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Wir sind wie Hebammen

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Foto: Mainzer Hospiz

Mainz (kobinet) Gracia Schade hat letztes Jahr einen Journalismus-Fernlehrgang begonnen und ihr Talent und Spaß am Schreiben entdeckt. Den kobinet-nachrichten hat sie folgenden Beitrag über das ehrenamtliche Engagement im Mainzer Hospiz und die Menschen, die dort unterstützt und begleitet werden, zur Verfügung gestellt.

Wir sind wie Hebammen

Bericht von Gracia Schade

„Es ist 10 Uhr morgens, das Telefon klingelt, ich werde gefragt, ob ich heute die Sitzwache bei Herrn Karl (Name geändert) übernehmen kann. Ich sage zu. Nachmittags mache ich mir einen starken Kaffee mit viel Zucker. Als ich um 22 Uhr komme, schläft Herr Karl, mir gelingt es, seine Frau ins Bett zu schicken. Neben dem Bett steht ein Sessel, ich setze mich und beginne zu lesen. Später wandere ich umher, die Wohnung ist sehr aufgeräumt und sauber, fast schon steril. Im Stillen denke ich, hätte ich doch meine Bonsais mitgenommen, die müssen dringend umgetopft werden, die Steine auf der Fensterbank wirken inspirierend. Ich gehe zurück ins Zimmer von Herrn Karl, er liegt ganz entspannt da, diese Nacht bleibt ruhig.“ Annemarie G., 79 Jahre alt, ist eine von 40 ehrenamtlichen Hospizbegleiter*innen des Mainzer Hospiz. Sie strahlt viel Optimismus aus, ihr Lachen ist ansteckend. Sie wirkt etwas burschikos, die kurzen, grauen Haare unterstreichen diesen Eindruck. Annemarie hat keine Angst vor dem Tod, sie sagt: „Ich habe schon viele Menschen schön sterben sehen, und ich begleite die Menschen gern bis zum Schluss.“

Mit Beginn des Ruhestands begann sie mit diesem Ehrenamt. Nach zwei Fortbildungen und einem Praktikum begannen die ersten Einsätze. Am liebsten besucht sie die Patienten zu Hause in ihrer gewohnten Umgebung. Mit den Besuchen möchte Annemarie ihnen unbeschwerte Stunden bescheren, in denen sie gemeinsam erzählen, lesen und vor allem lachen können. Sie sagt: „Wir sind anders als die Angehörigen, wir haben nicht das Gefühl des Verlustes, wir wollen den Menschen einfach noch ein wenig Freude ermöglichen.“.

Die Gründerin der englischen Hospizbewegung, Cicely Saunders, hat einmal gesagt, bei der Hospizarbeit gehe es nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben. Die Hospizbewegung ist noch recht jung, in England begann sie Ende der 60er Jahre, in Deutschland Mitte der 80er Jahre. In Rheinland-Pfalz ist Hospizversorgung inzwischen fast flächendeckend gewährleistet und die letzten Lücken schließen sich in den nächsten beiden Jahren. Jedoch ist es eine große Herausforderung, Ehrenamtliche für die Begleitung zu gewinnen.

Freitag, 11 Uhr, Laura G. schwingt sich auf ihr Fahrrad und radelt durch Mainz, sie ist auf dem Weg zu Frau Claus (Name geändert). Es ist ein schöner Sommertag, da kann sie vielleicht wieder mit Frau Claus in ihrem Garten spazieren gehen, oder sie schauen einfach gemeinsam aus dem Fenster. Für Frau Claus ist Laura fast wie eine Enkelin, sie sagt oft zu ihr: „Mädchen, erzähl doch mal.“ Auch wenn es Frau Claus schlecht geht, möchte sie doch eine gute Gastgeberin sein und bietet Laura immer als erstes was zu Trinken an.

Laura, 29 Jahre, ist seit knapp einem Jahr in der Hospizbegleitung tätig. Sie ist eher der nachdenkliche Typ, wirkt sehr präsent und ist wissbegierig. Auch Laura hat keine Berührungsängste mit dem Thema Sterben. „Mein Wunsch ist, dass die Patienten, die ich begleite, schöne Momente erleben und am Ende des Besuchs wieder lächeln.“. Ihr Beweggrund für dieses Ehrenamt war es, mehr über das Thema Sterben zu erfahren. „Der Tod ist nie was Schönes, und manchmal ist er sogar ungerecht. Doch er gehört zu unserem Leben dazu, denn sterben werden wir alle einmal.“, sagt Laura. Annemarie zieht den Vergleich der Hospizbegleitung zu Hebammen, „Um auf die Welt zu kommen, brauchen wir Hebammen und manchmal brauchen wir auch ähnliche Menschen, um gehen zu können.“

Beide Frauen vereint ihre Empathie und die Offenheit für andere Menschen. Annemarie erinnert sich an eine Begleitung, bei der der Mann damit haderte, dass er pflegebedürftig wurde. Er fragte Annemarie: „Haben Sie mir die Pille mitgebracht?“ Sie antwortete: „Nein! Komm, wir trinken jetzt mal zusammen ein Bier.“. Laura sagt: „Es ist wichtig, den eigenen Rucksack, seine Probleme, vor der Tür stehen zu lassen.“. Der schwerstkranke Mensch steht bei dieser Arbeit im Mittelpunkt, es gilt die Würde des Menschen zu erhalten, bis zum Schluss. Für Laura war es eine große Herausforderung, als sie wusste, dass es Frau Claus schlecht geht und die Begleitung bald endet. Sie fühlte sich unsicher, weil sie nicht wusste, was auf sie zu kommt. Annemarie erlebte mal einen Familienstreit bei der Feier des 50. Geburtstages ihres Patienten, sie hat den Streit beendet, indem sie die Familienmitglieder gebeten hat, zu gehen. Es bleibt zu hoffen, dass zukünftig alle Ärzte Patienten, die sozusagen austherapiert sind, auf die Möglichkeit der Hospiz- und Palliativbegleitung hinweisen. Kein Mensch muss heutzutage allein und mit Schmerzen sterben.