikation zum persönlichen Budget für eine landesweit einheitliche Gewährung die behinderten Arbeitgeber*innen als Experten in eigener Sache einbezieht.
kobinet-nachrichten: Was wären Ihrer Meinung nach wichtige Bestandteile einer guten Zielvereinbarung für die Durchführung persönlicher Budgets?
Uwe Frevert: Eine kontinuierliche Laufzeit, die eine verlässliche Planung für die Leistungserbringung zulässt. Das Arbeitgebermodell wird vor allem von sehr schwer behinderten Arbeitgeber*innen mit dem persönlichen Budget praktiziert.Teilweise benutzen diese Personen Beatmungsgeräte, welche von verlässlichen und gut eingearbeiteten Assistent*innen bedient werden müssen. Hier geht es nicht um die Freizeitgestaltung, wie es der LWV in einem Gesamtplan zur Teilhabe einer behinderten Arbeitgeberin mit Beatmungsgerät formuliert hat.
kobinet-nachrichten: Wie schätzen Sie die Entwicklung der Selbstbestimmung behinderter Menschen bei der Selbstorganisation ihrer Assistenz generell nach Einführung des Bundesteilhabegesetzes ein?
Uwe Frevert: Ein wirkliches Problem ist, dass zuerst eine Zielvereinbarung unterschrieben werden soll und erst im Anschluss der Kostenträger einen Bescheid erteilen kann. Die behinderten Arbeitgeber*innen wissen also zum Zeitpunkt der eingeforderten Zielvereinbarung nicht, welcher rechtsverbindliche Bescheid erteilt wird. Das betrifft zum Beispiel die Verwendung des pauschalen Pflegegeldes. Wenn ich nicht verlässlich weiß, ob ich zum Beispiel damit das Assistentenzimmer und andere Nebenkosten finanzieren kann, kann ich auch keine adequate Unterkunft als Arbeitgeber für die Angestellten gewährleisten. Die mir vorliegenden Entwurfe für ein persönliches Budget des LWV sind mir da zu unpräzise. Hier würde ich mir wünschen, dass der LWV gleichzeitig einen Entwurf für einen Bescheid vorlegt, so dass nicht die „Katze im Sack gekauft“ werden muss.
Link zum kobinet-Bericht „Nachgefragt beim Landeswohlfahrtsverband Hessen“ vom 2.2.2021