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Wochenend-Gedanken zu Corona Nr. 1

Portrait von Julia Lippert
Julia Lippert
Foto: privat

Berlin (kobinet) Julia Lippert hat sich am Wochenende einige Gedanken zu Corona, den sich immer wieder neu entwickelnden Begrifflichkeiten wie "Coronamutantenrisikogebiete“ und über die psychischen Herausforderungen gemacht.

Wochenendgedanken von Julia Lippert

Ich schalte heute Morgen das Radio an. „Coronamutantenrisikogebiete“ … oder so ähnlich – Gibt es in Österreich und Tirol jetzt Mutanten, haben die vier Arme und drei Augen? Gibt es Preise für Wortkreationen und kann Politik so kreativ sein, wie eine neue Wortkette gefühlt dreißigmal am Tag?

Grenzen zu – Grenzen auf, Laden auf – Laden zu, Schule und Uni rein – Schule und Uni raus, Oma drücken – Oma winken – Oma drücken, Videochat an – Videochat aus, Atemschutz rauf – Atemschutz runter, Haare kämmen morgens mittlerweile aufgegeben, Schlafklamotten halten auch mal als Tagesgarderobe her, Zähneputzen kann durchaus auf Morgen verschoben werden, dich du blöder Rechner, schaue ich auch viel zu oft an … bloß nicht zu viel denken.

Irgendwie kriege ich gerne mal schlechte Laune, wenn es heißt: „Die psychische Pandemie“ würde erst noch kommen oder Menschen mit psychischen Krankheiten litten besonders unter den derzeitigen Umständen. Hat das jemand in der kurzen Zeit wirklich evaluiert? Haben sich entsprechende Politiker*innen vor Corona auch schon mal Gedanken gemacht über die sogenannte seelische Gesundheit oder über die Frage, ob die derzeitige Versorgungslandschaft noch den Bedarfen angemessen ist? Oder ob Kostenminimierung, Leistungsdruck und Effizienzsteigerung Logiken sind, die dem Seelenleben wirklich zuträglich sind?

Sind wir nicht alle mit Unsicherheit konfrontiert? Ich will damit nicht sagen, die Situation rund um Corona träfe alle gleich. Soziale Ungerechtigkeit und ökonomische Ungleichverteilung zeigen auch derzeit ihr hässliches Gesicht. Besonders in einer globalen Betrachtung. Das war aber vor Corona auch nicht anders. Nur vielleicht hat die Fratze nicht ganz so offensichtlich gegrinst. Wenn ich daran denke, wie der Westen die Impfstoffe aufkauft und die Preise hochtreibt, die sich dann viele ärmere Länder gar nicht leisten können, will ich eigentlich nie wieder Zähne putzen oder Haare kämmen …

Ich will mich manchmal verstecken und am Besten kein schnelles Medium mehr sehen und hören. Die Wahrheiten schlittern im Galopp und Superlative kursieren täglich durch die Presse. Immer schneller, immer schneller. Heute noch ein Skandal, ist er morgen schon vergessen und gleichzeitig darf keiner mehr was verpassen. Aufmerksamkeitsökonomie at his best …

Ich will einem guten Freund, der im Gesundheitsamt arbeitet, glauben, der Zuversicht ausdrückt. Ich habe mich entschieden, ihm zu glauben. Irgendjemandem muss man ja glauben. Ich will auch keine Politiker*in sein, die im Hochgeschwindigkeitszug kluge Entscheidungen treffen muss, in einer Öffentlichkeit die den Zug noch überholt. Ich will nicht immer wütend sein, das kostet so viel Energie und ist oft nicht gerecht. Vielleicht sollte ich morgen, anstatt das Radio anzumachen, mal eine alte CD hören oder eines der 4 Bücher, die ich gerade neben dem Bett liegen habe, weiterlesen. Dafür muss ich ja auch keine Zähne putzen. Bis Montag wird sich die Welt dreimal um die eigene Achse drehen. Auch ohne Corona …